
„Sie wollen also mehr Fehler in unserem Unternehmen?“, fragt der Controller sarkastisch nach. „Nein! Aber ich wünsche mir einen sinnvolleren und vor allem menschlicheren Umgang mit Fehlern“, antwortet die HR-Verantwortliche.
Dem Controller schwillt langsam die Halsschlagader an: „Jeder Fehler kostet Geld. Unser Geld. Und riesige Fehler kosten uns riesige Mengen an Geld! Dieses neumodische Management-Zeug bringt uns doch nicht weiter! Sogar wenn wir durch die Lancierung einer Fehlerkultur gleich viele Fehler machen wie heute, hat es sich ja nicht gelohnt. Geht durch Ihre Fehlerkultur die Fehlerquote etwa nach unten? Können Sie das garantieren?“ Stille im Raum.
Die HR-Verantwortliche lächelt den Controller an und kontert: „Die Fehlerquote heute ist bereits massiv höher als in Ihren hübschen Excel-Charts. Ja! Trotz ISO-Norm und Total-Quality-Management stimmen Ihre Auswertungen einfach nicht. Weil die Mitarbeiter Angst haben, Fehler zu melden, werden, wenn möglich, Fehler vertuscht und unter den Tisch gewischt. Und wenn man den Fehler nicht kennt und benennt, kann niemand aus diesem Fehler lernen. Und die Fehler wiederholen sich immer und immer wieder. Und kosten damit auch immer und immer wieder massiv Geld!“ Wieder Stille im Raum. Die Denkhaltung, alles zu können, bringt viele in der Arbeitswelt an den Rand eines Burnouts – und darüber hinaus. Die eigene Verblendung, „perfekt“ funktionieren zu müssen, ist nicht nur extrem anstrengend, sie ist auch frustrierend. Weil kein Mensch „perfekt“ ist. Wir blenden uns weiter mit coolen Titeln und Berufsbezeichnungen, die keiner mehr versteht – und immer weniger Menschen trauen sich nachzufragen. Vielleicht müssen wir eine Kultur etablieren, in der mutige Mitarbeiter, die in einem ambitionierten Projekt einen Fehler machen, gelobt werden. Und im Gegenzug Mitarbeiter, die im Mittelmaß und in der Routine festsitzen – und aus Angst vor Fehlern lieber gar nichts machen – eher „bestraft“ werden.
Ohne verrückte Ideen, die logischerweise immer eine hohe Fehlerquote haben, wären wichtige Errungenschaften und Erfindungen nie möglich gewesen. Doch am Schluss lassen sich viele durch das perfekte Endresultat blenden. Den steinigen Weg dorthin können sich die wenigsten vorstellen. Auch der Weg zu einer guten Fehlerkultur ist steinig – es lohnt sich aber definitiv, ihn in Angriff zu nehmen. Die Lösung: Setze das um, was in den meisten Unternehmen in den Leitbildern geschrieben steht.
- Setze den Mitarbeiter wirklich in den Mittelpunkt! Das bedeutet, dass man mit ihm sprechen darf. Nicht nur einmal im Jahr 20 Minuten in einem Jahresgespräch, sondern immer wieder.
- Vermittle die Werte, die im Leitbild stehen! Indem du als Führungskraft diese täglich vorlebst. Wenn da Werte wie Offenheit, Transparenz, Leidenschaft, Optimismus, Mut, Respekt oder Vertrauen stehen, sollte dies eine Verpflichtung sein.
Es lohnt sich also, generell darüber nachzudenken, welche Arten von Fehlern vorkommen können. Die „sinnlosen“ Fehler gilt es natürlich zu vermeiden. Durch Checklisten können diese Routinefehler weitestgehend eliminiert werden. Die „sinnvollen“ Fehler bringen das Unternehmen weiter, weil daraus wichtige Erkenntnisse gewonnen werden können. Tatsächlich gibt es viele Menschen, die gerne mit dem Finger auf andere zeigen, die einmal beruflich oder generell im Leben gescheitert sind. Oft sind das genau die Menschen, die sich selbst noch nie etwas getraut haben. Denn sich zuhause auf dem sicheren Sofa sitzend über andere Menschen lustig zu machen (im Fernsehen gibt es genügend Formate, die genau darauf anspielen), ist einfach und ungefährlich. Und jetzt sollte man plötzlich Fehler als Chance des Lernens erkennen? Diese tiefen Denkmuster zu verändern, ist alles andere als einfach, wie auch nachfolgendes Beispiel zeigt. Wenn in Geschäftsleitungssitzungen das erste Mal über eine Fehlerkultur gesprochen wird, ist die Unsicherheit förmlich spürbar. Denn eigentlich gibt es ja eine klare Haltung: Fehler kosten Geld. Wir wollen kein Geld verlieren, also machen wir keine Fehler. Was aber, wenn das Unternehmen innovativ sein möchte? Neue Ideen, neue Produkte oder Zielgruppen angehen will? Braucht es dann nicht die „Verrückten“, die Träumer und Kreativen, die mit ihren Ideen vielleicht die eine zündende Idee hervorbringen können?
Jede innovative Firma begeht unglaublich viele Fehler. Der Vorteil: Diese Firmen lernen extrem viel. Diskutieren Sie also in Ihrem Unternehmen einmal, wie Ihr Unternehmen sein soll. Und wenn da auch nur ein Anschein von Innovation durchsickert, sollten Sie über Ihre Fehlerkultur sprechen. Oder fragen Sie alle Mitarbeiter, welche Innovation in Ihrer Branche die nächste sein könnte – und welche Gefahren lauern. Wenn Sie bei hundert Mitarbeitern nur wenige Rückmeldungen erhalten, sollten Sie unbedingt über die Fehlerkultur und den vermittelten Sinn der Arbeit nachdenken. Denn Mitdenken ist in innovativen Unternehmen nicht Kür, sondern Pflicht. Diese Kultur muss man allerdings zulassen. Ansonsten begeht man einen folgenschweren Fehler. Wir haben es als Kinder alle gelernt: Fehler sind schlecht! Sie ziehen meist unmittelbar eine „Strafe“, vor allem aber negative Gefühle – oder sogar Konsequenzen – nach sich. In der Schule in Form von schlechten Noten und zuhause als Standpauke der Eltern. Diese Erfahrungen zum Thema Fehler nehmen wir in unser Leben mit – mit folgenschweren Auswirkungen: Wir glauben, wir müssten alles können und alles kennen. Sollten wir etwas nicht wissen oder noch schlimmer, einen Fehler begehen, ist dies „peinlich“.