three men sitting on chair beside tables
Foto von Austin Distel

Ausblick: Selbstbewusstsein entwickeln

Wie Sie sehen, gibt es verschiedene Arten der Kommunikation, die verhindern, dass wir einfühlend auf unsere Mitmenschen eingehen, und die gewalttätiges Verhalten hervorrufen. Wenn wir lernen, unsere eigenen Bedürfnisse und Werte richtig zu formulieren und auszudrücken, ist das ein erster Schritt in die gewaltfreie Kommunikation.

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Bedürfnisse ermitteln, statt nach Schuldigen suchen

Moralisten gelten als Menschen, denen am Wohl ihrer Mitmenschen gelegen ist. Doch wie oft bewirken sie mit ihren Urteilen Verletzung und das Gegenteil dessen, was sie ursprünglich wollen? Menschen haben außerdem ein feines Gespür dafür, welche Haltung ihnen vom Gesprächspartner entgegenschlägt. Sie spüren, ob sie Gefahr laufen, Opfer von Schuldzuweisungen, Beleidigungen, Niedermache, Schubladisierungen, überzogener Kritik oder blauäugiger Diagnosen zu werden. Und dann entziehen sie ihr Wohlwollen. Moralische Urteile stempeln Handlungen und Denkstile ab und trennen sie in „gut“ und „böse“ oder in „normal“ und „unnormal“. Nach Hintergründen, Zusammenhängen und Bedürfnissen wird kaum gefragt.

Marshall B. Rosenberg betont: Es ist nicht zielführend, Schuldige zu suchen, sondern herauszufinden, wie etwas motiviert ist. Dazu eine kleine Übung: Schließen Sie die Augen. Stellen Sie sich vor, wie ein Kollege Sie mit einem Auftrag betraut. Stellen Sie sich alle Details der Szene vor. Und dann imaginieren Sie, wie der Auftrag nicht glückt. Versuchen Sie zu fühlen, was in Ihnen vorgeht. Wie entspannt sind Sie? Und nun stellen Sie sich vor, wie der Kollege Sie harsch anfährt: „Du bist schuld!“ Hilft Ihnen dieser Satz, mit der Situation fertig zu werden? Hilft es Ihnen, die Lage zu verbessern? Vielleicht nehmen Sie die gewünschte Schuld auf sich. Angst und Scham mögen sich regen. Sie tragen die Schuld immer und immer wieder. Irgendwann kommen Sie an den Punkt, an den Sie in den Widerstand gehen. Sie reagieren heftig oder ziehen sich unweigerlich in Ihr inneres Schneckenhaus zurück.

Um auch in Konfliktsituationen empathisch im Kontakt mit unserem Gegenüber zu bleiben, ist es wichtig, über Beweggründe und Motive zu sprechen. Wir sollten also nach den Bedürfnissen fragen und unsere eigenen auch selbst äußern. 

“Willst Du Recht haben oder glücklich sein? Beides geht nicht.” Diese zwei Sätze umreißen die Philosophie des US-amerikanischen Psychologen und Konfliktmediators Marshall B. Rosenberg. Er betonte stets, mit seinem Werk lediglich Erkenntnisse aus Kulturen und philosophischen Traditionen zusammengetragen zu haben.

Gewalt beginnt bei der Sprache

Rosenberg machte sich bewusst, dass Gewalt zuerst im Denken entsteht und durch Sprache vermittelt wird. Bevor ein Faustschlag fällt, ist es ein Wort, das verletzt. Den Psychologen bewegte daher Zeit seines Lebens die Frage, wie sich Gewalt im Denken abwenden lässt. Er formulierte seine Erkenntnisse unter anderem in einem Vier-Schritte-Modell. Es ist wichtig, sich diese bewusst zu machen, damit sie auch in herausfordernden Situationen gelebt werden können, quasi als Teil des Selbst.

So wird gewaltfreie
Kommunikation möglich:

– Beobachtung statt Interpretation
– Gefühle äußern statt Diagnosen anstellen
– Bedürfnisse ermitteln, statt nach Schuldigen suchen
– Wünsche klar äußern, statt befehlend fordern

Diese Thesen sind basal, ihre Beherzigung gewährleistet empathische Kommunikation. Und empathisch sind Menschen, die geistig und emotional im Kontakt miteinander stehen. Distanz ermöglicht Gewalt, Nähe schafft Gewaltfreiheit. Was aber genau lässt uns gewalttätig werden? Womit schaffen wir Distanz und vermeiden Kontakt?

Der unterschätzte Wert der Beobachtung

Wir alle werden vom Schulsystem zum Wissen und Interpretieren erzogen. Interpretation wird außerdem im Job groß geschrieben: Ich weiß, was mit dieser oder jener Person los ist. Ich weiß, wohin sich ein Geschäft entwickelt. Ich weiß, warum ein Auftrag nicht gelang. Viele Menschen präsentieren sich gern in Situationen als Wissende, selbst wenn die Faktenlage dünn oder Sachverhalte widersprüchlich sind, weil sie damit ihren Status steigern können. Jeder möchte gern als Experte gesehen werden. Doch was, wenn die Interpretation einen Menschen betrifft und das zu Unrecht? Oft beeinträchtigt das die Beziehung des Sprechenden zu diesem Mitmenschen. Marshall B. Rosenberg rät, der Beobachtung den Vorzug zu geben. Zu schildern, was passiert ist und was zu sehen oder zu hören war, schafft für den Dialog eine gute Basis und zeigt, dass der Beobachter aufmerksam und verständig ist.    


            ZITAT
         
„Wenn jemand darauf vertrauen kann, dass er
                 in einem Konflikt gehört und ernst genommen wird,
                           dann stehen die Chancen gut, dass er bereit ist,
              sich ebenfalls partnerschaftlich zu verhalten.“

Wünsche klar äußern, statt befehlend fordern

Bleiben wir bei der Imaginationsübung. Sie befinden sich jetzt an dem Punkt des inneren Widerstandes. Nun setzt sich ein Teufelskreislauf in Gang. Ihr Gegenüber merkt, dass er den Kontakt zu Ihnen verliert und wird immer befehlender, was Ihre Verhaltenstendenz verstärkt. Am Ende geht es nur noch um Schuld und Befehl. Die Distanz ist scheinbar zementiert, jeder hält jeden für schlecht und sich selbst für gut. Dies wäre der Ausweg aus der Situation: Es empfiehlt sich, die eigenen Wünsche klar zu stellen und zu begründen. Das ist etwas anderes, als auf Basis moralischer Werturteile Forderungen zu stellen.

Übrigens, für alle Fälle, in denen Menschen durch eine Forderung vor einem Übel gewarnt werden sollen: Wer am Mitmenschen nicht lernen will, den schult das Leben, notfalls durch Leid. Und das ist eine unverbrüchliche Lebensweisheit.