In wirtschaftlich turbulenten Zeiten sind weit mehr Faktoren entscheidend als nur harte Zahlen und schnelle Reaktionen. Für den langfristigen Erfolg eines Unternehmens ist eine stabile und resiliente Unternehmenskultur erforderlich. Im Interview mit Alexander R. Petsch, dem Gründer des HRM Instituts, erläutert Andreas Schubert, der Great Place to Work mitbegründet hat, die entscheidenden Aspekte – und die Gründe dafür, dass Vertrauen, Kommunikation und Beteiligung im heutigen Geschäftsumfeld besonders wertvoll sind.
1. Unternehmenskultur als Überlebensfaktor in Krisen In Zeiten multipler Krisen
– sei es Inflation, geopolitische Unsicherheiten, Energieengpässe oder Fachkräftemangel – reagieren viele Unternehmen reflexhaft: Zurück ins Büro, mehr Kontrolle und weniger Flexibilität. Laut Andreas Schubert ist das jedoch genau der falsche Weg. Insbesondere in Krisenzeiten wird die wahre Stärke oder Schwäche einer Unternehmenskultur offenbar.
„Kultur ist nicht die Kuschelecke des Unternehmens“, hebt Schubert hervor, „sondern die Basis für wirtschaftlichen Erfolg.“ Firmen, die in schwierigen Zeiten erfolgreich sind, eint ein Merkmal: Sie setzen auf Vertrauen, Transparenz und Mitwirkung.
2. Vertrauen: Der entscheidende Hebel
Jeder starken Kultur liegt Vertrauen zugrunde. Firmen, die eine Vertrauenskultur praktizieren, sind nachweislich robuster. Die jahrelangen Untersuchungen von Great Place to Work belegen dies: Organisationen, in denen eine ausgeprägte Vertrauenskultur herrscht, weisen geringere Fluktuationsraten und Krankenstände auf, verzeichnen höhere Bewerberzahlen und sogar eine bessere Börsenperformance.
„Vertrauen ist kein ‚Nice-to-have‘“, erklärt Schubert. „Es ist ein wirtschaftlicher Erfolgsfaktor.“
💡 Hinweis für HR und Management: In Krisenzeiten lässt sich kein Vertrauen neu aufbauen. Vorab muss es entwickelt und fortlaufend gepflegt werden – mittels klarer Kommunikation, respektvoller Führung und tatsächlicher Mitgestaltungsmöglichkeiten.
3. Transparenz: Keine Angst vor der Wahrheit
Insbesondere in Zeiten, in denen die Wirtschaft nicht gut läuft, ist eine offene und transparente Kommunikation von höchster Bedeutung. Angestellte möchten nachvollziehen:
- An welcher Stelle befinden wir uns momentan?
- Was stellt die Herausforderung dar?
- Welche Szenarien sind plausibel?
- Welche Rolle spiele ich im Wandel?
„Der erste Schritt zur Beteiligung ist Transparenz“, erläutert Schubert. Firmen, die in Krisenzeiten schweigen oder keine Klarheit über die Situation für ihre Angestellten schaffen, büßen Vertrauen und Engagement ein.
Krisenkommunikation im Detail: Updates zur Situation, die auf monatlicher oder gar wöchentlicher Basis erfolgen Einbeziehung der Mitarbeitenden mittels Q&A-Formaten oder digitalen Townhalls
Offenheit bezüglich Unsicherheiten – perfekte Antworten sind nicht zu erwarten, aber Ehrlichkeit
4. Beteiligung: Mitdenken lassen statt durchregieren
Ein typischer Fehler in Krisenzeiten: Der Vorstand trifft im GeheimZurückhaltenden Entscheidungen, ohne die Belegschaft vorher Die Lösung befindet sich dabei oft in der Organisation selbst.
„In der Krise sind Alleinentscheider nicht gefragt – kollektive Intelligenz ist das, was wir brauchen“, sagt Schubert. Partizipation umfasst die aktive Einbeziehung von Mitarbeitenden in die Entwicklung von Lösungsansätzen. Niemand kennt den Alltag, die Kunden oder die Abläufe besser als die Mitarbeitenden selbst.
Konkrete Beteiligungsformate: Innovations-Workshops mit Mitarbeitenden aller Ebenen
- Ideensprints zur Reduzierung von Kosten oder Optimierung von Prozessen
- digitale Feedback-Tools oder Pulsumfragen für eine rasche Beurteilung der Stimmung
5. Homeoffice-Debatte: Kultur ist kein Ort
In vielen Unternehmen wird nach der Pandemie versucht, das Homeoffice rückgängig zu machen – häufig als Reaktion auf Unsicherheit oder Kontrollverlust. Schubert schätzt das nicht sehr.
„Es existieren Firmen mit 100 % Präsenz und schlechter Kultur – und virtuelle Teams mit großartiger Kultur,“ so seine Einschätzung. Das Miteinander ist entscheidend, nicht der Arbeitsort.
Fazit zur Präsenzpflicht: Kultur entsteht nicht durch Anwesenheit, sondern durch die Pflege von Beziehungen, klare Erwartungen und gelebte Werte – unabhängig davon, ob im Büro oder remote.
6. Zuhören in der Krise: Feedback ist Gold wert
Zahlreiche Firmen führen in Krisenzeiten keine Mitarbeiterbefragungen durch, da sie Angst vor schlechten Ergebnissen haben. Ein Irrtum, so Schubert.
„Besonders in Krisenzeiten ist es von Bedeutung, die tatsächliche Befindlichkeit der Menschen zu begreifen.“ Zielgerichtete Führung, Motivation und die gemeinsame Lösungssuche sind nur möglich für diejenigen, die zuhören.
Welche Maßnahmen kann HR ergreifen?
Regelmäßige, kurze Umfragen zum Puls (z. B. mit 5 Fragen)
- Retrospektiven nach abgeschlossenen Projekten oder Quartalen
- Schlüsselpersonen im Unternehmen wurden qualitativ interviewt.
7. Krisen als Kulturtest – und als Chance
Organisationen, die vor der Krise bereits stark auf Vertrauen, Kommunikation und Beteiligung gesetzt haben, zeigen nachweislich eine bessere Bewältigung schwieriger Phasen. Dies manifestiert sich nicht nur an weicheren Aspekten wie der Bindung der Mitarbeitenden, sondern auch in belastbaren Kennzahlen.
🧠 Studienfakt: Die Bewerberquote bei Unternehmen mit einer Great Place to Work-Zertifizierung ist viermal so hoch, der Krankenstand ist um bis zu 70 % und die Fluktuation um etwa 50 % geringer als der Branchendurchschnitt.
Außerdem weist ein Fonds, der nur in „Great Place to Work“-Unternehmen investiert, eine Performance im ESG-Ranking auf, die deutlich über dem Durchschnitt liegt.
8. Kultur ist (auch) Business – und Chefsache
Eine vertrauensvolle Unternehmenskultur ist keine Aufgabe für die HR-Abteilung, sondern eine strategische Führungsaufgabe. Wer sie nicht ausreichend beachtet, setzt sich nicht nur der Gefahr einer abnehmenden Motivation aus – sondern auch der eines wirtschaftlichen Misserfolgs im mittelfristigen Zeitraum.
„In Krisenzeiten wird deutlich, wer zuvor in Kultur investiert hat – und wer nun doppelt kämpfen muss,“ erklärt Schubert.
Die positive Nachricht: Den Kulturwandel zu starten, ist in jedem Alter möglich. Selbst in herausfordernden Zeiten kann Vertrauen schrittweise aufgebaut werden, durch effektive Kommunikation, aufmerksames Zuhören und beständige Einbeziehung.
Fazit: Unternehmenskultur ist der Stabilitätsanker in unsicheren Zeiten
Unternehmenskultur ist in einer Welt, die von Wandel, Unsicherheit und Krisen geprägt ist, kein weicher Faktor – sie stellt einen klaren Wettbewerbsvorteil und eine Ressilienzquelle dar. Firmen, die auf Vertrauen, Transparenz und Mitwirkung setzen, können sich besser anpassen, schneller erholen und langfristig erfolgreicher wirtschaften.













