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Photo by Priscilla Du Preez 🇨🇦

Was hat sich in den letzten Jahren in der Candidate Journey im Spannungsfeld zwischen analog und digital verändert? Wie muss die HR-Abteilung aufgestellt sein, um erfolgreich Fachkräfte zu gewinnen? Welchen Zusammenhang gibt es zwischen der Unternehmenskultur und der virtuellen Karriereseite? Und wie wichtig werden in Zukunft Active Sourcing, Chatbots, KI und Algorithmen sein? Über diese und weitere Themen spricht Alexander Petsch, CEO des HRM Institute, in der heutigen HRM Hacks Folge mit Prof. Dr. Anja Lüthy, Professorin an der TH Brandenburg und Gründerin des TCO (Training Coaching Outlet Berlin).

Heute wird der rote Teppich ausgerollt

Die fundamentale Erkenntnis, die sich Unternehmen vor Augen halten müssen, wenn es um die Candidate Journey geht, ist dass sich in der heutigen Zeit ArbeitgeberInnen bei den Nachwuchskräften, Stellensuchenden und IT-ExpertInnen bewerben und nicht umgekehrt. Aus ihrer langjährigen Erfahrung berichtet Prof. Dr. Lüthy darüber, dass vielen Unternehmen nicht bewusst ist, inwieweit für eine solche Candidate Journey, bei der die BewerberInnen im Fokus stehen, ausreichende personelle Ressourcen nötig sind. „Und zwar nicht nur Studenten und Praktikanten, sondern Expertinnen und Experten für Personalmarketing, Employer Branding, Recruiting und Talent Acquisition, die ausgewiesenes Fachwissen haben. Ohne wird es den Unternehmen nicht mehr gelingen, genug Personal zu finden.“ Denn all diese Tätigkeiten sind laut Prof. Dr. Lüthy „eine Kunst, eine Wissenschaft, ein Fach für sich“, für die HRler ausgebildet werden müssen.

Die Zeiten, in denen die Personalabteilung nur als Verwalter von Krankschreibungen, Urlaubsdokumentation, Personalaktenführung, Löhnen, Gehältern und anderen administrativen Tätigkeiten verstanden wurde, sind nämlich vorbei. Heute muss HR nicht nur die wichtigste Ressource des Unternehmens suchen, nämlich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, sondern auch Impulse geben zu Unternehmenskultur, Produktqualität, Führungsstil, Umgang miteinander und vielen weiteren Themen, um so das Unternehmen mitzugestalten.

Ohne eine gute analoge Arbeitswelt, keine gute Unternehmenskultur in der virtuellen Welt

Sobald die HR-Abteilung mit den entsprechenden ExpertInnen ausgestattet wurde, ist der nächste Punkt auf der Candidate-Journey-To-Do-Liste, für ein richtiges Miteinander im Unternehmen zu sorgen, einen Purpose des Unternehmens aufzustellen, die Werte des Unternehmens zu stärken, Teams zusammenzustellen, die gut zusammenarbeiten und Vorgesetzte einzubinden, die ihre MitarbeiterInnen gut führen können. Erst dann kann die Unternehmenskultur aus der analogen Welt in die digitale Welt übertragen werden.

Diese Unternehmenskultur muss in der virtuellen Welt laut Prof. Dr. Lüthy so präsentiert werden, „dass auf die Frage ‚Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist denn der attraktivste Arbeitgeber im Land?“ euer Unternehmen aufpoppt.“ Dabei ist insbesondere zu beachten, dass sich diese Unternehmenskultur auf der Online-Karriereseite widerspiegelt und zwar dort, wo sich die Stellenanzeigen befinden und wo Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter oder sogenannte Corporate InfluencerInnen durch Storytelling „von ihren Arbeitsplätzen und von ihren Chefinnen und Chefs erzählen, von ihren Arbeitsbedingungen schwärmen, aber eben auch über die Ecken und Kanten sprechen, die ihre Jobs haben, wie beispielsweise Drei-Schicht-Betrieb.“ so Prof. Dr. Lüthy.

Karriereseiten müssen flashen

Bei der Karriereseite gibt es laut Prof. Dr. Lüthy zudem zu beachten: „Entweder ist sie zum Verlieben und ich habe da richtig Bock, weiter zu recherchieren, weil ich merke, sie sprechen mich an, sie haben auch Links zu Instagram und Co., wo ich hinter die Kulissen schauen kann. Oder sie haben nicht einmal einen Reiter zur Karriereseite und sind letztlich eher trocken, leblos und langweilig und erinnern mich an einen Friedhof.“

Damit die Karriereseite überhaupt von den passenden KandidatInnen gefunden wird, muss die HR-Abteilung auch dafür sorgen, dass Campaignings dafür aufgesetzt werden. Das bedeutet, es müssen in erster Linie Landingpages mit den Stellenanzeigen erstellt werden, die der entsprechenden Zielgruppe auf Instagram, Facebook, LinkedIn und Co. ausgespielt werden. Wichtig ist hierbei, dass Stellenanzeigen modern und ansprechend geschrieben sind und nicht so, als wären sie auf dem Stand von 1986 stehen geblieben.

Chatbots, KI, Algorithmen & Co.

Die Karriereseite soll nicht nur eine virtuelle Repräsentation der Unternehmenswelt darstellen und Links zu Plattformen wie Instagram, Twitter und Facebook enthalten, sondern sie soll im besten Fall auch über einen Chatbot verfügen, den die BewerberInnen rund um die Uhr, 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche befragen können. Denn junge Leute recherchieren gerne ab 17-18 Uhr, wenn die Personalabteilung nicht mehr im Haus ist und sie sind in diesem Zusammenhang auch bereit, sich im ersten Schritt mit einem Chatbot zu unterhalten, der einen guten Algorithmus hat und Fragen zu Gehalt, Bewerbungsprozess und Arbeitszeiten zufriedenstellend beantworten kann.

Außerdem sieht Prof. Dr. Lüthy innerhalb der nächsten zehn Jahre wahnsinniges Potenzial für KI und Algorithmen in der Candidate Journey, um Fragen zu beantworten, Stellenanzeigen zu posten oder Empfehlungen für weitere zu besetzende Stellen zu geben. Zwischenmeldungen über den Stand der Bewerbung, vergleichbar mit der Verfolgung eines Amazon-Pakets und Empfehlungsalgorithmen wie bei Amazon, Netflix und Co. werden in Zukunft ebenfalls an der Tagesordnung sein. So werden sich die HR-MitarbeiterInnen bewerberzentriert um diejenigen kümmern können, die sie persönlich treffen möchten. Die Menschen werden durch die Technologie nicht ersetzt, sondern unterstützt werden.

Die Kommunikation auf allen Kanälen

In der Kommunikation mit BewerberInnen sollten Unternehmen laut Prof. Dr. Lüthy so viele Kanäle wie möglich offen halten: E-Mail, Telefon, SMS, WhatsApp, Online-Bewerbungsformular, LinkedIn, Instagram, Twitter etc.

Nach dem Ausfüllen des Online-Bewerbungsformulars durch die KandidatInnen sollte sich die HR-Abteilung sofort zurückmelden, im Sinne von „man bekommt niemals eine zweite Chance für einen guten ersten Eindruck“. Nach dieser ersten Kontaktaufnahme sollte sofort der Zoom-Link für das erste Online-Interview geschickt werden, um innerhalb eines 30-minütigen Gesprächs herausfinden zu können, ob die BewerberInnen grundsätzlich zum Unternehmen passen oder nicht. Denn, so Prof. Dr. Lüthy, „die jungen Leute wollen binnen 24 bis 48 Stunden spätestens das erste Feedback auf ihre Bewerbung haben und sie wollen dann relativ zügig wissen, wie der Bewerbungsprozess vonstattengeht, wie die Timeline ist und wann sie damit rechnen können, dass sie wissen, ob sie die Stelle bekommen.“ Als Unternehmen hat man gleich Bonuspunkte, wenn man „auf Zack ist“. Doch die Zeit ist ein Wettbewerbsvorteil, den viele Unternehmen noch unterschätzen.

Um die Einstiegshürden so gering wie möglich zu halten, sollten ArbeitgeberInnen auch darüber nachdenken, Bewerbungen per Voice zu ermöglichen. Entweder über Chatbots oder Sprachnachrichten sollen die KandidatInnen auch die Option haben, sich auf eine Stelle per Voice-Nachricht zu bewerben. Den KandidatInnen sollte es so einfach wie möglich gemacht werden, ihren Job zu wechseln, indem die Bewerbungsart easy ist.

Active Sourcing im Treppenhaus der Hochschule

Active Sourcing gewinnt laut Prof. Dr. Lüthy immer mehr an Bedeutung. In Zukunft wird das gezielte, persönliche und aktive Zugehen auf mögliche BewerberInnen unheimlich wichtig sein, sowohl digital über LinkedIn & Co. als auch analog über Firmenkontaktmessen und auf dem Uni Campus.

Dieses Prinzip des Active Sourcing kommt insbesondere aus den USA, wo beispielsweise Beratungsunternehmen die Studierenden an Hochschulen direkt ansprechen und auf einen Kaffee einladen, um ihnen einen Arbeitsplatz anzubieten. In Deutschland bisher unüblich, scheint es sich allerdings im Zuge des demografischen Wandels und des Fachkräftemangels langsam durchzusetzen.

Die letzte Pizza, bevor du MitarbeiterIn wirst – das Pre-Boarding und das Onboarding

Prof. Dr. Lüthy bezeichnet das Pre-Boarding und das Onboarding als „den roten Teppich ab Vertragsunterschrift“. Insbesondere das Pre-Boarding, die Zeit von der Vertragsunterschreibung bis zum Tätigkeitsbeginn, wird von vielen Unternehmen noch vernachlässigt. Dabei sollte diese einen neuen Stellenwert bekommen und mit kleinen Aufmerksamkeiten gefüllt werden, die Freude machen. Diese Phase der Überbrückung sollte kreativ, lustig und sympathisch gestaltet sein, um die neuen MitarbeiterInnen bereits an das Unternehmen zu binden, bevor sie mit ihrer Tätigkeit überhaupt angefangen haben. Die Empfehlung von Prof. Dr. Lüthy ist dabei, die neuen MitarberiterInnen beispielsweise am Abend vor Tätigkeitsbeginn mit einer Pizza-Liferung zu überraschen, nach dem Motto„die letzte Pizza, bevor du Mitarbeiterin bei xy bist“.

Doch auch das Onboarding der MitarbeiterInnen kann und sollte noch professionalisiert werden, beispielsweise indem man mit ihnen von Beginn an spricht und ihnen Fragen stellt wie „Was läuft gut? Was läuft nicht gut? Was möchtest du gerne verändern? Was können wir dabei tun?“ Das wäre ein guter Abschluss der Candidate Journey, bei dem man sich „in den ersten sechs Monaten noch aneinander gewöhnen und vielleicht Schwachstellen abbauen kann“, so Prof. Dr. Lüthy.

Zur Person: Prof. Dr. Anja Lüthy ist Diplom-Psychologin und Diplom-Kauffrau. Seit 2001 ist sie BWL-Professorin an der Technischen Hochschule Brandenburg und nebenberuflich als Speakerin, Trainerin und Coach bundesweit tätig, überwiegend in Einrichtungen des Gesundheits- und Sozialwesens. Ihre Schwerpunkte sind Employer Branding, Online-Recruiting, Personalmarketing und New Work. Prof. Dr. Lüthy ist zudem Inhaberin von TCO (Training Coaching Outlet Berlin) und Gründerin des Frauen-Netzwerkes #FemaleHRexcellence.

Viele weitere Hacks als Checkliste oder das gesamte Interview als Podcast oder Text: HRM.de – Hacks zur erfolgreichen Candidate Journey

Kontakt zu unserem heutigen Podcast-Gast Prof. Dr. Anja Lüthy: aluethy – HRM.de

Tape Art Cover Bild by Max Zorn : http://www.maxzorn.com / https://youtu.be/iGqo7e-FN0s

Music by “Monsters of Rec: die HR & Recruiter Branchenband” https://www.hrm.de/unternehmen/monsters-of-rec/

Podcast Produktion: York Lemb – Employee Podcast https://www.hrm.de/unternehmen/employee-podcast/

Und wenn Ihr mal wieder auf der Suche nach Wein/Sekt für Euren nächsten HR-Event seid, dann wäre doch der: HR² Wein passend https://wein.hrm.de/

Viel Spaß mit dieser Podcast Folge.

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