Das Wertvollste jedes Unternehmens sind gesunde und leistungsfähige Menschen, denn diese sichern Innovation, Produktivität, Wettbewerbsfähigkeit und Wachstum, kurzum: Unternehmenserfolg.
Denn Arbeitgeber tun sichzunehmend schwer im Kampf um „kluge Köpfe“. Sie stehen vor der drängenden Frage, wie es angesichts sich verändernder Erwartungshaltungen der Arbeitnehmer, der Fachkräfteverknappung und der demografischen Entwicklung gelingen kann, qualifizierte Mitarbeiter zu halten und zu rekrutieren.
Doch gerade hinter einem professionellen BGM verbirgt sich großes Potenzial zur Mitarbeiter-Findung und -Bindung: „Gesund ist das neue Erfolgreich“, sagt Edgar Dockhorn, Regionaldirektor Süd bei der ias Aktiengesellschaft. Was darunter zu verstehen ist, erläutert der Experte für Gesundheit und Leistungsfähigkeit im Gespräch.
Herr Dockhorn, was hat Gesundheit mit Arbeitgeberattraktivität zu tun?
Dockhorn: Obstkörbe, Kickertische, eine ansehnliche Karrierewebseite und ein wöchentlicher Rückenkurs – ein Potpourri aus Maßnahmen hat wenig positive Effekte auf den Unternehmenserfolg, wenn es nicht strategisch durchdacht ist. Ganz einfach, weil es nicht zur Belegschaft und zu deren Aufgaben passt, sich nicht in die Unternehmenskultur einfügt und damit mehr oder weniger nach dem Gießkannenprinzip oder nur zufällig funktioniert.
Es zeigt sich, dass Unternehmen, die der Gesundheit ihrer Beschäftigten eine priorisierte Rolle einräumen, im Ranking um eine attraktive Arbeitgebermarke die Nase vorn haben: Eine Studie belegt den direkten Zusammenhang zwischen Betrieblichem Gesundheitsmanagement (BGM) und emotionaler Mitarbeiterbindung. Demnach fühlen sich Mitarbeiter aus Firmen mit BGM-Maßnahmen deutlich stärker an ihren Arbeitgeber gebunden als solche, denen diese Möglichkeiten nicht geboten werden.
Die Aspekte Gesundheit und Wohlbefinden zählen mindestens zu den Top 3 Werten der erwerbstätigen Bevölkerung, weit vor dem Wunsch ganz oben auf der Karriereleiter zu stehen oder einem hohen Verdienst. Wenn der Arbeitgeber das Wertesystem seiner Beschäftigten berücksichtigt und entsprechende Programme anbietet, beobachten wir eine positive Auswirkung auf die physische und psychische Gesundheit und die Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter.
Was raten Sie Unternehmen?
Dockhorn: Ein strategisch entwickelter Maßnahmenplan stellt sicher, dass das Angebot zum Unternehmen passt und den Bedürfnissen der Belegschaft entspricht. Letztlich ist der Erfolg dann am größten, wenn neben direkten als „gesund“ etikettierten Maßnahmen auch die weniger plakativen Bemühungen Wirkung zeigen: Unternehmens- und Mitarbeiterführung sollten im Ansatz und der Realisierung genauso „gesund“ wie das Kantinenessen sein. Dabei steht mehr die Balance als die Maximierung im Mittelpunkt: Nur leistungsfähige, gesunde Firmen sind auch erfolgreich.
Firmen, die in ihrem Angebot weiter gehen und neben Betriebssport und Obst auch Vorsorgeuntersuchungen und Schulungen – bspw. zu Themen wie Stressmanagement oder Resilienz anbieten, sind die attraktiveren Arbeitgeber und damit klar im Vorteil. Einen Fokus auf die psychische Gesundheit zu legen, ist vor dem Hintergrund der Arbeitswelt 4.0 nicht nur sinnvoll, sondern ist auch im Arbeitsschutzgesetz verbindlich geregelt, Stichwort: Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen.
Maßgeschneiderte Gesundheitsvorsorge nach genauer Analyse und Gefährdungsbeurteilung
Arbeitgeber gehen damit proaktiv den richtigen Weg, um mentale Belastungen für ihre Mitarbeiter frühzeitig aufzudecken und profitieren als Unternehmen in mehrfacher Hinsicht. Eine Gefährdungsbeurteilung hilft, Probleme zu versachlichen und schwierige Sachverhalte zu objektivieren. Bei einem solchen Projekt geht es nicht darum, die Mitarbeiter “in Watte zu packen”, sondern wichtige Impulse für die Organisationsentwicklung zu erhalten.
Ein Trumpf, den – leider – noch nicht jedes Unternehmen ausspielt. Doch im Wettbewerb um gute Arbeitskräfte müssen die Aspekte psychische und physische Gesundheit feste Bestandteile der eigenen Arbeitgebermarke werden. Damit positioniert sich das Unternehmen sowohl für junge als auch für ältere Arbeitnehmer als attraktiver Arbeitgeber – jetzt und in Zukunft.
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Die Digitalisierung lässt Raum-Zeit-Grenzen verschwinden. Warum wir dennoch Grenzen brauchen, um gesund zu bleiben.
Laut Arbeitszeitgesetz sollen Arbeitnehmer nach Beendigung der täglichen Arbeitszeit eine ununterbrochene Ruhezeit von elf Stunden haben. Soweit die Theorie. Zunehmend verschwimmen die Grenzen zwischen Arbeitszeit und Feierabend: In einer Studie der Initiative Neue Qualität der Arbeit (inqa) beklagen 29 Prozent der Befragten in Führungspositionen, dass sich Arbeits- und Freizeit immer mehr überschneiden.
Mitarbeiter arbeiten zunehmend auch außerhalb der regulären, vertraglich festgelegten Arbeitszeit in Form von Überstunden, Bereitschaftsdiensten, Rufbereitschaften oder „ständiger Erreichbarkeit“. Gerade bei Letztgenanntem handelt es sich um ein Phänomen, das erst durch die technischen Entwicklungen auf dem Gebiet der Kommunikation möglich geworden ist und oft über wirkliche betriebliche Erfordernisse hinausgeht.
Ständige Erreichbarkeit und Erholungsunfähigkeit
Ständige Erreichbarkeit in der Freizeit sorgt dafür, dass der Mensch keine ungestörten Erholungsphasen hat, sondern immer ein Stück weit gedanklich im Arbeitsmodus bleibt. Während der Arbeitszeit äußert sich Dauererreichbarkeit in permanenten Unterbrechungen durch neu eintreffende E-Mails und Telefonate, so dass der Arbeitnehmer sich nie zu 100 Prozent auf eine Aufgabe konzentrieren kann.
Wer keine Zeit mehr hat, Kraft zu schöpfen, ist irgendwann kraftlos.
„Die ständige Erreichbarkeit hat sich zunehmend in das Arbeitsleben eingeschlichen und betrifft immer mehr Beschäftigte“, bestätigt Gerlinde Wiemann, Psychologin der ias-Gruppe. „Kommt es über einen längeren Zeitraum zu einer unzureichenden mentalen Distanzierung von der Arbeit, so hat dies negative Auswirkungen auf die Gesundheit und die Leistungsfähigkeit der Betroffenen.
Wer keine Zeit mehr hat, Kraft zu schöpfen, ist schlichtweg irgendwann kraftlos.“ Dass die Erholungsfähigkeit dieser Mitarbeiter leidet und die Schlafqualität abnimmt, zeigt auch die inqa-Studie. Und: Forschungsergebnisse aus Medizin und Neurowissenschaften bestätigen längst die Bedeutung von Pausen und Auszeiten für die geistige und körperliche Gesundheit.
Volles Postfach bei Arbeitsantritt
Wer dabei der Digitalisierung und den neuen Kommunikationsmedien allein die Schuld an Überlastung, Stress und fehlenden Erholungsphasen gibt, verkennt das eigentliche Problem. Dieses ist weder die Erreichbarkeit an sich, noch das Vorhandensein neuer Kommunikationsmöglichkeiten, sondern die in den Unternehmen oft fehlenden eindeutigen Vorgaben über den gesunden Umgang mit ihnen.
Manchmal werden auch Regelungen angewendet, die nur die Symptome bekämpfen: Wenn Betriebe in den Abendstunden, nachts und am Wochenende die E-Mail-Kommunikation blockieren, führt das erfahrungsgemäß zu folgendem Szenario: Die E-Mails werden dennoch geschrieben, aber nicht zugestellt. Volles Postfach bei Arbeitsantritt garantiert. Den Mitarbeitern ist damit keinesfalls geholfen.
Ein Strudel, der sich immer schneller dreht
„Oftmals sind es die Mitarbeiter selbst, die aus freien Stücken außerhalb der Arbeitszeit immer wieder die Firmen-Mails checken oder selbst E-Mails schreiben. Sie verlernen dadurch, ihre eigenen Grenzen und Bedürfnisse achtsam wahrzunehmen“, weiß Psychologin Wiemann. Unternehmen rät sie, auch individuelle Verhaltensmuster der Arbeitnehmer zu berücksichtigen. Mitarbeitern, die einfach nicht abschalten können, ob aus Angst, Ehrgeiz oder anderen Motiven, sollten entsprechende Coachings angeboten werden.
Gerade hoch engagierte Fach- oder Führungskräfte sind davon häufig betroffen. Die Folge: Das Verhaltensmuster kann sich auf die Mitarbeiter übertragen und damit potenzieren. Ein Strudel der sich immer schneller dreht, bis hin zur kompletten Überlastung einzelner Mitarbeiter oder sogar ganzer Teams.
Reizüberflutung ein echter Risikofaktor
„Wenn eine ständige Erreichbarkeit gefordert wird oder die Unternehmenskultur diese stillschweigend voraussetzt, können die Auswirkungen dieser Reizüberflutung auf die psychische Gesundheit schwerwiegend sein“, weiß die Psychologin. „Ein Phänomen ist die Zunahme der Erholungsunfähigkeit, die in eine depressive Entwicklung oder ein Burn-out münden kann. Aber allein schon die Abnahme der Konzentrationsfähigkeit birgt wirtschaftliche und persönliche Risiken.
Der Mensch braucht etwa eine Viertelstunde, um sich in ein Thema hineinzudenken. In dieser Zeit checken Smartphone-Nutzer ca. zweimal ihr Telefon und unterbrechen damit ihren Gedankenfluss.“ Und selbst wer sich einmal strikt daran hält, nicht fortwährend (grundlos) auf das Handy zu schauen, wird immer wieder durch eingehende E-Mails oder Telefonate aus seinen Denkprozessen herausgerissen.
Lernen, die eigenen Grenzen wahrzunehmen
Doch wie können Unternehmen vermeiden, dass die Potenziale, die die neuen Kommunikationstechnologien bieten, wie Arbeit effizienter und zugleich vielschichtiger gestalten, einfach verpuffen und sich allein Negativfolgen zeigen? Psychologen, Ärzte und weitere Experten raten Arbeitgebern, ihren Beschäftigten entsprechende Themenworkshops anzubieten, in denen sie lernen, ihre eigenen Grenzen und Bedürfnisse achtsam wahrzunehmen, zu erkennen, wo sie selbst Raubbau mit ihren Kräften treiben oder sich einem Tempo unterwerfen, das weder ihrer Gesundheit noch ihrer Leistungsfähigkeit guttut.
Jeder Mensch braucht einen Boxenstopp
„Jeder Mensch braucht seinen persönlichen Boxenstopp, seinen Feierabend“, bestätigt auch Thomas Schneberger, Geschäftsführer der ias Unternehmensberatung. Er nimmt die Unternehmen in die Pflicht: „Die konkrete Ausgestaltung von gesunden und leistungsförderlichen Arbeitsbedingungen liegt in der Verantwortung der Unternehmensleitung. Sie muss die Balance finden zwischen den betrieblichen Anforderungen auf der einen und den Belangen der Beschäftigten auf der anderen Seite“, fordert Schneberger.
In der Praxis zeigt sich: Vielen Unternehmen ist der tatsächliche Belastungsgrad innerhalb ihrer Belegschaft gar nicht bekannt und noch viele weniger dessen Ursachen.
Ihre Maßnahmen zur Gesundheitserhaltung und -förderung laufen daher ins Leere. Doch neben der Begeisterung für die neuen Kommunikationsmöglichkeiten, die Raum-Zeit-Grenzen verschwinden lassen, führt die Digitalisierung bei Beschäftigten möglicherweise auch zu psychischen Belastungen, wie Versagensangst, dem Gefühl eines ständigen „auf Abruf stehen Müssens“ bis hin zu generellen Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes. Für Klarheit kann hier u.a. eine Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen sorgen. Sie hilft dabei, Risiken zu identifizieren, die die seelische Gesundheit der Beschäftigten gefährden.
Das digitale Morgen des Unternehmens gestalten
Im Sommer 2016 hat die ias-Gruppe im Rahmen einer Studie zur Digitalisierung nachgefragt. Das Ergebnis: Jeder zweite Befragte rechnet durch die Digitalisierung mit einer Zunahme mentaler Belastungen. „Aufgabe des Arbeitgebers ist es“, so ias-Vorstand Dr. Alexandra Schröder-Wrusch „die Beweggründe, wie beispielsweise Über- oder Unterforderung, herauszufiltern und konzeptionell anzugehen. Die Veränderungen, die der digitale Wandel mit sich bringt, sollten aus interdisziplinärer Sicht der Bereiche Arbeitsmedizin, Arbeitssicherheit, Arbeitspsychologie sowie aus Sicht des Leistungsfähigkeitsmanagements beleuchtet, unterstützt und gefördert werden.“
Dreh- und Angelpunkt ist und bleibt der Mensch
Unternehmen sollten sich bewusst machen, so Dr. Schröder-Wrusch, „dass Dreh- und Angelpunkt nicht die Technik ist, sondern der Mensch. Der Mitarbeiter, der sich mit technischen Neuerungen an seinem Arbeitsplatz konfrontiert sieht und damit umzugehen lernt, der auf seinem Weg auch einmal scheitert und die Kraft braucht, neu zu beginnen. Ihn zu unterstützen heißt, das digitale Morgen – auch des Unternehmens – zu gestalten.“
Positive Grundhaltung als Hebel
„Sowohl Fachexperten als auch Unternehmensvertreter und Arbeitnehmer sehen den Veränderungen, die der digitale Wandel mit sich bringt, hier und da kritisch, doch in vielen Aspekten positiv entgegen“, ergänzt ias-Vorstand Dr. Peter Wrogemann. „Die positive Einstellung ist eine große Chance, die die Unternehmen als Hebel nutzen sollten. Zugleich müssen die vorhandenen Ängste und Sorgen der Beschäftigten ernst genommen und behandelt werden, um die Potenziale für den Unternehmenserfolg ausschöpfen zu können.“