Wie gelingt es Unternehmen, Frauen für MINT-Berufe zu gewinnen? Mit dieser Frage beschäftigt sich Jasmin Joecks vom Institut für Wirtschaftspsychologie an der Kalaidos Fachhochschule. In ihrer Forschung untersucht sie die Auswirkungen verschiedener Instrumente für Gender Diversity sowie für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf in Unternehmen. Ihr Wissen teilt sie am 18. Mai 2022 auf der HR Tech, Software & Innovation in einem Keynote-Vortrag. Einige Einblicke gibt sie vorab im Interview.

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Foto von Julia Koblitz, Unsplash
Jasmin Joecks, Kalaidos Fachhochschule

Frau Dr. Joecks, warum gibt es nach wie vor so wenige Frauen in MINT-Berufen?

Auf diese Frage gibt es keine eindeutige Antwort, es gibt nur unterschiedliche Erklärungsansätze. Dabei gibt es überzeugende Argumente für eine Ausbildung oder ein Studium im MINT-Bereich. Im MINT-Bereich hat man einen relativ krisensicheren Beruf und damit verbunden sind gute Verdienstmöglichkeiten. Die Chancen auf dem Arbeitsmarkt sind ausgezeichnet. Genau dieses Argument nutzen einige Studien, um zu erklären, warum der Anteil von Frauen in MINT-Studienfächern in Ländern mit einem niedrigen Grad an Geschlechtergleichstellung und niedrigem Wohlstand höher ist – das sogenannte Gender Equality Paradox. Demnach ist der Prozentsatz der Frauen in MINT-Studienfächern umso höher, je frauenfeindlicher die Gesetzgebung und die gesellschaftlichen Konventionen sind. Es wird also angenommen, dass Frauen in Ländern mit hoher Gleichberechtigung ihren Präferenzen entsprechend entscheiden können frei von wirtschaftlichen Zwängen.

Es scheint folglich an den unterschiedlichen Präferenzen zu liegen. Fraglich ist nur, wie man diese unterschiedlichen Präferenzen erklären kann. Aus evolutionspsychologischer Sicht lässt sich argumentieren, dass Frauen und Männer aufgrund angeborener Neigungen bestimmte Berufe wählen, während man aus sozialkonstruktivistischer Sicht eher die Sozialisierung und Rahmenbedingungen ins Blickfeld nimmt. Ein Teil der Forschung unterstützt die eine Sichtweise, ein anderer Teil der Forschung die andere. Ein umfassender Forschungsüberblick von Cheryan und Kolleg:innen aus dem Jahr 2017 identifiziert insbesondere drei ineinandergreifende Faktoren, die erklären, warum weniger Frauen an MINT Berufen interessiert sind: erstens eine männlich dominierte Kultur in den Bereichen, zweitens fehlende Berührungspunkte in der Ausbildung und drittens geschlechtsspezifische Unterschiede in der Wahrnehmung der Fähigkeiten.

Wo können Unternehmen ansetzen, wenn sie mehr Frauen für MINT-Berufe gewinnen möchten?

Genau an den drei ineinandergreifenden Faktoren können Unternehmen ansetzen. Erstens geht es darum, eine „Female friendly culture“ in den Unternehmen zu schaffen, die Vereinbarkeit von Beruf- und Privatleben signalisiert. In einer eigenen Studie aus dem Jahr 2020 konnte ich zeigen, dass insbesondere die Unternehmen Frauen in ihren Leitungs- und Kontrollgremien haben, die zwei Jahre davor einen „Working Mother Award“ gewonnen haben. Dabei geht es nicht um die konkrete Nutzung eines solchen Awards, sondern darum, ein Signal zu senden, dass Karriere und Familienplanung vereinbar sind. Neben flexible Arbeitszeiten gelten Sonderurlaub oder Homeoffice zu den Möglichkeiten, die Vereinbarkeit Beruf- und Privatleben zu fördern. Das gilt unabhängig von der Branche. Es ist jedoch für die MINT-Branche ganz entscheidend, denn auch hier spielt die Passung zwischen Unternehmen und Arbeitnehmerin eine entscheidende Rolle bei der Rekrutierung und bei der langfristigen Zusammenarbeit.

Zweitens: Gerade wenn es um die Rekrutierung geht, können Unternehmen in den Schulen mit diversen Initiativen anfangen. Ein Schlüssel ist hier, Schülerinnen und Schüler für MINT zu begeistern, indem Unternehmen entsprechende Inhalte geschlechtergerecht aufbereitet werden. Es sind kleine Stellschrauben, die den Unterschied machen können. Auf der Website Minttolbox.de finden Unternehmen wertvolle praxisnahe Hinweise, wie sie Schülerinnen und Schüler fördern und für MINT begeistern können.

Und zum dritten Aspekt: Mädchen schätzen sich laut Studien wie der von Drescher und Kolleg:innen aus dem Jahr 2020 selbst in naturwissenschaftlichen Fächern oft schlechter ein als sie wirklich sind. Die Einschätzung hängt auch davon ab, ob sie in reinen Mädchenklassen oder in gemischten Klassen unterrichtet werden. In gemischten Klassen fällt das Selbstbewusstsein von Mädchen in naturwissenschaftlichen Fächern niedriger aus als in reinen Mädchenklassen. Diese Ergebnisse könnten sich auch auf die männerdominierte MINT-Branche übertragen lassen. Es fehlt an der weiblichen Selbstverständlichkeit. Wenn sich mal ein gewisser Prozentsatz an Frauen vorhanden ist, könnte das Selbstverständnis steigen und die Branche attraktiver werden.

Welche Rolle spielen dabei Mentorinnen und Vorbilder?

Mentoren und Vorbilder helfen ein Selbstverständnis herzustellen. Sie helfen geschlechtsspezifischen Stereotypen bezüglich technischer Berufe entgegenzuwirken und abzubauen. Daher spielen sie eine bedeutende Rolle. Mädchen und Frauen brauchen Vorbilder, mit denen sie sich identifizieren können. Das fängt früh in der Kindheit an, wie sie ihre Eltern erleben und hört im Unternehmen auf, wenn es darum geht, wie sie ihre Arbeitsumgebung erleben. Studien – zum Beispiel von Kahn und Ginther aus dem Jahr 2017 – zeigen, dass Rollenvorbilder, beispielsweise Familienmitglieder oder Lehrerinnen und Lehrer – Berufswünsche stark beeinflussen können. Auch kurzzeitige Interventionen mit Rollenvorbildern können effektiv sein für das Interesse von Schülerinnen an MINT-Themen, wie eine Studie aus Frankreich von Breda aus dem Jahr 2018 zeigt. Zu ähnlichen Ergebnissen kommt eine Studie von Microsoft aus dem Jahr 2017. Demnach interessieren sich 44 Prozent der befragten jungen Frauen für ein MINT-Studium, wenn sie Vorbilder haben, ohne diese sind es nur 22 Prozent. Diese Ergebnisse unterstreichen die Bedeutung von Vorbildern und zeigen einen großen Handlungsspielraum für Unternehmen auf.

Interview: BG

Veranstaltungstipp

HR Tech, Software & Innovation, 17.-18. Mai 2022, Köln (X-Post)