Deutscher Mittelstand im Dornröschenschlaf?

selective focus photography of people sits in front of table inside room
Foto von Annie Spratt

Ein Modewort kursiert durch die Republik. Kaum ein Tag vergeht, ohne dass die Medien nicht über Fachkräftemangel berichteten. Gleich ob aus dem Mund der Politiker oder Unternehmer, die Kassandrarufe sind nicht zu überhören: „Die Folgen der Alterung der Gesellschaft gefährden Wirtschaftswachstum und Wohlstand! Die Sozialsysteme stehen vor enormen Belastungen! Der Niedergang vieler Regionen ohne qualifizierte Arbeitskräfte ist nicht zu stoppen…“

Ende Mai reiste Arbeitsministerin von der Leyen nach Madrid, um gemeinsam mit ihrer spanischen Amtskollegin ein Abkommen zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit in Spanien ins Leben zu rufen. Ein Topf von – sage und schreibe – 139 Mio. €! Purer Altruismus, deutsche Generosität? Wohl kaum…

Der neue Präsident des DIHK, Schweitzer, wird indes nicht müde, für Zuwanderung in die Bundesrepublik zu plädieren. Alles nur Aktionismus? Keinesfalls!

Jetzt schon sind gut eine Million Arbeitsplätze hierzulande nicht besetzt. Durch die steigende Akademisierung fehlen mehr und mehr Auszubildende in den Betrieben. Die kluge Erfindung der Deutschen, das duale Ausbildungssystem, brachte von der Leyen nicht als Geschenk nach Spanien mit, sondern auch, um für deutsche Betriebe Auszubildende zu gewinnen. In den von der Wirtschaftskrise geplagten südeuropäischen Ländern wie Spanien, Portugal, Griechenland, zunehmend auch in Frankreich und Italien, gibt es einen Überschuss an arbeits-, migrationswilligen und zugleich hochqualifizierten Menschen. Es ist nicht mehr die Generation der niedrigqualifizierten Gastarbeiter, die in den 50ern und 60ern der Ökonomie Deutschlands mit ihrer billigen, nützlichen Arbeitskraft halfen. Die Enkelkinder dieser Zuwanderer stellen ein ganz anderes Kaliber dar.

Werden aber diese Tatsachen vom deutschen Mittelstand überhaupt wahrgenommen? Unser Land hat eine lange Tradition als Exportweltmeister. Das Angebot an ausländischen Fachkräften zu beanspruchen, fällt aber deutschen Unternehmen offenbar schwer. In Sachen qualifizierte Willkommens- sowie Integrationskultur steckt die Bundesrepublik im Vergleich zu insbesondere Kanada und Australien noch in den Kinderschuhen.

Dabei verliert der Hochmut der Arbeitgeber im Rekrutierungsprozess nach und nach Daseinsberechtigung. Die Knappheit der wertvollsten aller Ressourcen, nämlich des Mitarbeiters, lässt die Machverhältnisse zu dessen Gunsten unaufhaltsam verschieben. Deutschland kommt ohne qualifizierte Zuwanderung bald nicht mehr aus. Qualifizierte Zuwanderung bedeutet aber auch, dass die Fachkräfte ihre Ansprüche stellen werden. Sollten Sie sich entscheiden, zu Unternehmen ohne einen bekannten Namen, ohne Arbeitgeberattraktivität zu gehen, dann müssen diese ihnen den Wechsel schmackhaft machen. Denn die zahlreichen deutschen Hidden Champions, echte Weltmarktführer, sagen einem Polen, Griechen oder Portugiesen nichts.  Aus diesem Grund sollten sich diese Perlen der deutschen  Wirtschaft zu einer hübschen Braut stylen. Kulturelle Barrieren, Sprachbarrieren, populistische Vorurteile dürften keinen Platz mehr in unserer Volkswirtschaft haben. Sie sind im globalisierten Europa des 21. Jahrhunderts nicht mehr zeitgemäß.

Daher – deutscher Mittelstand, der Du das Rückgrat der Wirtschaft dieses Landes bleiben willst, denke um, öffne Dich einer neuen Zuwanderungs- und Willkommenskultur! Ausländische Fachkräfte sind ein Gewinn für uns alle, in mehrfacher Hinsicht!