Ohne Bewerber-Management-Software (BMS) kommt heute kaum ein Arbeitgeber aus. Bewerber erwarten professionell gestaltete Prozesse – und IT-Lösungen, die die softwaregestützte Bearbeitung von Recruiting-Tätigkeiten entlang des Recruiting-Prozesses unterstützen und abbilden, sind dabei ein entscheidender Faktor. BMS soll vor allem den administrativen Aufwand minimieren und die Qualität der Einstellungen und das positive Bewerbererleben steigern. Sie versprechen ihren Anwendern viel: Kostenreduktion, Zeitersparnis, bessere Workflows und zufriedene Bewerber – und Recruiter.

Das erste Problem: Der Markt an Softwareanbietern hat sich in den letzten Jahren explosionsartig vergrößert. Die Angebote haben sich mit Blick auf ihren Leistungsumfang erweitert, sodass es schwerfällt, sich einen Überblick zu verschaffen. Das zweite Problem: Wie finden Anwender in Unternehmen die passende Lösung? Angesichts der stetig wachsenden Anzahl an System-Features und vieler technischer Details stehen die Entscheider oftmals hilflos da. Es ist also entscheidend sich zunächst einen Überblick über das aktuelle Angebot zu verschaffen und dann zu schauen, welche Auswahlkriterien mit Blick auf den eigenen Bedarf entscheidend sind.

Vom Einzelsystem zur Systemlandschaft

Zunächst also ein Blick auf den Markt. Waren vor einigen Jahren Softwarelösungen als nicht miteinander verbundene Einzelsysteme im Einsatz, so wachsen sie heute immer mehr zusammen und bilden als ganzheitlich verknüpfte IT-Systeme Lösungen für viele verschiedene Aufgaben und Anforderungen. Das können wir aus zwei Perspektiven betrachten: der inhaltlichen und der technischen Sicht.

Aus inhaltlicher Sicht ist die einfachste Art das Bewerbermanagementsystem oder das Applicant Tracking System (ATS). Wenn man so will, die systemische Fortsetzung der in HR-Abteilungen oftmals sehr geschätzten Excel-Tabellen. Der Grundgedanke dieser Systeme ist das papierlose Managen von Bewerberinnen und Bewerbern in Form einer funktionalen Datenbank. Diese Datenbanken wurden dann mit der Zeit in ihrem Funktionsumfang wesentlich auf Kandidatenbedarfe zugeschnitten und in alle Richtungen erweitert. So wurden aus der einstigen Datenbank integrierte Systemlandschaften geschaffen, die von Talent Relationship Ansätzen, CRM-Software Ad-Ons, Community-Management-Möglichkeiten und weiteren Schnittstellen eigentlich alle Bereiche des derzeit modernen Social Recruiting abdecken.

In vielen Unternehmen sind diese oft Teil einer umfassenden Talent-Management-Lösung, die mit Blick auf den Dreiklang finden-binden-entwickeln wiederum verschiedene Lösungen unter einem Dach zusammenfasst und den ganzen Employee-Life-Cycle abdeckt.

Die technische Perspektive

Aus technischer Perspektive fällt vor allem auf, dass die so genannten On-Premise-Lösungen zunehmend von Cloud-Computing abgelöst werden. Wurden früher vor allem die großen, sehr umfänglichen IT-Systeme in der Regel auf firmeneigenen Servern installiert, dort gewartet und auch verwaltet, wandern seit einigen Jahren diese Systeme in die Cloud. Das bedeutet, die komplette Software, die Daten und die Verwaltung findet nicht mehr auf den eigenen Servern statt, sondern in einem riesigen Online-Netzwerk von sogenannten Remote-Servern. Für das Cloud-Computing existieren ebenso verschiedene Anwendungsmodelle. Bei Bewerbermanagement-Systemen kommt dabei die Dienstleistung Software-as-a-Service (kurz SaaS) zum Einsatz. Bei diesem Modell stellt ein Softwareanbieter eine Software in einer Cloud seinen Kunden als Dienstleistung zur Verfügung.

Drei Trends bestimmen derzeit die Entwicklung

Dabei sind derzeit drei Trends entscheidend: Daten, künstliche Intelligenz und intelligente Schnittstellen. Daten sind im Personalwesen und im Recruiting nicht mehr wegzudenken – und BMS werden zunehmend zur ersten Instanz des Data Driven Recruitings und bieten dafür immer breitere Analytics an. Die Datenerhebungen sollten dabei die komplette Candiate Journey erfassen und berechenbar machen. Beginnend bei der eigenen Website über die Ausschreibungskanäle bis hin zum kompletten internen Bewerber-Funnel sollten alle Messpunkte integrierbar sein. Diese Daten werden dann mit Lösungen für die Analyse auch für strategische Entscheidungen aufgearbeitet.

Genau hier setzt der zweite, wohl derzeit am meisten diskutierte Trend an: die Künstliche Intelligenz (KI). Sie soll in BMS nicht nur helfen Daten zu verstehen, um sie richtig interpretieren zu können. KI wird in Bewerbermanagement-Systemen derzeit vor allem in der Phase der Vorauswahl, also bei der ersten Interpretation von eingegangen Bewerbungen eingesetzt. Hier werden Lebensläufe eingelesen mit Stellenausschreibungen abgeglichen und entsprechende Prognosen abgegeben.

Nicht zu unterschätzen sind als dritter Aspekt intelligente Schnittstellen der Systeme. Die Recruiting-IT-Landschaft wird immer granularer und die Angebote nehmen zu. Daher müssen führende Systeme wie BMS offen für weitere Applikationen und Systeme sein, um den Recruiterinnen und Recruitern einen guten Workflow mit wenigen Brüchen zu bieten. Gemeint sind nicht nur Jobbörsen-Schnittstellen, sondern auch Zugänge beispielsweise von Online-AC Anbietern, Datenzugängen von Performance-Marketing-Agenturen oder die Integration von Video-Bewerbungen.

Die richtige Wahl – so finden Sie die passende Lösung

Aus praxisbezogener Perspektive und auch Erfahrung lässt sich leider feststellen, dass es eine Mär ist von perfekt passenden Systemen zu sprechen. Ein sogenannter Best Fit lässt sich oft nicht realisieren, weil die Lösungen eben – der Cloud-Idee folgend – zugleich mehreren Unternehmen zur Verfügung gestellt werden. Auch wenn die Verantwortlichen in den einzelnen Unternehmen viele individuelle Einstellungen vornehmen können, bleiben die Möglichkeiten zur Individualisierung doch überschaubar – oder schlagen mit zusätzlichem Aufwand zu Buche.

Erst war der Prozess, dann kommt das System

Die Praxis zeigt immer wieder, dass bestehende Recruiting-Prozesse und BMS einfach nicht gut zusammenpassen wollen. Beide müssen zueinander finden, meistens mit Verlusten auf Seiten des Recruiting-Prozesses, der im modernen Social Recruiting derzeit einen neuen Grad an zielgruppenspezifischer Individualisierung erfährt. Es fehlt die digitale Reife.

Für das Recruiting müssen grundlegende Fragen gestellt werden: Ist meine Recruiting-Organisation soweit, alle technischen Neuerungen umzusetzen, oder benötigen wir vorher einen grundlegenden organisationalen Change? Zudem ist zu klären, ob auch die Zielgruppen mit all den Features und Tools zurechtkommen und ob diese ihren Ansprüchen entsprechen. Hier zeigt der aktuelle Bewerberreport von Softgarden, dass Bewerberinnen und Bewerber nur maximal 10 Minuten für ein online Bewerbungstool zu investieren bereit sind. Darüber hinaus wird im Softgarden-Bewerberreport deutlich, dass neben dem Online-Formular (Platz 2), die Bewerbung per E-Mail am besten abschneidet. Vor diesem Hintergrund sind zum Beispiel Systeme, die einen Log-In-Bereich anbieten, kritisch zu hinterfragen.

Die wichtigste Frage zum Schluss: Welches ist das beste System?

Die wichtigsten Fragen kommen immer am Schluss: Wer ist denn nun der Branchen-Primus und welches System kaufe ich mir denn nach welchen Kriterien am besten ein? Um ein wenig Licht ins Dunkel zu bringen, helfen in einem ersten Schritt Studien und Benchmarks weiter, denen in aller Regel strukturierte Einkaufsprozesse und Anbieter-Pitches folgen sollten.

Solch eine Befragung führt alljährlich das Institute for Competitive Recruiting (ICR) durch und kürt anhand unterschiedlicher Bewertungskriterien die Best-in-Place Systeme. Das Besondere an dieser Befragung ist, dass hier die System-Benutzer und nicht die Hersteller oder andere Interessengruppen befragt werden – was zu einem soliden Ergebnis führt.

In der Hauptkategorie wurden die teilnehmenden Systeme über alle oben genannten Kriterien hinweg bewertet. In einem zweiten Schritt wurden die Systeme nach Unternehmensgrößen, hier nach dem Volumen der jährlichen Einstellungen unterteilt. Dies ermöglich einen sehr guten ersten Schritt in der Marktsondierung.

Für Unternehmen mit 1 – 50 Einstellungen pro Jahr ist der Testsieger: coveto
Für Unternehmen mit 51 – 100 Einstellungen pro Jahr ist der Testsieger: Rexx
Für Unternehmen mit 101 – 500 Einstellungen pro Jahr ist der Testsieger: eRecruiter
Für Unternehmen mit 501 plus Einstellungen pro Jahr ist der Testsieger: Beestite

Vertiefend lassen sich weitere Ergebnisse: Datensicherheit ist eines der wichtigsten Themenfelder bei Bewerbermanagement-Systemen. Hier schnitten folgende Systeme am besten ab:

Platz 1: ePunkt-eRecruiter
Platz 2: d.vinci (easy)
Platz 3: Beesite

Auch die Bereitstellung von Controlling-Daten wurde von den Befragten Nutzern als sehr wichtig eingeschätzt. Auch hier ergab sich folgende Rangfolge:

Platz 1: Coveto
Platz 2: ePunkt-eRecruiter
Platz 3: Rexx

Abschließend lässt sich feststellen, dass die Auswahl und die Entscheidung, für oder gegen ein System eine der zentralsten Aufgaben im strategischen Recruiting geworden ist. Die Systeme sind in ihrer Wirkung so mächtig und vielfältig, dass eine Fehlentscheidung auf allen Seiten des Systems zu Unmut führt, ein passendes System jedoch die Recruiting-Wertschöpfung um ein vielfaches erhöhen kann.

Autor: Michael Witt

Michael Witt, selbstständiger Recruiting- und Personalmarketingberater, Stuttgart
Michael Witt war von Beginn seiner beruflichen Tätigkeit im Spannungsfeld zwischen Menschen und Arbeit tätig. In seinen beruflichen Stationen bei Voith Industrial Services (heute Leadec und Veltec) oder der Schwarz-Gruppe arbeitete er in leitenden Recruiting- und Personalmarketing-Funktionen, die sich mit allen Facetten des nationalen und internationalen Recruitings und Personalmarketings auseinandersetzten. Für seine Arbeit wurde er mehrfach ausgezeichnet und gilt als einer der innovativen Köpfe der Szene. Zudem ist Witt Gründer des Recruiter-Slam und der HR Tec Night und arbeitet als Blogger, Podcaster und Buchautor. Als selbstständiger Berater unterstützt Witt heute Unternehmen bei der Recruiting- und Personalmarketingorganisation.