Auf Nimmerwiedersehen: Das Normalarbeitsverhältnis

Einig sind sich Kommentatoren und Studienpräsentatoren darin, dass es die so genannten „Normalarbeitsverhältnisse“ nicht mehr gebe. Xing-User begründen dies damit, dass die von Arbeitnehmern gewünschte Sicherheit angesichts des wirtschaftlichen Auf und Ab von Unternehmensbilanzen nicht mehr zu gewährleisten sei. Wobei sie der Politik ankreiden, durch kontraproduktive Gesetzgebung zu verhindern, dass Unternehmen alternative Beschäftigungsformen entwickeln. Als Beispiel werden Auflagen zur Beurteilung einer „selbständigen Arbeit“ und die Folgen bei Verstoß genannt.

Während User über die harte Fakten von Normaljobexekution diskutieren, führt Thomas Vollmoeller vergleichsweise weiche Faktoren bei seiner Ansprache ins Feld: „Das ‚Normalarbeitsverhältnis‘ gibt es nicht. Denn es gibt auch nicht den ‚Normal-Menschen‘ oder den ‚Normal-Mitarbeiter‘ mit ‚normalen Bedürfnissen‘. Deshalb gibt es auch keine idealen Arbeitsbedingungen. Die Komplexität der individuellen Lebensentwürfe ist zu hoch, als dass wir sie schematisch abbilden und strukturieren könnten“.



Lassen wir die Unternehmen mal machen

Gesetzte Worte fand der CEO auch für mögliche Handlungsmaßgaben, die sich aus der Studie für die Praxis ergeben: „Lassen wir die Unternehmen mal machen. Und lassen wir die Wissensarbeiter machen. Unterstützen wir sie. Erlauben wir ihnen mehr Buntheit. Zwängen wir sie nicht in Korsetts. Geben wir ihnen den Raum, damit sie ihre Ideen äußern und entwickeln können. Nach Ergebnissen, nicht Arbeitszeit bezahlt werden zu können. Wer neu, quer oder anders denkt, braucht dazu die Freiheit, das tun zu dürfen. Und keine engen Schablonen“. Bezug nach Vollmoeller zur Untermauerung seiner Thesen auf Lebensstile im Silicon Valley; diese, und nicht Kapital und Know-how seien die eigentlichen Erfolgsfaktoren. Ob Reinigungsfrauen, LKW-Fahrer, Teamassistenten in Call-Centern, Schlachter und Rechtsanwälte von derlei Empfehlungen profitieren? Für welche Berufsgruppen ließe sich ein Silicon Valley bauen? Es bleibt zu wünschen, dass zumindest die Leser der Studie derselben wertvolle Hinweise für ihre Praxisarbeit entnehmen können. Für die Mehrheit der Arbeitnehmer ist Know how und Kapital dennoch die Basis ihres Lebens. Lebensstil kommt danach. P.S. Unternehmen sind nicht der Hort der Weisheit, sondern der Notwendigkeiten. Dass diese nicht zuletzt über die Geschicke eines Landes entscheiden, das ist Sache von Bürgern, Staat und Wirtschaft. 

architectural photography of black and brown hallway
Foto von Nastuh Abootalebi

 

 

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Konzeptpflaster für Arbeitsmarktwunden?

Konkret: Wenn tatsächlich mehr als 60 Prozent der Befragten mit einem Vollzeitgehalt keine Familie ernähren können und Jobsicherheit der Mehrheit der Befragten lieber ist als Selbstbestimmung (67 Prozent), wie mag es dann in den Ohren der Studienteilnehmer klingen, wenn Thomas Vollmoeller in seiner Ansprache sagt: „Lasst uns in den Unternehmen – frei nach Willy Brandt – mehr Demokratie wagen. Mehr Transparenz, Mitbestimmung – und das jenseits althergebrachter Strukturen. Menschen sind verschieden, Unternehmen sind verschieden. Lasst uns diese Verschiedenheit fördern und nicht nivellieren.“ Während Beschäftigte also kaum das Nötigste im Leben zahlen können, denken Arbeitsmarktstrategen über Kulturthemen nach. 

Derlei Spannungen zwischen Realität und Anspruch nehmen auch Xing-User wahr. L.A. Harth schreibt: Wenn auch die Überschriften der Studie eher das Positive herausstrichen, müssten die Ergebnisse doch zu denken geben. Beachtlich sei die Menge derer, die ihren Vorgesetzten negativ beurteilen (etwa 2.000). Diese Tatsache sei keine gute Grundlage für Kreativität, die eine Wohlfühl-Atmosphäre voraussetze. Im Kommentar heißt es weiter: „Und wenn circa. 29 Prozent der arbeitenden Bevölkerung glauben mit ihrem Gehalt eine Familie nicht ernähren zu können, dann ist es bedenklich, denn der Trend geht unbeirrt weiter: Einerseits zur Automatisierung und Rationalisierung, das heißt weniger Arbeitsplätze. Andererseits steigt die Bemühung um günstigere Stundensätze, das bedeutet eine Verschärfung der Lage“.

Userin Birgit Bernhardt stolpert bei der Studienlektüre über die Kombination dieser Einzelresultate: “‘Sicherheit ist der Mehrheit der Befragten wichtiger als Selbstbestimmung‘. Gleichzeitig aber auch: ‚Die Hälfte der Arbeitnehmer wünscht sich eine stärkere Beteiligung der Beschäftigten an Entscheidungen.‘ Und dann zu den Arbeitgebern: ‚Fast jeder dritte Arbeitgeber unterstützt Vereinbarkeit von Familie und Beruf nicht.‘ Das sind enorme Diskrepanzen für mich und riecht nach Motivationshemmern – Aussichtslosigkeit – Resignation – Aufgeben - Stagnation.“

Studienergebnisse sind immer streitbar. Während für Trendpropheten und viele Politiker Prozentzuwächse bei Umfragen zu wirtschafts- und gesellschaftspolitisch schwierigen Themen im einstelligen Bereich Fortschritt anzeigen – siehe Thema Frauenquote, bewerten andere Leser die Datengrundlage negativ. Für sie klingt das Adjektiv „schon“ wie ein „immer noch nicht“.

Über derlei Lesarten lässt sich auch trefflich zur großen Xing Arbeitnehmerstudie "Kompass Neue Arbeitswelt" debattieren. Erstellt wurde diese im März und April dieses Jahres vom Hamburger Meinungsforschungsinstitut Statista. Präsentation des Werkes war am 28. April in Berlin; vor rund 80 geladenen Gästen aus Politik, Medien und Wirtschaft. Am Podium der Studienbesprechung saßen unter anderem Dr. Adriane Hartmann von Statista, Benjamin Mikfeld als Strategie-Chef des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales und Ex-Personal-Vorstand und Publizist Thomas Sattelberger.

Die Ansprache von Xing Geschäftsführer Thomas Vollmoeller zeigte, dass die Antworten der 4.000 Beschäftigten den Experten weniger dazu diente, auf Fehlstellungen in der Praxis einzugehen, als vielmehr die aktuell in HR-Kreisen viel beschworene Transformation der Arbeitswelt voranzutreiben.