Ein gutes Beispiel einer regelmäßigen Feedbackkultur ist das Jahresendgespräch. In den meisten Unternehmen sind die Zeiten vorbei, in denen ein solches Gespräch nur einmal im Jahr und „top-down“ abgehalten wurde. Eine solche Form von Gespräch ruft Erinnerungen an die Schulzeit hervor, wenn man nach einem Referat von seinen Mitschülern mehr oder weniger „gegrillt“ wurde. Dieser Moment hat sicherlich so manchen von uns damals zittern lassen. Solche Ansätze in der Arbeitswelt sind entsprechend ähnlich unkonstruktiv und belastend für alle Beteiligten. Mittlerweile sind aus der jährlichen Aussprache mehrstufige Intervalle geworden, deren Inhalt sich aus mehreren Gesprächen innerhalb eines Jahres speist. Wurde das Jahresendgespräch früher meist als eine Bestandsaufnahme zur Leistung wahrgenommen, bei dem nur die Frage nach der Zielvereinbarung für das kommende Jahr und die eventuelle Gehaltserhöhung im Vordergrund stand, so ist es heute eine Unterhaltung auf Augenhöhe, ein Dialog.

MacBook Pro on table beside white iMac and Magic Mouse
Foto von Domenico Loia

Vom „agilen Mindset“ zur ausgeprägten Feedbackkultur

Der größte Wandel ist aber nicht nur die Art und Weise des Mitarbeitergesprächs, sondern, dass sich das zu Grunde liegende Verständnis von Projektarbeit und ihrer Bewertung weiterentwickelt hat. Das oft zitierte „agile Mindset“ verspricht, dass Projekte und Ziele sich dynamisch entwickeln und sich daher nicht vorab vollständig planen lassen. Dieses hat natürlich direkte Konsequenzen für die Mitarbeiterführung und Mitarbeiterbewertung. Ein „agiles Mindset“ eines Unternehmens wird in Zeiten von Digitalisierung und einer Unternehmenskultur, die über hierarchische Strukturen hinweg denkt, immer interessanter. Was vor vielen Jahren noch als Unfug abgetan wurde, ist mittlerweile in vielen Firmen an der Tagesordnung. Eine interaktive Zusammenarbeit mit hoher Selbstverwaltung im Team und Mut zum kalkulierbaren Risiko sind nur einige Charakteristika dieses Szenarios. Viele, vor allem junge Mitarbeiter finden diese Art der Zusammenarbeit reizvoll und entscheiden sich im Bewerbungsprozess eher für jenen Arbeitgeber, der sich Agilität auf die Fahne geschrieben hat. Durch vermehrte Verantwortung im Unternehmen entwickeln sich Mitarbeiter auch stärker in ihrer Rolle. Eine bessere Identifikation mit der Aufgabe bringt Motivation und beflügelt ihr Tun.

Diese neuen Arbeitsprozesse erfordern nun auch ein Umdenken hin zu einer ausgeprägten und umfassenden Feedbackkultur, denn Führen und vor allem der Umgang mit Fehlern in diesen neuen dynamischen Strukturen will gelernt sein. Respekt, Vertrauen und eine offene Kommunikation sind wesentliche Grundlagen in der unternehmerischen Praxis. Feedback geben und auch Feedback zulassen ist Teil unserer neuen Arbeitswelt geworden. Doch Kommunikation, nicht nur in Grenzsituationen, will gelernt sein und die Königsdisziplin ist nun, diesen Dialog auch in Einklang mit der „Arbeitswelt 4.0“ zu bringen, wo Dynamik und digitale Transformation an der Tagesordnung stehen. Durch die veränderte Zusammensetzung eines Teams über Ressortgrenzen und Hierarchiestufen hinweg, haben sich in einem agilen Unternehmen verschiedene Projektteams gebildet, die auch unterschiedlich angesprochen werden müssen. Als Resultat dieser neuen Kultur fordern Mitarbeiter mehr denn je Feedback ein, und zwar auch von Teammitgliedern des gleichen oder ähnlichen Levels. Dieses „Peer Feedback“ ist eine gute Möglichkeit für die Mitarbeiter, unkompliziert und selbstbestimmt in den Dialog zu treten. In der Regel kommt das Feedback von direkten Team-Mitgliedern sowie von Kollegen aus anderen Abteilungen, mit denen man die meisten Schnittpunkte hat. Diese Art eines informellen 360-Grad-Feedbacks, welches aus erster Hand kommt, wird in Zeiten von Teams, die auf der ganzen Welt verstreut sind, immer wichtiger und aussagekräftiger. Natürlich ersetzt dieses „Peer Feedback“ nicht komplett das Jahresendgespräch, trägt jedoch wesentlich zu dessen Erfolg bei. Ganz nebenbei fühlt sich das involvierte Team gehört, wertgeschätzt und motiviert, was andere positive Trigger in Bewegung setzt.

Negative Kritik und Fehlerakzeptanz

Damit Gespräche wie diese auch erfolgreich verlaufen, braucht es Zeit und Mut und auch die Bereitschaft, offen zu diskutieren. Der ein oder andere Mitarbeiter benötigt eventuell auch ein Coaching, wie Gespräche dieser Art zu führen sind, denn nicht immer fühlt sich ein Mitarbeiter oder eine Führungskraft erfahren genug, um in die Rolle des Feedbackgebers bzw. des Moderators zu schlüpfen. Im Idealfall schätzt es jeder Kollege, wenn seine Meinung zählt und man dadurch Aufgaben und Prozesse mitgestalten kann. Das daraus resultierende konstruktive Leistungsklima, mit dem sich alle Teammitglieder identifizieren, ist die Quintessenz modernen Führens.

Ein positives Feedback dreht sich um Fortschritt und um Motivation, Anerkennung und ein Abholen des Gegenübers, wenn dieser Unterstützung braucht. Negative Kritik steht nicht im Mittelpunkt. Eher sollte durch kritische Fragen ein Umdenken bzw. Nachdenken des Gegenübers angeregt werden.

Andererseits ist auch klar, dass eine moderne Feedbackkultur innerhalb eines Teams als hauptsächliche Bewertungsstruktur ein Idealfall ist. Es wird immer Anlass für ein Mitarbeitergespräch geben, welches ganz im Fokus von Kritik und den Umgang mit Fehlern stehen muss. In diesem Fall bietet sich ein Einzelgespräch mit dem Mitarbeiter an. Fehler passieren und modernes Empowerment kommt nicht ohne Fehlerakzeptanz aus.

Die Führungskraft als „Change Agent“

Doch auch in Kritikgesprächen wandelt sich das Blatt langsam aber stetig und der neue Mut vom starren zum agilen Führen bricht alte Strukturen auf. Vor einigen Jahren wurden Kritikgespräche meist in der altbewährten Form „Manager diszipliniert Mitarbeiter“ geführt und man begegnete sich so gar nicht auf Augenhöhe. Mittlerweile setzen viele Unternehmen auch hier auf die Zufriedenheit des „internen Kunden“ als wesentliche Ausrichtung in der Zusammenarbeit. Die Führungskraft tritt als Partner, als „Change Agent“, auf und klärt aktuelle Arbeitshindernisse der Mitarbeiter. Sie moderiert Gespräche eher, statt diese zu leiten und ermöglicht dem Gegenüber durch offene Fragen und Verständnis, die Situation noch einmal aus einem anderen Blickwinkel zu beleuchten. Mitarbeiter werden auch hierbei motiviert, ihre eigene Meinung zu vertreten.

Empathie kann man lernen und wir sollten anerkennen, dass wir alle zuvor schon einmal etwas im Job verpfuscht haben. Wenn wir unsere „Direct Reports“ dazu ermutigen, zuzuhören, wie man seine eigenen Fehler wahrgenommen hat, hilft dies nachhaltig Vertrauen zu schaffen.

Die Feedback-Kultur ist eine große Herausforderung, insbesondere was positive aber auch negative Rückmeldungen zur Arbeitsleistung betrifft. Im Idealfall ist jede Kritik konstruktiv und der Mitarbeiter kann daraus etwas für sich lernen. Die zentrale Frage aber, die sich jeder vor Gesprächen dieser Art stellen sollte, ist immer noch: „Wie würde ich mich fühlen, wenn ich kritisiert werde?“ Dieser gedankliche Rollentausch hilft oft mehr als ein kurzes Zuklappen des Laptops und einmal um den Block zu laufen.