Seit rund 70 Jahren stellt die Fraisa AG in Bellach Fräs-, Gewinde- und Bohrtechnik her. Mit 443 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und einer Exportquote von 80 Prozent ist Fraisa ein typisches Schweizer KMU. Durch die Internationalisierung des Wettbewerbs am heimischen Markt ist der Betrieb seit Anfang der achtziger Jahre selbst zu direkten Investitionen im Ausland gezwungen. Fraisa hat in den letzten Jahren Vertriebs-, Service- und Produktionsstandorte in verschiedenen europäischen Ländern und den USA aufgebaut, insgesamt gehören zur Fraisa Holding mittlerweile sieben ausländische Firmen mit zehn Standorten. Am Beispiel der 2001 in den USA gegründeten Vertriebsniederlassung und der 2003 eröffneten Produktionsstätte in Ungarn soll im Folgenden erläutert werden, welche HR-Strategie dabei verfolgt wurde und welche Hürden die Personalabteilung meistern musste.

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Foto von Alex Knight

Standortentscheidung
Für den geplanten ausländischen Produktionsstandort prüfte die Fraisa im Vorfeld drei alternative Standorte: China, Tschechien und Ungarn. Bereits in der ersten Phase der Überlegungen schied China aus, da man sich zunächst weiterhin auf Europa als Kernabsatzmarkt konzentrieren wollte. Die Entscheidung fiel schließlich für Ungarn. Ausschlaggebend waren die kulturelle Nähe Ungarns zum deutschsprachigen Raum sowie die politische Stabilität des Landes. Darüber hinaus ist das ungarische Rechtssystem dem deutschen sehr ähnlich. Für den Standort USA spielten hauptsächlich Überlegungen zur Vertriebsstruktur eine Rolle. Lange Zeit hatte die Fraisa den amerikanischen Markt wegen des dort gültigen imperialen Maßsystems, für das eigens Werkzeuge in Inchmaßen hätten produziert werden müssen, außen vor gelassen. Da jedoch Anfang 2000 alle europäischen sowie einige asiatische Länder bereits mit Werksvertretungen abgedeckt waren, wollte man den Markteintritt in die USA wagen.

Die ersten Schritte
Anders als in Großunternehmen, bei denen die Personalabteilung bei den Planungen einer Auslandsniederlassung oft erst hinzugezogen wird, wenn schon alle strategischen Entscheidungen gefallen sind, waren die Personalverantwortlichen der Fraisa vom ersten Tag an mit im Boot. Die Geschäftsleitung der Fraisa betrachtete die HR-Strategie als eine wichtige Säule der Gesamtstrategie der Auslandsgesellschaft. Ob der Aufbau einer Auslandsniederlassung erfolgreich ist, hängt letztlich von den Personen ab, die das Projekt vor Ort vorantreiben. Für das Basisteam (Geschäftsführer plus drei bis fünf weitere Mitarbeiter) war deshalb die Personalauswahl besonders entscheidend und nahm auch die meiste Zeit in Anspruch. Sowohl in Ungarn als auch in den USA vergingen von den ersten Überlegungen bis zum Start der Gesellschaft zwölf bis 18 Monate.

Rekrutierungsstrategie
Aus Sicht des Personalmanagements war es wichtig, von Anfang an eine kulturelle Brücke zwischen den ausländischen Standorten und dem Stammsitz in der Schweiz zu schaffen. Um eventuelle Probleme aufgrund von kulturellen Differenzen zu berücksichtigen und in die internationale HR-Strategie zu integrieren, haben die Personalverantwortlichen der Fraisa ein besonderes Augenmerk auf die Rekrutierungsstrategie, vor allem im Bereich der Führungskräfte, für die neuen Standorte gelegt. Folgende Optionen wurden durchdacht:

  • Mitarbeiter vom Wettbewerber in der Schweiz rekrutieren und entsenden
  • eigene Nachwuchskraft entsenden
  • Mitarbeiter direkt im Ausland rekrutieren
  • Mitarbeiter im Ausland rekrutieren, jedoch speziell solche mit soziokulturellem Bezug zur Schweiz oder zum deutschsprachigen Raum

Schließlich entschied man sich für die letzte Option als den idealen Weg. Eine Lösung fand man im Fall des Produktionsstandorts in Ungarn sogar schon vor. Fraisa hatte dort als Kern der neuen Niederlassung eine kleine lokale Firma mit 13 Mitarbeitern aufgekauft. Diese Firma wurde von einem deutschungarischen Ehepaar (die Frau ist Ungarin, der Mann ist Deutscher) geleitet, welches nun auch weiterhin als Geschäftsführer der neuen Fraisa-Niederlassung tätig ist. Auch für den Standort USA in New Brighton, Minnesota, ist es geglückt, mit der obersten Führungsebene eine soziokulturelle Brücke zur Schweiz zu bauen. Für die dortige Vertriebsniederlassung fand die Personalabteilung einen Geschäftsführer, der in den USA aufgewachsen ist, dessen Mutter aber aus Neuenburg in der Schweiz stammt und der intensive Kontakte zu seiner Verwandtschaft in der Schweiz hat. Auch die übrigen Führungskräfte wurden vor Ort rekrutiert, wobei ebenfalls Wert auf einen Bezug zum deutschsprachigen Kulturraum gelegt wurde, zum Beispiel dass die Kandidaten Großeltern in der Schweiz haben oder bereits selbst eine Weile im deutschsprachigen Raum gelebt haben. Fraisa rekrutierte an beiden Standorten relativ schnell nach der Gründung junge Nachwuchskräfte, die noch am Anfang ihrer Karriere standen und somit eine langfristige Perspektive innerhalb der Firma suchten. So konnten in der Aufbauphase schnelle Wechsel in der Führung vermieden und die Kontinuität in der Führungsstruktur abgesichert werden.

Insgesamt hat die Fraisa mit dieser Personalstrategie sehr gute Erfahrungen gemacht. Die jungen Führungskräfte benötigten zwar in den ersten Jahren eine intensive Begleitung durch das Führungsteam in der Schweiz, und insbesondere zu Beginn musste eine relativ hohe Fehlerquote in Kauf genommen werden, jedoch überwiegen die Vorteile: Die jungen Nachwuchskräfte aus dem Zielland sind im ausländischen Markt sozialisiert, sie sind aber gleichwohl kulturell aufgeschlossen und noch formbar. Zudem wachsen sie gemeinsam mit der Firma und transportieren so automatisch ein Stück Firmenkultur in ihrer Person. Auch was das übrige Personal betrifft, entschied sich Fraisa gegen umfangreiche Entsendungen aus dem Stammsitz, sondern bemühte sich, möglichst alle Mitarbeiter vor Ort zu rekrutieren. Die meisten kleinen und mittelständischen Unternehmen gehen den umgekehrten Weg. Das heißt, sie entsenden während der Aufbauphase zunächst Personal aus der Zentrale und übergeben die Gesellschaft dann irgendwann an Personal aus dem Zielland. Dadurch entsteht jedoch ein Bruch in der Führungsstruktur, und die Gesellschaft läuft Gefahr, an diesem Punkt in ein Loch zu fallen, aus dem sie unter Umständen nicht so leicht wieder herauskommt.

Organisation der Personalarbeit
Was die Organisation der Personalarbeit innerhalb der Fraisa Holding angeht, so gibt es derzeit noch keine gruppenweite Personalabteilung. Am Stammsitz in Bellach arbeiten 1,5 – demnächst zwei – Mitarbeiter im Personalbereich. Dort, wo landesspezifisches Know-how gefordert ist, werden diese von Beratern der KPMG in Budapest oder Minneapolis unterstützt, beispielsweise beim Entwerfen und Übersetzen von Arbeitsverträgen. Rein administratorische Personalaufgaben werden direkt an den Niederlassungen vor Ort abgewickelt, allerdings auch nicht von einer Vollzeitstelle. Der jeweilige Mitarbeiter oder die jeweilige Mitarbeiterin widmet sich neben anderen Aufgaben in der Buchhaltung zu rund 20 Prozent der Personaladministration. Andere Aspekte der Personalarbeit, wie Personalentwicklung, kommen dabei natürlich zu kurz. Deshalb werden Schlüsselelemente der strategischen Personalarbeit von der Personalabteilung am Stammsitz gesteuert. Beispielsweise gibt diese zentrale Richtlinien zur Rekrutierung heraus und begleitet auch den Rekrutierungsprozess. Auch die Führungskräfteentwicklung findet grundsätzlich in der Zentrale in der Schweiz statt. Darüber hinaus befindet sich dort auch das Ausbildungszentrum „Tool School“ für den Außendienst. Die übrige Aus- und Fortbildung wird jedoch dezentral an den einzelnen Standorten abgewickelt.

Coaching aus der Patengesellschaft
Um die kulturellen Brücken zu stärken, versucht die Fraisa Personalentwicklung und Networking zu verbinden. Vor dem Start der Produktionseinheit am Standort USA beispielsweise kamen die neu rekrutierten technischen Mitarbeiter zunächst für drei Monate in die Fraisa-Serviceeinheit in Deutschland, die für diese Mitarbeiter als „Patengesellschaft“ fungiert. Dort erhielten sie zweimal fünf Wochen Ausbildung, dazwischen hatten sie zwei Wochen frei, in denen sie ihre Familie nach Deutschland einladen konnten. Anschließend begleitete sie der deutsche Produktionsleiter in die USA, um dort mit ihnen gemeinsam den Maschinenpark in Betrieb zu nehmen. Zurück in Deutschland stand er ihnen dann noch zwölf bis 24 Monate als Coach zur Verfügung. Um Sprachbarrieren frühzeitig zu beseitigen, begann Fraisa rund anderthalb Jahre vorher mit der Sprachausbildung der Mitarbeiter in der deutschen Serviceeinheit.

Wachstumsschwelle: Personal- und Organisationsentwicklung
Besondere Herausforderungen für die Personal- und Organisationsentwicklung erwartet Fraisa vor allem, wenn die Auslandsgesellschaften eine bestimmte Wachstumsschwelle überschreiten. Zu Beginn der Aufbauphase macht jeder Mitarbeiter alles, das heißt, es sind vor allem Pragmatiker gefragt. Mit zunehmender Größe ändert sich dies. Ein Unternehmen mit 30 Mitarbeitern braucht andere Führungstypen wie eines mit drei Mitarbeitern. Das heißt, die Leiter müssen entweder eine persönliche Entwicklung durchmachen oder ausgetauscht werden.
Außerdem müssen mit zunehmender Belegschaft Strukturen geschaffen werden, beispielsweise eine zweite Führungsebene herangebildet und das gewachsene Unternehmen in kleinere Einheiten untergliedert werden. Die Produktionsniederlassung in Ungarn hat mittlerweile 30 Mitarbeiter und damit gerade eine solche Wachstumsschwelle erreicht. Die Führungskräfte der „ersten Stunde“ werden dort durch gezielte Personalentwicklungsmaßnahmen begleitet, damit sie sich vom Vorkämpfer zum Manager entwickeln. Für die Vertriebsniederlassung in den USA (derzeit 14 Mitarbeiter) wird die kritische Wachstumsschwelle für 2007 erwartet. Die Organisation ist darauf bereits vorbereitet. Dort werden die Vertriebsgebiete geografisch unterteilt. Neben dem Geschäftsführer gibt es dann eine zweite Führungsebene aus drei Gebietsverkaufsleitern, denen jeweils drei bis vier Mitarbeiter unterstellt sein werden und die ihren Bereich eigenständig als Profit Center führen.