Frau Birkenbihl, was ist eigentlich gehirn-gerechtes Arbeiten?
Unser Gehirn arbeitet auf eine bestimmte Art und Weise. Wir denken zum Beispiel von Natur aus assoziativ. Diese Denkweise wird uns jedoch in Schule und Beruf wieder abgewöhnt, was dazu führt, dass unsere Denkergebnisse mager sind. Beispiel: Wenn Sie in einem Meeting nur das protokollieren, was im Raum gesagt wird, ist das nicht gehirngerecht. Wenn Sie dagegen Ihre eigenen Assoziationen notieren, kommen Ihnen viel mehr Ideen. Außerdem genügt später ein Blick auf Ihre Notizen und Sie erinnern sich wieder an das gesamte Thema.

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Foto von Tim van der Kuip

Wie können Führungskräfte eine gehirngerechte Arbeitsumgebung schaffen?
Sie sollten ihren Mitarbeitern zum Beispiel die Zeit und die Freiräume geben, Kreativitätstechniken zu nutzen, wie zum Beispiel die von mir entwickelte Technik 90 Sekunden plus. Die funktioniert so: Wenn Ihnen einmal die Ideen zu einem Thema ausbleiben, rufen Sie drei bis fünf Kollegen an und bitten sie, 90 Sekunden lang ihre Assoziationen zu diesem Thema zu nennen. Die Gedankenströme der Kollegen schneiden Sie mit einem Aufnahmegerät mit. Gleichzeitig notieren Sie ihre eigenen Assoziationen. Nach drei bis fünf Telefonaten haben Sie eine Fülle von Ideen und sind wieder im Fluss. Natürlich können Sie die Technik nur anwenden, wenn Ihre Führungskraft mitspielt.

In Ihrem Buch „Birkenbihl on Management“ setzen Sie sich kritisch mit traditionellen Managementlehren auseinander. Was macht Ihrer Meinung nach gutes Management aus?
In erster Linie Selbstmanagement. Manager, die nicht bereit sind, sich kritisch mit sich selbst auseinander zu setzen, können keine anderen Menschen führen. Sie sollten ihre Macken kennen und lernen, damit umzugehen. Können sie bestimmte Menschen nicht leiden? Neigen sie dazu, Schuldige zu suchen oder sind sie eher an Problemlösung interessiert? Solange man nicht weiß, wie man tickt, weiß man nicht, wie man führt. Deshalb ist Selbstmanagement der Schlüssel zum Management.

Wie managen Sie sich selbst?
Ich selbst neige zu einem aggressiven Tonfall. Das hat offenbar etwas mit meiner Schilddrüse zu tun oder so. Viele Jahre war mir das überhaupt nicht bewusst, bis mich Kollegen in Amerika darauf hingewiesen haben, dass ich immer diesen aggressiven Grundton in der Stimme habe. Ich habe lange gebraucht, um das überhaupt zu akzeptieren. Natürlich kann ich es nicht so leicht ändern, aber ich habe gelernt, damit umzugehen. Wenn ich heute merke, dass ich die Stimme hebe und sehe, dass mein Gegenüber gequält das Gesicht verzieht, sage ich ihm, dass sich mein Ton nicht gegen ihn richtet, dass ich immer so daherrede und so weiter. Die meisten lernen dann mit der Zeit, mich richtig einzuschätzen.

Was verbindet gute Führungskräfte? Bringen sie bestimmte Fähigkeiten und Einstellungen mit?

Jein, das ist so ähnlich wie bei der Therapie. Es gibt keine Therapie, die besser ist als andere, weil die Therapie nicht vom Therapeuten getrennt werden kann. Entscheidend ist zum Beispiel nicht, ob jemand eine kritische oder wohlwollende Grundeinstellung hat, sondern wie er damit in welcher Situation umgeht. Ich bin zum Beispiel ein „Mismatcher“, ich gehe in eine Gruppe und sehe sofort, was nicht richtig läuft und nicht zusammenpasst. Deshalb bin ich eine gute Kritikerin und Beraterin, in anderen Bereichen wäre ich vielleicht nicht so stark.

Sie haben sich mit den Regeln der Gruppendynamik beschäftigt. Welche sollten Führungskräfte unbedingt beachten?
Eine wichtige Regel lautet: Gruppen können erst dann produktiv arbeiten, wenn feststeht, wer der inoffizielle Gruppenleiter ist. Ist das noch nicht eindeutig klar, streitet sich die Gruppe über Verfahrensfragen, um eine Hackreihe zu etablieren. In einem Meeting kann es deshalb hilfreich sein, mit dem unwichtigsten Thema zu beginnen. Hier kann die Gruppe festlegen, wer ihr eigentlicher Leiter ist. Diese Ordnung kann sich übrigens immer mal wieder ändern, deshalb sprechen wir ja auch von „Gruppendynamik“ und nicht von „Gruppenstatik“. Die meisten Führungskräfte berücksichtigen das aber nicht. Sie achten zu Beginn der Teambildung zwar sehr darauf, was in der Gruppe los ist, verlieren die gruppendynamischen Veränderungen aber oft mit der Zeit aus den Augen. Sie werden häufig überrascht, weil sie wichtige Signale des Teams nicht erkennen.

Müssen Führungskräfte ihr Team motivieren können?
Sie sollten in erster Linie aufhören, zu demotivieren. In meinen Seminaren lasse ich die Teilnehmer oft ein Rollenspiel spielen: Sie sind die Eltern, ich bin ein siebenjähriges Kind, das gerade ein Diktat geschrieben hat. Darin habe ich drei Fehler gemacht, aber es sind intelligente Fehler: Ich habe zum Beispiel Diktat mit „ck“ geschrieben, wie man es spricht. Die Eltern kommen der Reihe nach in den Raum und sprechen mit mir über das Ergebnis. ALLE sprechen mit mir über die drei Fehler. Niemand würdigt jemals das Gesamtergebnis, das bei nur drei Fehlern für ein siebenjähriges Kind ja ziemlich gut ist. So ist Schule. In der Schule lernen wir, auf Fehler zu achten. Diese Haltung schleppen wir oft unser Leben lang mit uns herum, wenn wie sie nicht irgendwann bewusst ablegen.

Welche Rolle spielen Lob und Feedback?
Wenn wir eine neue Aufgabe übernehmen und nicht wissen, wie das Resultat aussehen soll, benötigen wir Feedback, nicht Lob. Stellen Sie sich vor, Sie sind blind und trainieren das Elfmeterschießen. In diesem Fall benötigen Sie niemanden, der applaudiert und sie lobt, wenn Sie das Tor treffen. Sie brauchen jemanden, der sagt: „weiter links“ oder „weiter rechts“. Natürlich kann man loben, aber erst wenn eine Tätigkeit beendet wurde. Es macht keinen Sinn, Menschen nach jedem Einzelschritt auf dem Lernweg zu loben. Führungskräften sollte allerdings klar sein, dass sie ein Urteil fällen, wenn sie loben. Insofern ist Lob nicht unproblematisch. Genauso wie Incentives oder Geldprämien. Wenn ich jemandem eine Prämie versprechen muss, damit er seinen Job gut macht, treffe ich damit indirekt eine sehr negative Aussage über den Job.

Apropos Motivation. Sie haben einige Anti-Ärger-Techniken entwickelt, die im Beruf sehr nützlich sein können. Wie funktioniert Ihre Lieblingstechnik?
Ich wünsche Menschen, die mich ärgern, Gesundheit und ein langes Leben. Beispiel: Ich fahre auf der Autobahn mit meinem großen 3,5-Tonner-Büromobil einen Berg hoch. Es gibt nur zwei Spuren und ich würde gerne mal überholen, weil ich hinter einem Laster hänge, der nur 40 km/h fährt. Ich blinke wie wild, aber niemand lässt mich auf die Überholspur. Natürlich kommt da Frust hoch, und die Kampfhormone tröpfeln allmählich ins Blut. Ich fange an zu hupen und hasse alle andere Fahrer, bis ich anfange, ihnen Gesundheit und ein langes Leben zu wünschen. Die ersten 20 Sekunden ist das richtig pervers, irgendwann beruhige ich mich aber tatsächlich und sehe, wie absurd es ist, sich aufzuregen. Das ist das Ziel. Denn wenn ich mich über andere aufrege, schade ich letztendlich nur mir selbst.

Interview: Bettina Geuenich

Buchtipps:
Birkenbihl on Management. Irren ist menschlich – managen auch.
Von Vera F. Birkenbihl.
Econ Verlag 2005.

Trotzdem Lernen.
Von Vera F. Birkenbihl.
Gabal Verlag 2004.

Quelle: personal manager 1/2005