Herr Riemensperger, vielen Menschen machen die aktuellen Veränderungen der Arbeitswelt Angst. Sie befürchten, von der Digitalisierung und Automatisierung abgehängt zu werden – oder gar ihren Job zu verlieren. Wie berechtigt sind diese Ängste?

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Foto von Nastuh Abootalebi

Diese Ängste sind tatsächlich da, aber sie scheinen mir stark übertrieben. In Deutschland beispielsweise gibt es mehr Arbeitsplätze als je zuvor in absoluter Zahl. Alle ernstzunehmenden Studien, die uns zu diesem Thema vorliegen – vom World Economic Forum bis zum Grünbuch des deutschen Arbeitsministeriums – sagen: Die Digitalisierung führt unterm Strich nicht zu einem Verlust von Arbeitsplätzen. Daher müssen wir keine Angst vor Massenarbeitslosigkeit durch Digitalisierung haben. Der Sorge, dass man nicht mitkommt, muss jeder einzelne aktiv begegnen. Denn die Art der Arbeit wird sich verändern – und die Qualifikationsprofile ebenfalls. Da ist sehr viel Dynamik drin. Die Leute werden sich kontinuierlich weiter bilden müssen.

Aber warum sollten sie nicht im Beruf das leben können, was sie im privaten Bereich ohne jedes Training geschafft haben? Im Privaten sind wir ohne Probleme Profis darin geworden ein Smartphone mit hunderten von Apps zu bedienen. Wir haben damit sehr positive Erfahrung gemacht – innerhalb von 10 Jahren ist das passiert. Das können wir auch im Arbeitsleben.

Wie wird sich die betriebliche Weiterbildung verändern?

Ich glaube, sie wird sich ganz massiv ändern, die Entwicklung ist schon im vollen Gange. Die modernen Lern- und Ausbildungskonzepte gehen momentan alle in die Richtung, den Arbeitsplatz zum Trainingsort zu machen. In die Rolle des Trainers schlüpft oft ein Kollege. Auch wie gelernt wird, verändert sich. Lernen wird in viele kleine Micro-Einheiten zerlegt. Es ist ein kontinuierlicheres Lernen. Diese Veränderungen haben in den vergangenen fünf Jahren bereits stattgefunden – und sie sind ziemlich durchschlagend: ein anderer Lernort, andere Trainer und eine andere Paketierung der Inhalte.

Welche Kompetenzen und Qualifikationen werden aus Ihrer Sicht zukünftig stärker gefragt sein?

Ein ganz großes Kompetenzfeld ist das Arbeiten mit Maschinen. Diese werden in den nächsten Jahren noch intelligenter werden als sie schon sind – durch Sensorik, Rechenleistung und Schnittstellen. Möglicherweise werden sie nicht mehr über Displays bedient, sondern über Blickkontakt oder Gesten. Wir werden vielleicht irgendwann in einer Situation sein, in der die Maschinen den Menschen bei der Arbeit beobachten und anfangen ihn zu korrigieren, weil er Fehler macht. Die Maschinen werden Menschen in der täglichen Arbeit anleiten. Wir akzeptieren ja nahtlos beim assistierten Fahren, dass uns der Spurassistent sie auf der Spur hält. Mit dem Einsatz von „deep learning algorithmen“ können Maschinen am Arbeitsplatz beobachten, wie Menschen Bewegungen ausführen und das mit einem Idealszenario abgleichen. So wäre es denkbar, dass die Maschine den Menschen viel aktiver unterstützt.

Welche Arten von neuen Arbeitsplätze könnten vor diesem Hintergrund entstehen?

Die meisten Veränderungen werden bei den bestehenden Arbeitsplätzen stattfinden, die zunehmend digitale Fähigkeiten und damit ein anderes Qualifikations- und Trainingsniveau erfordern. Ein Heizungsanlagenbauer muss heute die Programmierung von Heizungsanlagen verstehen können. Dafür wurde er vor 30 Jahren noch nicht ausgebildet. Da ist das Produkt schlau geworden und der Ausbildungsberuf hat sich angepasst. Diese Entwicklung wird sehr viele Arbeitsplätze betreffen – sicherlich 50/60/70 Prozent. Dann wird es neue Berufe geben, die helfen werden, den neuen Umgang mit den Maschinen zu entwickeln, das sind die informationstechnischen Berufe. Es wird Experten geben, die Menschen darauf trainieren, wie sie sich im Umgang mit den Maschinen verhalten und den Wert dieser Maschinen ausnutzen, zum Beispiel Oberflächendesigner oder Deep-Learning-Trainingsexperten. Aber diese Gruppe ist im Verhältnis deutlich kleiner als die Gruppe jener Berufe, die sich durch die Digitalisierung allmählich wandeln.

Wie werden sich die Aufgaben des Human Resource Managements durch die Automatisierung verändern?

Personaler müssen gemeinsam mit den Betriebsverantwortlichen darüber nachdenken, ob sie die Arbeit aufgrund der digitalen Möglichkeiten anders organisieren. Das virtuell verteilte Arbeiten, das in Echtzeit miteinander koordiniert ist, zu antizipieren und die Belegschaft darauf vorzubereiten: Das sind schon recht große Herausforderungen für die Personaler. Wer macht künftig die Arbeit und wo wird sie gemacht? In der Plattformökonomie könnte sich zudem die Art und Weise, wie der Personalstamm einer Firma definiert wird, verändern. Denn Unternehmen brauchen vielleicht einen Strauß an digitalen Fähigkeiten, aber nicht immer. Daher werden sie sich temporär mit Experten verstärken. Da gilt es zu differenzieren: Welche Kompetenzen sind für die digitale Weiterentwicklung des Unternehmens notwendig? Wen braucht man dauerhaft und wen bindet man temporär an sich? Das durchzudenken – wie die Belegschaft sich verändert, wer was kann, wer einen festen Vertrag hat, wer als Freelancer mit dabei ist, wer zugebucht wird über eine Plattform: Das wird die Arbeit der Personaler massiv verändern.

Interview: Bettina Geuenich für den personal manager, die Zeitschrift für Human Resources, HRM.at und Frank Riemensperger, Vorsitzender der Accenture-Ländergruppe Deutschland, Österreich, Schweiz, Senior Managing Director von Accenture Germany,  Executive Vice President der American Chamber of Commerce in Deutschland, Hauptvorstandsmitglied des Bitkom.