Nur 13 von 100 Mitarbeitern haben eine hohe Bindung an ihr Unternehmen, wie der Engagement-Index des Marktforschungsunternehmens Gallup aus dem Jahr 2006 zeigt. Viele Menschen verstehen Arbeit im Sinne Bert Brechts als „alles das, was keinen Spaß macht,“ als lästige Pflichterfüllung. Für das Wohlergehen von Menschen und die Prosperität von Unternehmen und Volkswirtschaften ist jedoch eine Geisteshaltung erforderlich, die Arbeit als etwas Positives, als Quelle für Sinnfindung, persönliche Entwicklung und Entfaltung anerkennt. Die komplexe, globalisierte Welt stellt Führende und Unternehmen, aber auch Mitarbeiter, vor Herausforderungen, die weder mit einseitigen Haltungen des „Nehmen-Wollens“ und Forderns noch mit einfachen „Wenn-Dann-Ansätzen“ lösbar sind. Um den Anforderungen zu entsprechen, bedarf es des ganzen Menschen, einer ganzheitlichen Kompetenz im Sinne einer sittlich, geistigen Persönlichkeit – des Menschen in seiner ganzen Würde. Der Mensch ist der entscheidende Werttreiber zur Sicherung der nachhaltigen Wertsteigerung von Unternehmen.

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Foto von Dose Media

Die klassischen, mechanistischen Führungsund Motivationstheorien bauen auf einem verkürzten Menschenbild auf. Sie stellen den Menschen lediglich als ein nach Bedürfnisbefriedigung und Selbstverwirklichung strebendes Wesen dar. Gegen diesen Determinismus und Reduktionismus wendete sich schon Viktor E. Frankl, der Begründer der Logotherapie. In der Praxis unterschätzt das Management sehr häufig die Bedeutung der Sinnerfüllung in der Arbeit. Dabei ist Sinn die Quelle für Motivation, Innovation, Lebensfreude und Mut – und damit die Grundlage für menschlichen und unternehmerischen Erfolg. Wo Sinn- und Wertelosigkeit vorherrschen, erkranken Menschen und Unternehmen. Ein mechanistisches und einseitig materialistisches Führungsverständnis ist nicht mehr zeitgemäß.

Gerade in schwierigen Zeiten mit wachsender Komplexität und Dynamik ist Ganzheitlichkeit gefordert. Nachhaltiger Erfolg bedarf einer Neuorientierung in Geisteshaltung, Menschenbild und Führung. Das von der Autorin dieses Beitrags entwickelte Konzept der sinnorientierten Führung basiert auf dem Menschenbild von Frankl, dem systemischen Managementansatz und dem Konstruktivismus. Es schlägt eine Brücke zwischen dem Menschen in seiner ganzheitlichen Kompetenz und der ökonomischen Effizienz und Effektivität. Mit seiner Hilfe lassen sich immaterielle Werte in Führungssysteme integrieren und die Würde des Menschen mit der nachhaltigen Wertsteigerung des Unternehmens in Einklang bringen. Wie können nun Führende und Mitarbeiter trotz schwieriger Zeiten „ihr Bestes“ geben und „Sinnvolles“ für sich und alle Prozessbeteiligten bewirken? Sinnorientierte Motivation ist abhängig von:

  1. der richtigen Geisteshaltung zur Arbeit

    und

  2. sinnvollen Rahmenbedingungen.

Zwei Trugschlüsse stehen der sinnorientierten Motivation in vielen Organisationen entgegen:

Trugschluss 1: Führende sind für die Motivation ihrer Mitarbeiter in vollem Ausmaß verantwortlich.

Diese Auffassung entlarvt unser mechanistisches, deterministisches Denken und unseren Machbarkeitswahn. Sie geht davon aus, dass der Mitarbeiter von der Verantwortung für die Motivation entbunden ist und übersieht, dass die Würde des Menschen in der Willensfreiheit und freien Stellungnahme des Einzelnen liegt. Exakt hier liegen die Ursachen für ein weit verbreitetes Problem: die Flucht vor der Verantwortung, die notgedrungen in der existenziellen Sackgasse der Sinnleere endet. Für das „Wollen“ ist jeder Einzelne selbst verantwortlich. Dieser Verantwortung müssen sich Führende und Mitarbeiter bewusst sein. Abbildung 1 zeigt die Verantwortungsbereiche der Mitarbeiter und Führungskräfte.

Abbildung 1: sinnorientierte Motivation: Wer ist wofür verantwortlich?

 

Was aber ist Sinn und wie können Mitarbeiter Sinn in der Arbeit erfahren? Nach Frankl ist „der Wille zum Sinn“ die Primärmotivation aller Menschen. Sinnfindung in der Arbeit und Lebenssinn lassen sich nicht trennen – ein sinnvolles Leben setzt auch Sinnerfüllung in der Arbeit voraus. Sinn kann aber nicht durch Bedürfnisbefriedigung und/oder Selbstverwirklichung entstehen. Er lässt sich auch nicht einfordern, sondern muss gefunden werden. Sinn entsteht, indem wir Werte verwirklichen, uns für Wertvolles engagieren und damit Wertvolles bewirken. Sinnfindung erfordert, dass wir uns von unseren kindlichen Erwartungshaltungen des Forderns und Verlangens lösen und begreifen, dass wir für ein Unternehmen arbeiten, das uns braucht und unser Engagement erwartet. Wir müssen also zuerst geben, bevor wir nehmen.

Sinnfindung erfordert also, dass wir die Fragestellungen „Was habe ich zu erwarten?“ auf den Kopf stellen und fragen:

  • Was haben wir zu geben?
  • Was könnten wir noch geben?
  • Wie können wir uns auf die Aufgaben im Unternehmen bestmöglich einlassen?
  • Welchen Beitrag leisten wir zum Ganzen und zur Qualitätsverbesserung?
  • Was würde dem Unternehmen fehlen, wenn es uns nicht gäbe?
  • Wie könnten wir uns noch mehr auf die Kundenwünsche einlassen und diese antizipieren?
  • Was würde den Kunden und Kollegen fehlen, wenn es uns nicht gäbe?
  • Warum sollen Kunden gerade zu uns kommen, was macht uns einzigartig?
  • Wie können wir andere Menschen in ihren positiven Eigenschaften bestärken und sie menschlich erfolgreicher machen?
  • Wie können wir das Selbstwertgefühl der Menschen in unserm Umfeld stärken und fördern?
  • Wozu sind wir gut?
  • Aber auch: Wo liegen die Grenzen unserer Dienstleistung und Kundenorientierung, was dürfen Kunden nicht, wo wird unsere Würde verletzt?

Diese Fragestellungen zeigen, wie Mitarbeiter ihr Bestes geben, Sinnfülle erfahren und sowohl menschlich als auch unternehmerisch wachsen können. Es lohnt sich, diese Fragen zu stellen. Denn letztendlich sind die Grundhaltungen der Mitarbeiter für Sinnfindung und Motivation einerseits – und für Qualität und Wettbewerbssicherung andererseits verantwortlich.

Trugschluss 2: Motiviert können wir nur sein, wenn wir bekommen, was wir wollen und die Verhältnisse so sind, wie wir sie uns vorstellen.

Auch diese Haltung steht sinnvollem Leben und Arbeiten im Wege und führt uns auf den Irrweg der Opferrolle zu Schuldzuweisungen und Frustrationen. Mit ihr geben wir die Verantwortung für unser Leben aus der Hand und setzen uns der Fremdbestimmung aus. Den Ausstieg aus diesem Trugschluss schaffen wir nur, wenn wir begreifen, dass alles, was auf dieser Welt ist, durchwachsen ist vom Wechselspiel des „sowohl als auch“. Dieser Ambivalenz müssen wir uns stellen, wenn wir die Zukunft meistern wollen. Denn auch der beste Arbeitsplatz hat seine Schattenseiten, der beste Chef seine Marotten, die nettesten Kollegen ihre Schwächen, die besten Kunden ihre Extravaganzen. Letztendlich kommt es auf die Einstellung an, mit der wir den Problemen begegnen. Die Bewertung der Situation ist unser Beitrag zum Gelingen oder Misslingen. Der Autor Charles Swindoll schreibt dazu: „Dass, was wir tun können, ist auf der einen Saite zu spielen, die wir haben – und das sind unsere Einstellungen (…). Ich bin überzeugt, dass das Leben zu zehn Prozent aus dem besteht, was sich für mich ereignet und zu 90 Prozent aus dem, wie ich darauf reagiere. Und dies gilt auch für dich!“ Um dies zu verinnerlichen könnten folgende Fragen hilfreich sein:

  • Wofür kann ich an diesem Arbeitsplatz dankbar sein?
  • Was habe ich, was wird mir geboten, was es anderswo nicht gibt?
  • Welche Menschen, welche Verhaltensweisen dieser Menschen unterstützen mich in meinem persönlichen Werden?

Führungskräfte können sinnvolle Rahmenbedingungen für Motivation schaffen. Das heißt jedoch nicht, dass sie alles unternehmen müssen, damit es den Mitarbeitern gut geht. Erstens können Menschen den Zustand des vollkommenen Wohlbefindens nicht lange ertragen. Zweitens kann dauerhafte Zufriedenheit mit dem Status quo schädlich sein, weil sie Wachstum und Innovation im Keim erstickt. Drittens führt das reine Nehmen nicht zu mehr Motivation, weil Menschen nur dann Sinnfülle erleben, wenn sie auch geben können. Die entscheidende Frage, die sich Führende immer wieder stellen sollten, lautet: „Was kann ich tun, damit es meinen Mitarbeitern gut geht, damit sie die wachsenden Herausforderungen annehmen können und dadurch Sinnvolles für sich selbst, das Unternehmen und die Stakeholder bewirken können?“ So wird die Führungskraft zur Führungspersönlichkeit, die für sich selbst und ihre Mitarbeiter sinnvolle Rahmenbedingungen schafft. Folgende Fragen können dabei eine Hilfestellung sein:

  • Kennen alle Mitarbeiter den Sinnauftrag des Unternehmens, wissen sie, welchen
  • gesellschaftlichen Nutzen das Unternehmen bietet und begreifen sie, weshalb ihre Aufgabe von Wert ist?
  • Kennen alle Mitarbeiter die Werte des Unternehmens, wissen sie, wofür das Unternehmen steht?
  • Sind die Zielvereinbarungen, die Sie mit Ihren Mitarbeitern treffen, herausfordernd, und sehen ihre Mitarbeiter den Sinn dieser Ziele?
  • Geben Sie Ihren Mitarbeitern laufend Feedback für ihre Leistungen, und erkennen Sie gute Leistungen an?
  • Nehmen Sie Ihre Mitarbeiter in die volle Verantwortung, und überlegen Sie gemeinsam, weshalb Ziele nicht erreicht wurden?
  • Fordern Sie von allen Mitarbeitern, dass sie permanent mitdenken, was verbessert werden könnte?
  • Fordern Sie von Ihren Mitarbeitern umsetzungsfähige Verbesserungsvorschläge?
  • Sorgen Sie für Dialog auf der Basis einer Vertrauenskultur?
  • Was tun Sie für eine förderliche Unternehmenskultur?
  • Sorgen Sie für einen konstruktiven Umgang mit Konflikten?
  • Suchen Sie immer wieder das Gespräch mit Ihren Mitarbeitern?
  • Kennen Sie die Potenziale Ihrer Mitarbeiter, und nutzen Sie diese für das Unternehmen?
  • Sorgen Sie dafür, dass Sie selbst und Ihre Mitarbeiter im Selbstwert wachsen können?
  • Achten Sie auf gute Beziehungen zwischen Ihren Mitarbeitern, damit diese sich gegenseitig aufbauen und stärken können?
  • Lassen Sie Fehler zu, und lernen Sie und Ihre Mitarbeiter daraus?
  • Stellen Sie sich und Ihren Mitarbeitern immer wieder die Fragen: „Wozu sind wir gut? Was könnten wir noch geben? Wie könnten wir noch mehr Sinnvolles bewirken und unser Arbeiten und unsere Existenz damit zum Gelingen zu bringen?“

Abbildung 2 zeigt, wie sinnorientierte Motivation selbst in Krisenzeiten gelingen kann.

Abbildung 2: Sinnorientierte Leistungsmotivation

Sinnorientierte Leistungsmotivation

Wenn Führende und Mitarbeiter sich der Selbstverantwortung für ihre Leistungsmotivation, ihre Sinnfindung und ihre Entwicklung in der Arbeit stellen, schaffen sie damit die Grundvoraussetzung für menschliches und unternehmerisches Wachstum, Lebensqualität und eine berechtigte Hoffnung auf eine gute Zukunft. Weil Sinn immer das Positive für alle Prozessbeteiligten intendiert, Mit Werten führen titel / motivation hat Sinnorientierung gesundheitserhaltenden Charakter und führt aus der Sackgasse destruktiver Verhaltensweisen zu einer humaneren Arbeitswelt.

Literaturtipp

Mit Sinn zum nachhaltigen Erfolg – Anleitung zur werte- und wertorientierten Führung.

Von Anna Maria Pircher-Friedrich. Erich Schmidt Verlag 2005.

Quelle: personal manager 3/2007