Künstliche Intelligenz zieht ins Recruiting ein
Wo Intuition und Bauchgefühl dominierten, übernehmen heute zunehmend Algorithmen das Steuer. KI-Tools helfen, Texte zu formulieren, Varianten zu testen und die passenden Zielgruppen anzusprechen. Was früher Tage dauerte, passiert heute in Minuten. Doch mit der Automatisierung verändert sich nicht nur die Geschwindigkeit, sondern auch die Rolle von Recruiterinnen und Recruitern.
„KI nimmt Routinen ab, sodass Recruiterinnen und Recruiter sich stärker auf ihre Rolle als Berater und Planer konzentrieren können“, sagt Atena Rabou-Degenkolbe, Head of Talent Aquisition & Employer Branding bei The Stepstone Group. Das Rollenbild entwickle sich weg vom reaktiven Umsetzen hin zum aktiven Gestalten. Michael Witt, Recruiting-Strategist und CEO von Lebenswelt Recruiting, ergänzt: „Man muss ja nach wie vor Stellen besetzen, das WIE wird sich ändern.“
KI verändert damit den Alltag in HR spürbar und wirft neue Fragen auf: Was kann die Technologie wirklich leisten? Wo liegen ihre Grenzen? Was bleibt menschliche Aufgabe?
Effizienz trifft Wirkung
KI automatisiert Formulierungen, schlägt Varianten vor und analysiert Sprache. Was früher ein kreativer Blindflug war, wird heute datenbasiert gesteuert. Rabou-Degenkolbe erläutert, dass Stepstones KI-Algorithmen Bewerbende bereits gezielt mit passenden Unternehmen auf Basis ihrer Fähigkeiten und Interessen verbinden. „Außerdem nutzen wir KI, um Stellenanzeigen sprachlich zu optimieren. Das geht von inklusiveren Formulierungen bis hin zu besseren Suchbegriffen“, so Rabou-Degenkolbe. „Dazu lohnt es sich, verschiedene Varianten zu testen, zum Beispiel ob ‚Sales Manager‘ oder ‚Account Executive‘ besser funktioniert.“
Witt unterstreicht, dass KI hilft, Texte effizienter zu gestalten, Zielgruppen präziser zu erreichen und den Erfolg von Inhalten besser nachzuvollziehen: „Man kann viel präziser auf Sprache, Ton und Resonanz reagieren und das Ganze auch messbar machen.“
Entscheidungen beruhen somit nicht mehr nur auf subjektiven Eindrücken, sondern auf messbaren Kennzahlen. KI zeigt auf, welche Inhalte tatsächlich überzeugen, und macht den Recruiting-Prozess damit strukturierter und nachvollziehbarer
Zielgruppen statt Zufall
KI kann dabei helfen zu erkennen, welche Begriffe, Tonalitäten und Botschaften bestimmte Talente wirklich ansprechen. Rabou-Degenkolbe beobachtet, dass viele Firmen Stellenanzeigen zu komplex schreiben und dadurch Bewerbende ausschließen. „KI-Tools erkennen solche Hürden und schlagen einfachere oder geschlechtergerechte Sprache vor“, sagt Rabou-Degenkolbe. Ebenso wichtig sei die inhaltliche Konsistenz: „Bewerbende merken sofort, wenn die Tonalität einer Anzeige nicht zum Auftritt auf der Karriereseite oder im Bewerbungsprozess passt.“
Doch Standardlösungen stoßen an Grenzen. „Standardisierte Tools haben hier oft das Problem, den Tone of Voice nicht zu treffen“, so Witt, „unterschiedliche Menschen prompten unterschiedlich und es gibt das verschiedene Ergebnisse.“
Dennoch, das Potenzial der KI liegt in dynamischen Anzeigen, die sich nach Kanal, Region oder Zielgruppe ausspielen lassen. Das Ergebnis: weniger Streuverlust, mehr Resonanz.
KI ist kein Selbstläufer
Der Einsatz von KI braucht Strategie und Köpfchen. Rabou-Degenkolbe nennt drei essenzielle Fähigkeiten: digitale Kompetenz, kritisches Denken und Lernbereitschaft. „Es geht nicht darum, selbst zu programmieren, sondern darum, KI-Ergebnisse zu verstehen, zu interpretieren und verantwortungsvoll einzusetzen“. Auf diese Weise könne KI strategisch ausgewertet werden und HR eine stärkere Partnerrolle übernehmen.
Witt warnt ebenfalls vor planlosem Aktionismus: „Der Klassiker: KI-Tools einführen ohne Plan. Viele starten mit KI, ohne Daten, Struktur oder Zielbild. Dann wird’s schnell unkontrolliert.“ Witt empfiehlt deswegen, die KI eng mit der Recruiting-Strategie zu verzahnen. „Probleme mit (früher) Geld und jetzt mit KI zuzuschmeißen hilft leider nichts – zumindest nicht auf lange Sicht.“
Das Fazit: KI entfaltet ihr Potenzial nur dort, wo sie gezielt eingesetzt wird.
Menschliche Kontrolle bleibt Pflicht
Bias, Ethik und Transparenz sind beim Gebrauch von KI ebenfalls zentrale Herausforderungen. „KI darf nie Entscheidungen ersetzen, sondern nur unterstützen. Der größte Fehler ist, Ergebnisse ungeprüft zu übernehmen“, betont Rabou-Degenkolbe. Unternehmen sollten darauf achten, Verzerrungen zu vermeiden und sich bewusst machen, dass KI weder Emotionen noch Zusammenhänge wirklich erfassen kann. Bei Stepstone sorgen deswegen klare Leitlinien, Schulungen und Weiterentwicklung des Teams für einen verantwortungsvollen und transparenten Einsatz von KI.
Witt bringt es auf den Punkt: „Wichtig ist, Ergebnisse kritisch zu hinterfragen und zu wissen, wo KI helfen kann – und wo nicht.“
KI zeigt Muster, aber letzendlich muss HR entscheiden, wie sie interpretiert werden.
Ausblick: Mensch mit KI
KI kann formulieren, analysieren und verteilen – aber sie ersetzt nicht das Gespür für Menschen. Witt betont, dass trotz aller technologischen Möglichkeiten weiterhin Stellenanzeigen und Unternehmenswebseiten entscheidend dafür sind, wie Marke und Arbeitgeberversprechen über Look and Feel vermittelt werden.
Rabou-Degenkolbe sieht das genauso: „Entscheidend bleibt jedoch der Mensch. Authentische Sprache, klare Werte und Transparenz über Gehalt und Kultur sind das, was Bewerbende überzeugt. Die Zukunft lautet nicht ‚KI statt Mensch‘, sondern ‚Mensch mit KI‘.“
KI revolutioniert das Recruiting – aber sie ersetzt nicht das Menschliche. Sie hilft, schneller, präziser und inklusiver zu kommunizieren, verlangt aber gleichzeitig mehr Urteilsvermögen, Strategie und Verantwortung. Wer KI richtig nutzt, gewinnt Zeit für das Wesentliche: den Menschen hinter der Bewerbung.
Welche Rolle GEO (Generative Engine Optimization) für Recruiting und Stellenanzeigen spielen sollte, lest Ihr in der neuen Kolumne „Talentfrei“ von Henner Knabenreich.

















