Herr Harrop, Ihre Website ist voller Hubschrauber. Was hat das zu bedeuten?

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Foto von Danielle MacInnes

In der Geschäftswelt verstricken wir uns gerne im Detail. Aber gerade für CEOs oder Führungskräfte ist es wichtig, das große Ganze im Blick zu behalten. Deshalb gefällt mir das Bild des Hubschraubers: Sie können damit in die Luft steigen und über den Horizont sehen und jederzeit einen Zwischenstopp auf dem Boden der Details machen, um dann erneut wieder aufzusteigen. Wenn Sie von dort oben herunterschauen, werden Berge zu kleinen Hügeln. Diese Distanz zwischen Ihnen und der Arbeit macht aus großen Problemen kleine.

Haben Sie ein Beispiel, um das ein bisschen anschaulicher zu machen?

Immer wenn ich mit Managern spreche, frage ich sie zuerst nach ihrer Zielsetzung. Wofür ist ein Unternehmen gut? Was ist die Mission oder Vision? Das meine ich damit, wenn ich davon spreche, oben im Hubschrauber zu sein. Es kann lange dauern bis Unternehmenslenker sich dessen bewusst werden – insbesondere bei Familienunternehmen. Als Aufsichtsratsmitglied erlebe ich das oft. Die wissen nicht, was ihr Ziel ist. Geht es nur darum, Geld zu verdienen? Wenn ja, wie viel und wann? Oder wollen sie lieber alles vererben oder verkaufen? Wenn Sie das vom Hubschrauber aus betrachten, können Sie sagen, wo Sie in drei Jahren sein möchten.

Und welche Rolle sollten Personaler dabei spielen?

In den meisten Organisationen gibt es wahrscheinlich nur zwei Personen, die überall Zutritt haben: die Geschäftsführer und die Personaler. Für Personaler ist es gerade besonders wichtig, dass sie das auch aktiv nutzen. Leider müssen sie sich seit etwa 10 Jahren oft hauptsächlich mit dem Arbeits- und Sozialrecht oder mit Sicherheitsvorschriften auseinandersetzen, so dass ihnen für alles andere zu wenig Zeit bleibt. Doch eigentlich sollten sie für die Beschäftigen da sein – von ganz oben bis ganz unten. Sie sollten die Augen und Ohren der Geschäftsleitung sein, also am Puls des Geschäfts sitzen. Und vor allem sollten sie alle befähigen, an einem Strang zu ziehen. In welche Richtung – das sehen Sie aber nur von oben aus dem Hubschrauber.

Sind Personaler nur Befähiger oder auch Entscheider?

Nun ja, jedenfalls sollten Sie keine Entscheidungen treffen, die das Management hätte treffen sollen. Ich habe das schon oft erlebt. Manche Abteilungsleiter etwa ergreifen nicht gerne disziplinarische Maßnahmen. Das lassen sie dann die Personaler machen, obwohl sie es selbst tun müssten – mit der Unterstützung der Personalabteilung. In mancherlei Hinsicht sind die Personaler Wächter, zum Beispiel wenn es ums Arbeitsrecht geht. Dann müssen sie sagen: So geht das nicht. Sie sind eine Art Unternehmenspolizei, aber dabei sollten sie doch eher befähigen als Managemententscheidungen treffen.

Wie können sie Menschen befähigen?

Studien kommen beispielsweise zu dem Ergebnis, dass Vertriebsmitarbeiter 51 Prozent ihrer Zeit mit Verwaltung und Reisen verbringen. Das ist jedoch nicht produktiv. Es sollten vielleicht 25 sein. Wenn sie mehr Zeit für die Kunden hätten, würde das Unternehmen mehr Umsatz machen. Also sollten die Personaler dafür sorgen, dass die Vertriebsmitarbeiter mehr Zeit für ihre Arbeit haben. So einfach ist das und das können Sie auf alle Positionen im Unternehmen übertragen.

Und was muss da konkret geschehen?

Nehmen wir noch mal das Beispiel der Vertriebsmitarbeiter. Sie müssen häufig Formulare ausfüllen und Berichte abliefern. Da wäre es doch viel sinnvoller, die Personalabteilung würde ein einfaches CRM-System einführen, das es den Vertriebsmitarbeitern erlaubt, von unterwegs alle Informationen über ihren Laptop oder PDA in eine zentrale Datenbank einzutragen. Das macht der Mitarbeiter direkt nach dem Besuch beim Kunden in seinem Auto und fährt weiter zum nächsten. Oder sie könnten Spracherkennungssoftware nutzen. Ich mache das immer, weil ich sehr schlecht im Tippen bin. Mit dem zugehörigen Gerät schreibe ich Artikel, Briefe und sogar E-Mails, während ich fahre.

Aber E-Mails können auch ganz schöne Zeitfresser sein.

Oh ja, das stimmt. Aber in größeren Unternehmen verstecken sich auch manche dahinter und das ist Politik. Daraus ergibt sich eine weitere Aufgabe von HR: Sie sollten die Politik in Unternehmen abschaffen.

Insbesondere im Recruiting ist von Personalern gerade Treffsicherheit gefragt. Fehlentscheidungen können teuer werden. Worauf kommt es da an?

Ich bin immer wieder erstaunt, wie viele Unternehmen ihre Mitarbeiter nur über Vorstellungsgespräche rekrutieren. Untersuchungen besagen, dass sie in drei von fünf Fällen daneben liegen.

Was sollten sie Ihrer Meinung nach tun?

Kürzlich moderierte ich einen Workshop zu dem Thema in Singapur. Ich sagte: „Nehmen Sie an, Sie haben ein Restaurant und suchen einen neuen Chefkoch. Wie würden Sie herausfinden, ob er zu Ihnen passt?“ Eine Dame antwortete: „Ich würde den Lebenslauf überprüfen“. Ich entgegnete: „Statistisch gesehen sind 60 Prozent des Lebenslaufes gelogen“. Da schlug sie vor, die Zeugnisse zu Rate zu ziehen. „Heutzutage müssen Sie doch, wenn jemand das Unternehmen verlässt, häufig als Gegenleistung ein gutes Zeugnis ausstellen. Darauf können Sie sich nicht verlassen“, hielt ich ihr entgegen. Ich war wirklich überrascht, dass die Dame nicht weiter wusste. Endlich sagte jemand: „Ich würde ihn für mich kochen lassen.“ Und genau darum geht es: Sie müssen den Bewerber vorsprechen lassen, nicht bloß mit ihm sprechen.

Was heißt das für andere Positionen?

Assessment-Center sind etwas aus der Mode, aber ich halte viel davon. Ich arbeite aber auch für viele kleine Unternehmen, die sich das nicht leisten können. Dann bereiten wir meistens eine Aufgabe für den Kandidaten vor. Wir schildern ihm eine Woche vorher eine Szenario und bitten ihn, beim Vorstellungsgespräch seine Lösung für ein Problem zu schildern, so als ob er das vor der Geschäftsführung präsentieren würde. Dabei sehen Sie, wie der Bewerber unter Stress reagiert, wie er denkt und wie er an die Arbeit herangeht. Ich habe so eine Art Vorsprechen schon oft praktiziert und immer am Anfang auf einen anderen Kandidaten getippt und nicht auf den, der dann den Job bekommen hat.

Aber welche Eigenschaften sollte der Kandidat optimalerweise mitbringen?

Ich bin ein Verfechter von psychologischen Testverfahren und nutze meistens die Team-Rollen von Belbin, weil sie einfach zu verstehen und anzuwenden sind. Belbin definiert acht verschiedene Typen von Teammitgliedern. Sie brauchen nicht jeden davon, damit das Team funktioniert. Am besten Sie stellen sich das als einen Kreis mit vier Vierteln vor. Von jedem Viertel benötigen Sie einen Vertreter. Damit ein Team erfolgreich ist, sollte sich das Verhalten seiner Mitglieder die Waage halten.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Belbin bezeichnet einen seiner acht Typen als Perfektionisten. Er macht alles 150-prozentig und lässt das Team nicht weiterarbeiten bis Projekte perfekt abgeschlossen sind. Ein anderer Rollentypus ist der Kreative. Gerade jetzt ist er besonders wichtig, da er Lösungen aus schwierigen Situationen, wie wir sie gerade erleben, finden kann. Leider sind sie oft die ersten, die in schwierigen Zeiten entlassen werden. Viele Führungskräfte sagen: „Der kommt immer zu spät und sieht total ungepflegt aus – weg mit ihm.“ Dabei bräuchten die Unternehmen gerade jetzt doppelt so viele Kreative in ihren Teams.

Was halten Sie davon, wenn Unternehmen die Krise nutzen, um verstärkt Mitarbeiter von anderen Unternehmen abzuwerben?

Nicht viel. Sie sollten den Fokus lieber darauf lenken, dass alle Mitarbeiter ihre Arbeit tun. Blinde Passagiere kann gerade niemand gebrauchen. Personalentwickler sollten im Moment besonders aktiv werden und die Mitarbeiter trainieren und weiterbilden. Vielleicht müssen Personaler auch mal einen Beschäftigten entlassen, wenn sich herausstellt, dass er nicht zum Unternehmen passt. Aber oft ist das nicht notwendig, auch wenn die Absatzzahlen schlecht sind. Es gibt so viele Märkte und Möglichkeiten – auch in der Krise.

Wie können Sie als professioneller Sprecher Personalverantwortliche bei dieser Arbeit unterstützen?

Wir Redner sagen, das sind die drei Es: Education, Entertainment und Enthusiasmus. Deshalb hören uns die Menschen genauer zu, wenn wir auftreten. Wir haben den Anspruch, dass jeder im Publikum den größtmöglichen Nutzen von der Rede hat – egal ob sie eine Stunde geht oder Teil eines längeren Workshops ist. Ein professioneller Sprecher bringt eine internationale und branchenübergreifende Sicht auf die Arbeitswelt mit. Und vor allem berichtet er, was er selbst oder andere erlebt haben. Das ist es, was wir tun: Wir erzählen Geschichten.

Interview: Stefanie Hornung