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Foto von bruce mars
Herr Bakas, welche Trends werden das HR-Management in den kommenden Jahrzehnten verändern?
Einige dieser Entwicklungen sind schon jetzt spürbar: zum Beispiel die Globalisierung und der Trend, Arbeitsplätze in Richtung Osten zu verlagern. Das Outsourcing von Dienstleistungen wird weiter zunehmen, die Energiepreise werden steigen, was wiederum die Transportkosten erhöht. Unsere Gesellschaft wird immer älter, gleichzeitig schreitet die Technologisierung fort. Roboter werden in Zukunft einen großen Teil der Arbeit übernehmen.

Was machen wir denn dann mit den Menschen, die diese Arbeit jetzt erledigen?
In Zukunft werden ohnehin weniger Nachwuchskräfte zur Verfügung stehen. Aber dank der Roboter wird das kein Problem für uns sein. Sie verursachen keine Personalkosten, sind nie krank und können 24 Stunden am Tag arbeiten. Mit ihrer Hilfe können wir weiterhin im eigenen Land produzieren und sparen uns die Transportkosten, die in Zukunft weiter steigen werden. Die Belegschaft eines HR-Verantwortlichen wird deshalb künftig zu einem großen Teil aus Robotern bestehen.

Wissensintensivere Dienstleistungen können wir aber nicht so schnell von Robotern erledigen lassen …
Diese Dienstleistungen können wir auch ins billigere Ausland verlagern. Einer unserer Kunden ist ein Möbeldesigner, der seine Produkte früher in Holland entwarf und in Schanghai produzierte. Mittlerweile sind aber die Chinesen so gut ausgebildet, dass sie auch das Design übernehmen. Es spielt keine Rolle, wo die Arbeit erledigt wird, denn das Unternehmen ist multinational. Wir sollten aufhören, in Nationalstaaten zu denken. Unternehmen agieren zunehmend unabhängig von nationalen Grenzen, sie suchen sich ihre Talente in der ganzen Welt. Siemens stattet gerade die Metro in Delhi mit einer neuen Signaltechnik aus. Für dieses Projekt arbeiten Ingenieure aus Deutschland, aber auch aus Indien, China oder sogar Brasilien.
Längst nicht alle Arbeitnehmer sind so mobil. Deshalb hat die EU-Kommission 2006 ja auch zum Jahr der Arbeitsmobilität erklärt. Denken die Europäer zu wenig global?
Nicht unbedingt, aber Länder wie Deutschland oder auch Österreich haben ein Problem: Sie haben wenig Erfahrung mit asiatischen Ländern gesammelt, im Unterschied beispielsweise zu Holland oder Frankreich, die Kolonien in Asien hatten. Das müssen diese Länder nachholen, denn Asien wird zur führenden Wirtschaftsmacht des 21. Jahrhunderts. Unternehmen müssen ihre Mitarbeiter im Umgang mit Asiaten schulen. Das gilt natürlich auch für die HR-Manager, denn der Personalchef eines multinationalen Unternehmens wird in Zukunft auch für chinesische oder thailändische Mitarbeiter verantwortlich sein. Ohne profunde Kenntnisse der asiatischen Kulturen ist das nicht möglich. Wir müssen in kulturelle Trainings und Sprachen investieren. Chinesisch ist die Geschäftssprache der Zukunft, deshalb sollten wir sie schon in den Schulen unterrichten. Reiche New Yorker leisten sich bereits eine chinesische Nanny. Wer Chinesisch spricht, ist künftig im Vorteil, denn die Chinesen sind Nationalisten. Sie legen großen Wert auf ihre Sprache und Kultur.

Sie prognostizieren eine „Asianisierung“ der Wirtschaft. Wie wird der Einfluss Asiens die Arbeitsbedingungen in Europa verändern?
Die Europäer werden ihre Arbeitsweise an die Asiaten anpassen müssen, denn die asiatischen Länder gewinnen enorm an Einfluss. Asiaten sind zum Beispiel bereit, länger und härter zu arbeiten als die Europäer. Sie haben auch andere Werte. Kinderarbeit ist für sie zum Beispiel normal. In Indien haben Straßenkinder eine Bank gegründet, in die sie ihre Einnahmen einzahlen. Die Bank bietet Schutz vor Diebstahl durch andere Kinder und Erwachsene. Ich finde dieses Projekt sehr praktisch. Denn die Kinder arbeiten in der Dritten Welt ohnehin. Europäer müssen sich mit diesen Realitäten auseinander setzen und gleichzeitig einen Weg finden, ihre Identität zu bewahren. Neben Globalisierung und Asianisierung lässt sich schon jetzt ein Trend in Richtung Regionalismus und Nationalismus ausmachen, ein Besinnen auf eigene Werte und Normen.

Der Karikaturenstreit hat gezeigt, wohin das Besinnen auf die eigenen Werte im schlimmsten Fall führen kann. Solche ethnisch-religiös motivierten Konflikte können auch in Unternehmen entstehen. Wie kann HR hier vorbeugen?
Das ist nicht einfach. Der Ölkonzern Shell hat es versucht und wollte in den Niederlanden einen Diversity-Tag organisieren. Doch die Muslime wollten nicht mit den Homosexuellen in einem Raum sein, und so musste Shell die Veranstaltung wieder absagen. Der Karikaturenstreit hat übrigens in den Niederlanden schon zu ersten Personalproblemen geführt. Erst kürzlich haben die muslimischen Zeitungsboten gestreikt, weil eine große holländische Tageszeitung die Mohammed-Karikaturen abgedruckt hat. Der Verlag musste also 14-jährige muslimische Jungen dazu bewegen, ihre Arbeit wieder aufzunehmen.
Kulturelle Konflikte ganz anderer Art können auftreten, wenn Unternehmen fusionieren. Die Zahl der internationalen Firmenfusionen ist im vergangenen Jahr erneut gestiegen …
… und 80 Prozent scheitern, weil es sehr schwer ist, Unternehmenskulturen zu verschmelzen. Ich würde Unternehmen eher zu Joint Ventures raten. Gerade im Zeitalter der Globalisierung brauchen die Menschen ein Gefühl der Identität. Gleichzeitig müssen Firmen zusammenarbeiten, daher bieten sich Joint Ventures an. Ich habe kürzlich einen Bericht über ein Joint Venture zwischen Firmen gelesen, die ein Produkt für die Terrorabwehr entwickeln: Sie implantieren Wespen einen Chip, der Bomben aufspüren soll. An diesem Projekt arbeiteten Biologen, IT-Spezialisten und Sicherheitsexperten. Sie vernetzen ihr Wissen, aber arbeiten nicht für dasselbe Unternehmen. Wir leben in einer Zeit der projektbezogenen Kooperationen. Ihnen gehört die Zukunft, weil der technologische Fortschritt voranschreitet und die Bedürfnisse des Marktes immer komplexer werden.

Stichwort technologischer Fortschritt: Welche Technologien werden die Arbeit des HR-Managements in Zukunft verändern?

IT wird unsere Arbeitswelt am stärksten verändern. Ich selbst beschäftige seit zwei Jahren Trendforscher in Indien, die ich erst im Januar persönlich kennen gelernt habe. Wir kommunizieren überwiegend über das Internet. Die Technologisierung führt dazu, dass HR-Manager auf einen internationalen Pool von Arbeitskräften zurückgreifen können. Sie arbeiten mit Menschen, die sie nie oder selten sehen. Ihre Mitarbeiter arbeiten an unterschiedlichen Orten zu unterschiedlichen Zeiten – auch die Lebensarbeitszeiten werden flexibler. Randstad beschäftigt in den Niederlanden schon jetzt viele Mitarbeiter im Pensionsalter, die Teilzeit für wechselnde Firmen arbeiten. Das ist die Zukunft.

Was müssen HR-Manager in Zukunft leisten?
Das HR-Management wird sehr international ausgerichtet sein. Deshalb müssen Personalisten unterschiedliche Kulturen kennen und in der Lage sein, mit einer internationalen Belegschaft zu arbeiten. Technologisches Wissen ist ebenfalls notwendig, weil Roboter einen großen Teil der Arbeit übernehmen werden. HR-Manager sollten zudem die Kunst des Storytelling beherrschen, um eine attraktive Arbeitgebermarke zu schaffen und Talente anzuziehen. Sie werden gezwungen sein, in Kategorien des Marketings zu denken. Denn der Wettbewerb wird härter, und es wird Aufgabe von HR sein, Mitarbeiter so aus- und weiterzubilden, dass sie sich optimal auf die Bedürfnisse des Marktes einstellen können.
Wie kann das in der Praxis aussehen?
Dexter Communications hat zum Beispiel eine Innovationsstrategie für eine große niederländische Bank entwickelt, wobei wir mit der HR- und der Marketingabteilung zusammengearbeitet haben. Das Ergebnis: Zweimal im Jahr präsentieren wir dem Unternehmen die zehn aktuellen Trends im Finanzsektor. Anschließend entwickeln die 200 Top-Mitarbeiter der Bank neue Produktideen. Wenn ein Mitarbeiter eine Idee vorlegt, die funktioniert, erhält er eine beträchtliche Prämie – und das wirkt! Unternehmen sollten die Kreativität ihrer Mitarbeiter viel offensiver nutzen – und das HR-Management müsste sich stärker mit Kreativitätsmanagement befassen. Innovationen werden heute noch stark vom Marketing vorangetrieben. In dieses Feld muss HR vorstoßen.



Interview: Bettina Geuenich

Literaturtipp

Megatrends Europe.
The Future of a Continent and its Impact
on the World. By Adjiedj Bakas.
Cyan Books 2006


Quelle: personal manager 2/2006