Herr Trompenaars, viele internationale Unternehmen verfolgen eine globale Strategie. Sie verkaufen auf der ganzen Welt dieselben Produkte und nutzen dieselben Managementmethoden. Führt die Globalisierung dazu, dass sich Unternehmens- und Führungskulturen angleichen?
Ich glaube, dass viele Unternehmen diese kulturellen Unterschiede ignorieren wollen, weil es im Sinne der Effektivität und Effizienz wunderbar ist, wenn sich alle Menschen auf der Welt gleich verhalten. Aber das funktioniert so nicht. Wir beschäftigen uns seit 20 Jahren mit kulturellen Unterschieden. Dabei beobachten wir immer wieder, dass es Zeiten der Annäherung gibt, in denen sich Kulturen aufeinander zu bewegen. Doch darauf folgen Zeiten der Ablösung, in denen sich die Kulturen teilweise explosionsartig auseinanderbewegen. Diese Zyklen lassen sich auch sehr häufig in internationalen Fusionen und Übernahmen beobachten. Am Anfang versuchen die Menschen, gleich zu werden, aber nach der „Honeymoon-Phase“ fangen sie wieder an, in Stereotypen zu denken, und betonen ihre Unterschiede.

Wie sollten Unternehmen mit den kulturellen Unterschieden umgehen, die nach einer Fusion sichtbar werden?

Unternehmen, die interkulturelle Kompetenz haben, arbeiten ihre Gemeinsamkeiten heraus. Das können Kernwerte sein oder Markenstrategien oder HR-Instrumente. Diese Unternehmen teilen Gemeinsamkeiten, lassen aber auch Interpretationen zu. Die Metapher dafür ist das Pendulum. Ein Pendulum hat oben einen Nagel, der das Beständige und Gemeinsame repräsentiert. Der Ball, der an einem Seil schwingt, ist das Symbol für Diversity. Die Stärke des Seils steht, wenn Sie so wollen, für Leadership. Gute Manager wissen genau, welche Gemeinsamkeiten die Organisation verbinden und welche Unterschiede sie zulassen können.

Können Sie ein Beispiel für gutes transkulturelles Management nennen?

Nehmen wir Shell, eines der internationalsten Unternehmen der Welt. Shell sagt: Wir haben ein einheitliches Branding, aber unsere Marketing-Strategien können in den Ländern unterschiedlich sein. Dasselbe gilt für das HR-Management. So wird jeder Mitarbeiter nach demselben System beurteilt, doch es gibt regionale Unterschiede dieses Beurteilungsverfahrens. Das heißt im Bild des Pendulums: Es gibt sowohl gemeinsame Nägel als auch Raum für Diversity. Aber um auf Ihre Ausgangsfrage zurückzukommen – viele Unternehmen versuchen, den Nagel so groß zu machen, dass der Ball nicht mehr schwingen kann. Und das funktioniert nicht, weil die Menschen nicht alle gleich sind und das auch niemals sein werden.

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Foto von NESA by Makers

Dennoch setzen viele Unternehmen auf einheitliche Prozesse. Ab wann wird Standardisierung zum Problem?
Das hängt vom Geschäftszweig ab. Auf der „menschlichen Seite des Geschäfts“ – und dazu zähle ich vor allem Marketing, Sales und HR – spielt Kultur eine große Rolle. Daher kann der Nagel dort kleiner sein und Sie können mehr Raum für Diversity lassen. Aber die Tatsache, dass ein Nagel klein ist, heißt nicht, dass er nicht stark sein muss. Denn wenn ein Pendulum schwingen soll, benötigt es einen qualitativ hochwertigen Nagel.

Welche Schwierigkeiten entstehen durch zu viel Zentralismus?
Im Extremfall bekommen Sie, was wir „unternehmerischen Regentanz“ nennen: Die Mitarbeiter sagen, dass sie die Vorgaben des Headquarters erfüllen, aber sie tun’s nicht. Es ist viel effektiver, diese Mitarbeiter einzubinden und neue Prozesse in multikulturellen Teams zu entwickeln. Aber auch dann sind Sie nur erfolgreich, wenn Sie auf Gemeinsamkeiten achten. Ein Beispiel: Viele internationale Unternehmen versuchen zurzeit, einheitliche Werte zu entwickeln, aber sie ignorieren dabei die multikulturelle Komponente. Stattdessen sagt ein typisches globales amerikanisches Unternehmen: „Hier sind unsere Werte – und übrigens: wir diktieren der Welt, wofür sie stehen.“ Das Management beschreibt, was unter „Offenheit“ und „Kreativität“ zu verstehen ist, lässt Videos drehen, und im Grunde erzählen sie ihren Leuten, wie amerikanisch sie werden sollen. Ganz anders gehen transnationale Organisationen vor, die sagen: „Lass uns doch mal schauen, welche Werte wir teilen – und dann definieren wir lokal, was diese Werte in unseren Regionen bedeuten.“

Und wie finden Unternehmen heraus, welche Werte sie teilen – zum Beispiel nach einem Merger?

Sie sollten nicht mit der Kultur beginnen, sondern sich fragen: „Was sind unsere Geschäftsprobleme und wie können wir sie überwinden?“ Ein gutes Beispiel ist unser Kunde Linde Gas, der BOC übernommen hat. Linde ist ein deutsches Unternehmen mit sehr viel Know-how in der Gastechnologie. Ein Geschäftsproblem von Linde war vor der Akquisition, dass dieses Unternehmen internationaler werden musste. BOC ist ein internationales Unternehmen mit Sitz in England, das sein Know-how in der Gastechnologie vertiefen wollte. Die zentrale Frage ist jetzt: Welche Werte helfen den Unternehmen dabei, ihre Probleme zu lösen? Denn Werte haben immer einen Sinn. Sie unterstützen uns dabei, Probleme zu lösen. Das gilt auch für nationale Kulturen: Die österreichischen Werte haben der österreichischen Gesellschaft geholfen, zu überleben. Deshalb setzen wir mit unseren Kunden bei den Problemen an und gehen dann zurück zu den Werten. Und wissen Sie, was passiert? Die Leute realisieren, dass sie Werte teilen, die ihre Visionen und Strategien für das neue Unternehmen unterstützen.

Trotz gemeinsamer Unternehmenswerte kollidieren in internationalen Organisationen häufig die Kulturen. Welche Tipps geben Sie Ihren Klienten, um den interkulturellen Sprengstoff zu entschärfen?
Wir hatten dieses Problem bei Shell. Die meisten Teams des Unternehmens sind multikulturell zusammengesetzt und einige Mitarbeiter waren zum Beispiel ihrer Kultur entsprechend individualistisch geprägt, andere eher gruppenorientiert. Shell installierte daher ein Bonussystem, das Mitarbeitern dann einen Bonus zukommen ließ, wenn sie besonders teamorientiert waren. Die andere Hälfte der Leistungen erhielten Teams, denen es besonders gut gelungen war, individuelle Kreativität zu fördern. So motivierte Shell die Mitarbeiter zu kooperieren und die Teams, individuelle Kreativität zu fördern. „Co-opetition“ nennen wir das. Dieses Prinzip funktioniert quer durch die Kulturen.

Sie sagen, dass Unternehmen besonders erfolgreich sind, wenn sie transkulturelle Kompetenz aufbauen. Kann man diese Kompetenz trainieren?
Ja und nein. Das ist ein bisschen wie mit der Kreativität. Sie werden mit einem gewissen Talent geboren, können Kreativität allerdings auch trainieren. Viel effektiver als ein Training ist es aber, eine Kultur zu schaffen, in der das Aussöhnen kultureller Unterschiede zur zweiten Natur wird, damit die Mitarbeiter auch dann interkulturell kompetent handeln, wenn sie kein natürliches Talent dafür haben. Ein Beispiel dafür ist das Unternehmen Applied Materials in Dresden. Dieses Unternehmen hat ein Koordinatensystem mit einer x- und einer y-Achse auf jeder Flipchart. Im Unterschied zu einer einfachen Linie symbolisiert das Koordinatensystem eine Aufforderung zur Versöhnung von Unterschieden. Und vielleicht ist das ein schönes Ende für das Interview: Wir müssen weg von den Linien hin zu einem Koordinatensystem, das Gegensätze verbindet.

Interview: Bettina Geuenich

Literaturtipps

  • Riding the Waves of Culture: Understanding Cultural Diversity in Business. Von Fons Trompenaars und Charles Hampden- Turner, 2. Aufl., Nicholas Brealey Publishing 1997.
  • Riding the Whirlwind: Connecting People and Organisations in a Culture of Innovation. Von Fons Trompenaars. Infinite Ideas Limited 2007.


Quelle: personal manager 1/2008