Keynote-Vortrag von Dr. Peter Gloor

people sitting near window having conversations
Foto von Romain V

auf der Swiss eLearning Conference:

„Förderung kollaborativer Innovationsnetze durch Schwarmkreativität“

13. April 2010, 10 Uhr

Messe Zürich, Halle 6

Herr Gloor, haben Sie heute Früh schon in Ihrem Netzwerk kommuniziert?

Ja, das kann man so sagen.

Was haben Sie genau gemacht?

Ich habe E-Mails geschrieben und war einige Male bei Skype online. Ich habe bestimmt schon mit fünf Kollegen kommuniziert. Wenn man so einen reisenden Stil pflegt, muss man die elektronischen Medien voll ausnützen, um miteinander in Kontakt zu bleiben.

Die Kontakte zum eigenen Netzwerk spielen eine große Rolle in Ihrer Forschung. Was verstehen Sie unter Schwarmkreativität?

Das ist für mich die Art und Weise, wie neue Ideen kreiert werden. Gute Ideen haben viele Leute, aber den Ideen Gehör verschaffen, das ist die Kunst. Man braucht einen Schwarm drumherum. Individuelle Intelligenz ist nicht genug, sondern man braucht auch die emotionale Intelligenz oder Schwarmintelligenz, um mit Leuten zusammenarbeiten zu können. Wenn man also nichts als sein eigenes Ego herausposaunt, dann sind die anderen nicht unbedingt gewillt, zuzuhören. Man muss es schaffen, einen Schwarm oder ein Wir-Gefühl aufzubauen.

Dann sind zum Beispiel Facebook, Google Wave oder Twitter genau die Werkzeuge, mit denen solche Schwärme arbeiten können?

Ja, das ist so. Twitter ist zum Beispiel gut geeignet, um sich über Trends auszutauschen. Für das Coolhunting, das heißt das Aufspüren von Trends, ist Twitter ideal. Wenn man aber selber Coolfarming betreiben will, also einen eigenen Trend ausbreiten, dann reicht Twitter nicht. Dann muss man reichere, dichtere Informationskanäle zu anderen Leuten aufbauen. Dann sind Kanäle besser geeignet, mit denen man mehr Informationen kommunizieren kann. Ein gutes Beispiel ist Facebook, das besonders in der Generation der 15- bis 30-Jährigen sehr beliebt ist. Hier kann man mit seinem Schwarm, mit seinen 50 bis 300 Leuten, ganz eng kommunizieren und eigentlich immer sagen, was einen so berührt.

Ihr Vortrag auf der Swiss eLearning Conference beschäftigt sich mit dem Erkennen von Trends und Trendsettern in Netzwerken. Wie kann man diese identifizieren?

Der Trick ist, dass man nicht die Trends sucht, sondern die Trendsetter, also diejenigen Leute, die so gut vernetzt sind, dass sie in der Lage sind, für einen neuen Trend eine Gefolgschaft aufzubauen. Das macht man, indem man schaut, wie die Leute kommunizieren, und indem man deren Kommunikationsnetz herauskriegt. Das sieht man heute sehr schön mit Xing oder Facebook. Die Leute, die sehr gut vernetzt sind, sind auch diejenigen, die in der Lage sind, einem neuen Trend Gehör zu verschaffen. Und wenn man sieht, welche Dinge das sind, die diese Trendsetter bewegen, dann werden das die neuen Trends.

Haben Sie da ein Beispiel?

Das kann irgendeine Musikgruppe sein. Es gibt natürlich auch Leute, die dermaßen Trendsetter sind, dass sie es gar nicht mehr nötig haben, auf Facebook vernetzt zu sein, wie zum Beispiel Steve Jobs von Apple. Der hat eine immense Gefolgschaft. Oder, wenn man noch höher greift, Leute wie Barack Obama. Der ist wiederum auf Facebook und hat eine Gruppe von Leuten, die sich bewusst mit der Pflege von Obamas Netzwerk in Facebook oder anderen Webseiten beschäftigen.

Wer ist aus Ihrer Sicht ein gutes Beispiel für einen Coolfarmer und wer für einen Coolhunter?

Jeder bekannte Musiker, der es geschafft hat, eine größere Gefolgschaft aufzubauen, ist eigentlich ein Coolfarmer. Im großen Sinn waren aber auch Open-Source-Geschichten wie der Aufbau von Wikipedia, Linux oder das Web selber Coolfarming-Aktivitäten, und die Leute, die dahinterstecken sind die Coolfarmer. Coolhunter sind diejenigen, die gut sind im Verfolgen von Trends. Wenn man ein kommerzielles Produkt anbieten will, dann muss man etwas tun, was die Leute auch kaufen wollen. Das heißt man muss eigentlich beides sein: Coolhunter und Coolfarmer. Da könnte man wieder Steve Jobs nennen oder auch Oprah Winfrey.

Was bedeutet Ihr Ansatz für Unternehmen und für betriebliches Lernen?

Wir können sicher nicht alle ein Steve Jobs oder eine Oprah Winfrey werden. Aber wichtig ist die Art und Weise wie man kommuniziert, dass man sich in den Schwarm einbettet und dass man gewillt ist, den Leuten die Kontrolle zu geben. Ein ganz wichtiger Punkt ist für mich die Happiness Research. Es ist ja letztendlich unser Ziel, dass jeder glücklich sein will. Glücklich ist man, wenn man in einem Schwarm drin ist, wenn man es schafft, ein solches Schwarmgefühl zu erzeugen. Dann hat man es auch geschafft, einem Trend Gehör zu verschaffen. Man braucht keinen Mega-Schwarm zu kreieren, sondern es genügt eine kleine Gruppe von Gleichgesinnten, mit denen man zusammen neue Ideen umsetzen kann.

Was machen Unternehmen bisher falsch?

Hierarchie ist ein Problem. Man kann einen Schwarm wunderbar killen, indem man einen Chef oben hinsetzt und der sagt „Ich bin der Boss und ihr macht was ich sage“. Dann laufen die Leute davon.

Für welche Branchen eignet sich das Arbeiten in virtuellen Teams besonders gut?

Eigentlich grundsätzlich überall. Wir haben viel in High-Tech-Firmen umgesetzt, weil dort das Wissensmanagement eine große Rolle spielt und man das mit dem Schwarmansatz viel besser umsetzen kann. Besonders gut also überall dort, wo Innovation das Kerngeschäft ist.

Welche Potenziale können Unternehmen für ihr Wissensmanagement ausschöpfen, wenn sie Netzwerke nutzen?

Immense Potenziale. Sie kriegen dann quasi eine Forschungsabteilung, die sich nicht auf Personen innerhalb ihrer Firma beschränkt, sondern die ganze Welt einbezieht, wenn sie es schaffen, sich in dieses Netz einzuklinken. Das heißt aber auch, sie müssen gewillt sein, eigene Informationen zu einem gewissen Teil herauszugeben. Ein Genie darin ist beispielsweise Apple. Da gibt es immer wieder Information Leaks, also undichte Stellen in der Kommunikation, bei denen man nicht weiß, ob es so ist oder nicht, aber sie erzeugen damit eine unheimliche Erwartungshaltung und Aufmerksamkeit ihres Schwarms. Mein Lieblingsbild dafür sind die Bienen. Um mitzumachen, muss man selber eine Biene im Schwarm sein, dann weiß man, was der Schwarm will.

Wie wird betriebliches Lernen Ihrer Meinung nach in zehn Jahren vonstattengehen?

Es wird sich immer mehr in die Richtung der kollektiven Intelligenz entwickeln. Das setzt voraus, dass man gewillt ist, im betrieblichen wie auch im schulischen Umfeld gegenseitig voneinander zu lernen. Und dass die Hierarchie zwischen Lehrer und Schüler abnimmt, und der Lehrer erkennt, dass er von seinem Schüler auch etwas lernen kann.

Und auch der Vorgesetzte von seinen Mitarbeitern?

Ganz genau. Die Hierarchie wird ersetzt durch eine Meritokratie, so dass man gewillt ist, zusammenzuarbeiten. Wenn man sehr erfolgreiche Volkswirtschaften anschaut, dann werden immer mehr kleinere Startups aus Universitäten gegründet, die die großen Firmen wie Daimler oder die UBS komplementieren. Um diese Großfirmen gibt es eine Galaxie – ein weiteres Lieblingswort von mir – von diesen kleinen Firmen, die dann gemeinsam voneinander lernen. Um erfolgreich zu sein, muss die Großfirma gewillt sein, mit den kleinen zusammenzuarbeiten und von ihnen zu lernen.

Interview: Bettina Wallbrecht