Einzelner mit Tausenden anderen konfrontiert

yellow ceramic mug beside gray aluminum iMac
Foto von Georgie Cobbs

Als Grund zur Entwicklung dieser Werkzeuge nannte Peter Kruse, dass die digitalisierte Welt eine Komplexität und Dynamik erzeuge, die vom Individuum nicht mehr allein bewältigt werden kann, weil es mit den Impulsen Hunderter, Tausender und Millionen anderer Menschen konfrontiert ist. Er formulierte für die Wirtschaft und Gesellschaft folgende Aufgaben: Wie können wir Lernprozesse des Einzelnen mit denen einer Gruppe oder Organisation entwickeln? Wie schaffen wir das real? Wie gelingt es uns, dass das Ganze mehr ist als die bloße Summe aller Teile?

Kruses Hoffnung war, dass entsprechend geeignete Toolsysteme viele gute Ideen in die Welt bringen. Er merkte allerdings an, dass eine mit den Ideen verbundene erhöhte Komplexität an Aufgaben auch eine zunehmende Dichte notwendiger Lösungen bedeute. Bei weitem sei es nicht so leicht, mit den vielzähligen Konsequenzen umzugehen. Kruse brachte dazu den Begriff des Zauberlehrlings ins Spiel; dieser erzeugt mit verschiedenen Mitteln Wirkungen, die ihn zum Schluss übermannen. 

                         Der Computer ist das bemerkenswerteste Werkzeug,
                                                  das wir je bekommen haben. Er ist so wie ein
                                       Fahrrad für unseren Geist.
                                                                                        
Steve Jobs

Gesinnungswandel zugunsten der Vielen

Dies wiederum impliziert, dass Führungskräfte – bildlich gesprochen – anders als in tayloristischen Zeiten nicht einseitig nach den guten und schlechten Körnern im Weizen ihrer Belegschaft suchen und letztere aussieben sollten. Sondern es impliziert, dass sie ein neues Beobachtungsbewusstsein entwickeln und mehr Leistungen wertschätzen müssen als sie dies bislang vielleicht getan haben.

Die Zeichen dafür, dass diese Form der Führung in der modernen, komplexen Welt eine inzwischen maßgebende unter allen Managementstilen zu sein hat, haben sich in den letzten zehn Jahren verdichtet. Dazu gehören bahnbrechende Forschungsarbeiten, die inzwischen in der Gesellschaft Boden greifen. Sie betreffen komplexe Kommunikationssysteme in einer durch das Internet verbundenen Welt. So ist es unter anderem Professor Dr. Peter Kruse zu verdanken, dass wir heute über breite Kenntnisse von der Methodik und Funktionsweise, der Beschaffenheit und den Stolpersteinen im Umgang mit einer Weisheit der Vielen verfügen können. Das für diese Weisheit etablierte Schlagwort in der neuen Arbeitswelt lautet „Schwarmintelligenz“, beziehungsweise „kollektive Intelligenz“. 

Wie bei Star Wars: Führung spürt Erschütterung der Macht

Führungskräfte ermahnte der Professor, die durch die digitale Welt ausgelöste Erschütterung ihrer Macht anzunehmen und zu reflektieren. Problematisch sei auch, dass durch die im Internet kulminierten Ereignisse disruptive Marktentwicklungen ausgelöst werden, die nicht vorhersagbar sind, weil die bisherigen Manipulationsregelmechanismen und Steuerungselemente vor den Vielen versagen. Wenn sich also Führung als ultimatives einziges Vorbild für die Mitarbeiter über Vorhersage definiert und Wege befiehlt – im Sinne von „Tu das, lass jenes“ – dann ist sie kein integrativer Teil einer Bewegung mehr und verfehle natürlicherweise Trends. Erst das Zusammenspiel aus Vorbild und dem Wissen vieler eröffnet dem Manager Erfolgschancen. Weder löst sich der Einzelne also total in der Masse auf, noch unterliegt diese dem Einzelnen. Oder anders gesagt: Nicht ein „entweder / oder“ sichert Fortbestand, sondern ein „sowohl als auch“. Und eben jene Formel macht Kreativität aus; ein Satz, den jeder Hirnforscher so unterschreiben würde.   

Wie Kruse zur Schwarmintelligenz fand

Peter Kruse verstarb im Sommer dieses Jahres. Er war Unternehmensberater und Hirnforscher. Wie er in zahlreichen Interview berichtete, war es ein biografischer Knick, der ihn dazu bewegt hatte, sich damit zu beschäftigen, wie hirnphysiologische Lernvorgänge auf organisationales Lernen im Betrieb übertragen werden können; im Sinne dessen, dass durch analogisches Vergleichen beider Sphären Ideen und Impulse zur Neugestaltung von kommunikativen Systemen herausgearbeitet werden können. Kruse erzählte, dass er fünfzehn Jahre lang im Bereich der Experimentalpsychologie auf der Schnittstelle zur Neurophysiologie gearbeitet habe. Dabei habe ihn die Frage bewegt, wie das menschliche Gehirn Ordnungen anlegt.

Er sattelte beruflich um, als er in seiner Familie an einer Nachfolgeregelung mitwirken musste. Als er sich dieser Aufgabe gestellt hatte, so Kruse, sei er darauf gekommen, dass Gehirn und Organisation aufeinander bezogen werden können. In der Folge hätten Unternehmer ihn gebeten, sie insbesondere bei Veränderungs- und Innovationsprozessen zu begleiten. Im Zuge dessen gründete Kruse die Beratungsagentur „Nextpractice“. Forschung und Anwendung gingen damit bei Kruse Hand in Hand.

Als einer der ersten Meilensteine bezeichnete Peter Kruse seine Entdeckung, dass es bei der Konturierung von Lernprozessen und -ergebnissen nicht darum gehe, sich auf Theoriebildungen zu konzentrieren, sondern auf Methodik. Kruse sagte in einem Interview mit Lutz Berger und Ulrike Reinhard anlässlich der SCOPE-Learning-Konferenz in 2008 zu Innovationsprozessen: „Es ist meistens keine Frage der Theorien, sondern eine Frage der Methoden. Die Menschen haben inzwischen eine Menge Ideen darüber, wie komplexe Systeme funktionieren, wie man dynamische Systeme zu Neuerungen und zur Umkonstruktion veranlasst. Aber es fehlen meistens die Werkzeuge. Und dann haben wir (A.d.R.: Nextpractice) uns darauf spezialisiert, Werkzeuge zum Erzeugen kollektiver Intelligenz zu bauen.“  

                          Kruse sprach von kollektiver Intelligenz,
                                         nicht von künstlicher …

Jeder Mensch weiß etwas. Niemand weiß nichts. Doch was er weiß, führt nicht in jeder seiner Situationen zum Ziel, das er anpeilt, beziehungsweise im Unternehmenskontext führt es nicht dazu, dass er, seine Kollegen und seine Firma zu den Stationen gelangen, die zum Fortbestand des Geschäfts beitragen. Über Glück und Unglück entscheidet nicht Wissen an sich, sondern der Umgang damit. Darum muss der Mensch danach streben, im jeweiligen Moment zu erfassen, was sein Wissen für ein Ziel bedeutet. Dieser Kernpunkt berührt das Herz allen kreativen Bewusstseins: Eine Rose ist eine Rose und doch wieder nicht – je nach Situation.

Wer dieses Lebensgesetz in der Führung beherzigt, kann nicht umhin, von seinen Kollegen und Mitarbeitern vorurteilsfrei und gelassen anzunehmen, was diese ihm an Beobachtungen, intuitivem Erkennen und Erfahrungen mitteilen. Und er muss sich seiner Rolle bewusst sein, in der er steht; nämlich derjenige zu sein, der aus der Vielzahl der Eindrücke einem Geschäft Konturen verleiht. Darin ist er zugleich Vorbild – als Sorgender und Engagierter – für andere und Empfangender zugleich.

Kruse sehen und hören:

Schwarmintelligenz – was ist das? www.youtube.com
Die Führungsmacht ist erschüttert www.youtube.com  

Foto: Petra Dirscherl | pixelio.de