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Pater Anselm, in Ihren Vorträgen befassen Sie sich mit den Themen Mitarbeiterführung und Motivation. Was brauche ich, um Menschen erfolgreich führen zu können?
Wichtig ist zunächst, dass ich selbst mit mir im Reinen bin und mit einer positiven Einstellung zur Arbeit gehe. Und ich muss selbst hinter dem stehen, was ich tue und äußere. Motivation darf kein äußerlicher Trick sein. Das merken die Menschen. Eine gute Führungskraft ist innerlich davon überzeugt, was sie tut.

Aber die innere Überzeugung genügt oftmals noch nicht, um einen guten Draht zu den Mitarbeitern zu finden und sie für ihre Tätigkeit zu begeistern.
Das Wichtigste ist, dass ich den einzelnen Menschen im Blick habe. Führen heißt Leben wecken. Das verlangt, dass ich den Schlüssel zu jedem Einzelnen finde. Ich führe dann gut, wenn ich mich mit dem Einzelnen auseinander setze und mir überlege, wie ich ihn motivieren kann. Wenn jemand schwierig ist, muss ich spüren, was der Auslöser dafür ist: Was braucht dieser Mensch, damit er zufrieden ist? Für eine gute Führungskraft ist es also vor allem wichtig, dass sie ein Gespür für Menschen und sich selbst hat. Eine gute Führungskraft sollte auch regelmäßig innehalten und sich überlegen, ob sie sich noch auf dem richtigen Weg befindet.

Ein wichtiges Thema in Ihren Vorträgen ist „Vertrauen“. Heißt das, ohne Vertrauen in die Mitarbeiter ist eine erfolgreiche Führung nicht möglich?
Der Heilige Benedikt spricht davon, dass wir an das Gute im Menschen glauben sollen. Vertrauen basiert auf dem Glauben an den anderen. Aber Vertrauen heißt nicht, vertrauensselig zu sein. Die Gefahr ist, dass ich das Negative ausblende, wenn ich alles zu positiv sehe. Manchmal sind Konfrontationen nötig, beispielsweise wenn jemand einen falschen Weg geht. Kontrolle verhindert zu große Fehler, aber sie schafft neue. Eine gute Führungskraft muss eine Linie zwischen den Spannungsfeldern Vertrauen und Kontrolle finden.

Können Sie ein Beispiel dafür nennen?
Das beginnt schon beim Betreten eines Raums: Sehe ich die Mitarbeiter an oder blicke ich auf die Schreibtische, ob dort Arbeit liegen geblieben ist? In diesem Fall fühlen sich die Mitarbeiter sofort kontrolliert.

Wie haben Sie Ihr Führungswissen erworben?
Immerhin sind Sie bereits im Alter von 19 Jahren ins Kloster eingetreten. Vor allem durch Erfahrung im Umgang mit den Menschen im Kloster und den Klosterbetrieben. Außerdem ist die Regel des Heiligen Benediktus voller Weisheiten zum Thema Mitarbeiterführung. Sie muss nur richtig übersetzt werden.

Was ist deren Kernaussage?
Der Heilige Benediktus versteht Führen als Leben wecken. Wichtig ist, die Mitarbeiter nicht zu betrüben, sondern eine Atmosphäre zu schaffen, die auf Vertrauen basiert. Weiterhin ist es entscheidend, auf den Einzelnen einzugehen und die Achtung vor dem Einzelnen zu bewahren.

Sie selbst sind als wirtschaftlicher Leiter des Benediktinerklosters Münsterschwarzach für 280 Mitarbeiter verantwortlich. Ist die Mitarbeiterführung in einem Kloster vergleichbar mit der in einem Wirtschaftsunternehmen?
Die 280 Mitarbeiter sind Angestellte, die in unseren Handwerksbetrieben, dem Verlag und in der Schule arbeiten. Ich versuche, ein Klima zu schaffen, in dem gern gearbeitet wird. Aber es gibt auch immer wieder Personen, die die gewünschte Leistung nicht erbringen. So musste ich kürzlich einen Lehrer entlassen, der für unsere Schule nicht tragbar war.

Sind Personalentwicklung und Nachfolgeplanung auch Themen in den Klosterbetrieben?
Sicher. Ich bin jetzt 59 Jahre alt und denke darüber nach, wie es weitergeht. Mein Nachfolger sollte schon ein Mitbruder sein. Außerdem überlege ich, wie die Zukunft der Klosterbetriebe aussehen wird - zum Beispiel die unseres Druckhauses. Aber Themen wie Personalentwicklung und Mitarbeiterführung betreffen allein die angestellten Mitarbeiter und nicht die Mitbrüder. In ein Kloster tritt man nicht so ein wie in einen Betrieb, sondern entscheidet sich zunächst für eine bestimmte Lebensform und danach erst für einen Beruf. Deshalb beginnt das Klosterleben mit einer sechs- bis achtjährigen Probezeit, in der man sich klar werden soll, ob diese Lebensform die richtige ist.

Was ist für Sie die größte Herausforderung bei der wirtschaftlichen Leitung des Klosters?
Die größte Herausforderung ist, sich nicht von der negativen Stimmung in der Wirtschaft anstecken zu lassen und diese an die Mitarbeiter weiterzugeben. Hier kommt es darauf an, die eigenen Emotionen zu reinigen und eine positive und kreative Stimmung zu schaffen. Das ist eine Frage von Glauben und Vertrauen. Für die Führung der Mitarbeiter ist es wichtig, ein Klima zu schaffen, das menschlich ist und in dem alle Mitarbeiter gern arbeiten.

Viele Manager haben einen Coach, der Ihnen mit Rat und Tat zur Seite steht. Wer hilft Ihnen bei Führungsfragen?
Ich habe einen Supervisor, mit dem ich mich ungefähr einmal im Monat treffe. Das ist aber weniger für meine Tätigkeit als Cellerar wichtig als für meine spirituelle Arbeit. Ich begleite Priester und Ordensleute, die in eine Krise geraten sind. Besonders wichtig für mich persönlich ist außerdem das tägliche Meditationsgebet. Für mich als Benediktiner sind die ersten drei Stunden des Tages für Gebete und Meditation reserviert. Das ist die Quelle, aus der ich ständig schöpfe. Ich genieße diese ersten drei Stunden, bevor ich zur Arbeit gehe.

Helfen Rituale wie die festen Gebetszeiten in einem Kloster, den Alltag besser zu bewältigen?
In einer hektischen Zeit wie heute sind persönliche Rituale ein wichtiges Thema: Wie oder wann stehe ich auf? Habe ich Zeit für mich? Rituale sind eine heilige Zeit, die gut tut und Freiraum gibt. Wer eine heilige Zeit für sich hat, kann daraus positive Kraft schöpfen. Es kann ganz verschieden sein, welche Rituale jemand für sich findet. Ich kenne einen Manager, der morgens zwei Stunden früher aufsteht und sich Zeit für das Frühstück und die Zeitungslektüre nimmt. Wichtig ist nur, dass diese Rituale eingehalten werden. Nur dann lebe ich selbst anstatt gelebt zu werden.


Interview: Alexandra Fink

Quelle: personal manager 2/2004