In seinen Anfängen galt das Internet als ein freies und endloses virtuelles Territorium, in dem alles möglich schien. Dieser „Wilde Westen“ im Cyberspace ließ viele glauben, dass die Möglichkeiten zur Besiedelung keine Grenzen kennen. Inzwischen hat sich das in mancherlei Hinsicht als Irrglauben erwiesen. Viele gesellschaftliche Konventionen haben im Netz Einzug gehalten – beispielsweise der Besitz von Domains und der Schutz von geistigem Eigentum.

person stepping down on brown wooden stairs aerial photography
Foto von Raphael Koh

Obwohl viele Aspekte der realen Welt einfach auf die virtuelle Welt übertragbar sind, entstehen im Cyberspace neue Tendenzen, die für eine tatsächliche Veränderung unserer Gesellschaft sprechen. In dem Buch „Internet – Bildung – Gemeinschaft“ haben die Autoren elf Aufsätze zum Thema zusammen getragen. Insbesondere der zweite Teil des Bandes, der sich mit den Implikationen des Internets auf Bildung und Lernen beschäftigt, gibt Personalentwicklern einen Ausblick auf eine zukünftige Bildungskultur.

So prognostiziert Prof. Dr. Wolfgang Nieke in seinem Beitrag, dass sich die Bildung durch das Internet stärker individualisieren wird. Zwar nehme die Interessenshomogenität in Online-Netzwerkgruppen zu, gleichzeitig bleibe aber die Anonymität hoch. Vor diesem Hintergrund fordert er eine stärkere Vermittlung von Medienkompetenz, die eine sinnvolle Wertorientierung möglich macht. Einen anderen Aspekt hebt Prof. Dr. Johannes Fromme im Bezug auf die Medienbildung in virtuellen Welten hervor: Auch wenn diese Räume nicht frei von Regeln seien, erhielte der Bildungsprozess darin etwas Spielerisches und Beiläufiges.

Dem Thema Web 2.0 und seinen Auswirkungen auf Bildungskonzepte widmen sich die Autoren Dr. Benjamin Jörissen und Prof. Dr. Winfried Marotzki. Sie betonen vor allem, dass sich das Internet mit Web 2.0 dahingehend geändert hat, dass Partizipation und Kollaboration nun quasi flächendeckend im WWW möglich seien und dieses zu einem „großen Partizipationsraum“ transformiere. Die Vermassung von Partizipationsdiensten bringe zwar Nachteile mit sich, schaffe aber auch neue Bildungsanreize.

Inwiefern das Web 2.0 kooperatives Lernen beeinflusst führt Dr. Udo Hinze in dem letzten Beitrag des Bandes aus. Er verweist auf das Spannungsverhältnis zwischen Technik und Pädagogik, das von Konzepten des E-Learning hinlänglich bekannt ist. Technikfreaks müssen sich hierbei den Vorwurf gefallen lassen, dass sie das Gewicht zu sehr auf das technisch Machbare und zu wenig auf das pädagogisch Sinnvolle legen. Auch im Zusammenhang mit Web 2.0 taucht die Frage auf, ob der Technik einseitig ein hohes pädagogisches Potenzial unterstellt wird, ohne dass sich das verifizieren lässt. Hinze betont jedoch, dass es eben gerade nicht die neuen Tools sind, die das Potential für eine neue Pädagogik bilden, sondern die Entwicklungen, die sich daraus ergeben: Der Lerner erzeugt selbst Inhalte, Lernen wird ubiquitär und das „private“ Lernen wird durch die erbrachte „Leistung“ – wie beispielsweise in einem Blog – öffentlich sichtbar. Trotzdem hält Dr. Udo Hinze neue pädagogische Ansätze – insbesondere für kooperatives Lernen – für unverzichtbar.

Der Band „Internet – Bildung – Gemeinschaft“ bilanziert exemplarisch, wohin die Bildungsreise im Internet geht. Für Personalentwickler ist es deshalb ein spannendes Grundlagenwerk, das sich auf theoretischem Terrain bewegt und gleichzeitig den Bezug zur Praxis nicht aus dem Auge verliert.

Fredericke von Gross, Winfried Marotzki, Uwe Sander (HRSG.): Internet – Bildung – Gemeinschaft

VS Verlag für Sozialwissenschaften 2008

ISBN 978-3-8100-3161-7

264 Seiten