Herr Müller, Sie beschäftigen sich seit längerem mit Startups im HR-Bereich. Woher kommt Ihre Faszination für die Szene?

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Foto von bruce mars

Cornel Müller: Startups haben mich immer magisch angezogen. „Unternehmen macht einfach mehr Spass als Unterlassen!“ Ich durfte schon als Kind im väterlichen Betrieb mithelfen und nach nur zwei Jahren als Angestellter nach dem Studium habe ich das erste Unternehmen als 27-Jähriger gegründet – im HR-Bereich.

Die HR-Startup-Szene fasziniert mich besonders, weil die Digitalisierungspotenziale sehr gross sind. Das lässt sich wie folgt erklären: Einerseits ist – rein betriebswirtschaftlich betrachtet – die grösste Aufwandposition das Personal. Und andererseits sind Menschen die wichtigste Ressource. Vor diesem Hintergrund kann ein Startup mit einem smarten Geschäftsmodell nicht nur einen relevanten Mehrwert für Kunden liefern, sondern schlicht auch für Menschen „Gutes“ tun. Deshalb haben wir uns 2007 entschieden, mit dem jobagent.ch eine Job-Suchmaschine zu lancieren, die alle Vakanzen publiziert, nicht nur die bezahlten. So haben wir in den vergangenen Jahren geschätzte 30’000 Menschen zu einem neuen Job verholfen resp. mehrere Tausend Unternehmen bei der Rekrutierung von neuen Fachkräften unterstützt. Sie glauben gar nicht, wie viele Dankes-Mails wir von Menschen bekommen, die dank unserer Job-Suchmaschine einen neuen Job gefunden haben! Das macht mich glücklich.

Die HR-Startup-Szene fasziniert mich zudem, weil die vermeintlich tief hängenden Früchte nicht so einfach zu pflücken sind. Als HR-Startup brauchst Du länger finanziellen „Schnauf“, weil die Entscheidungen auf Kundenseite mehr Zeit benötigen und oft von den „falschen Personen“ gefällt werden. Wir haben in den vergangenen Jahren etliche HR-Startups gesehen, die trotz innovativen Angeboten wieder verschwunden sind, weil sie diesen Kaufprozess vernachlässigt haben.

 

Sie haben letztes Jahr gesagt: „International schiessen HR-Startups wie Pilze aus dem Boden, während die Schweizer HR-Startup-Szene noch sehr überschaubar ist.“ Was unterscheidet die Schweiz in dieser Hinsicht von anderen Ländern?

Cornel Müller: Wir haben diese Frage vor einigen Wochen in einem Gremium mit erfolgreichen Menschen diskutiert. Das Fazit: Die inländischen Unternehmen denken oft zu klein, zu eingegrenzt, zu risikoavers, zu vorsichtig, zu verhalten, aber auch zu qualitätsorientiert … Dieser Silicon-Valey-Spirit, bei dem nicht Welt nicht gross genug ist und das Produkt bereits in einem Beta-Stadium mit Millionen bewertet wird, liegt uns Schweizern nicht. Das halten wir für eher unseriös. Wir sind bodenständige Schaffer, die zuerst einmal ein qualitativ hochwertiges Produkt entwickeln und danach vorsichtig fragen, ob es bei den Kunden gut ankommt. Und das ist in einer schnelllebigen Zeit mit agilen Produktentwicklungsprozessen nicht gerade Startup förderlich.

Zudem ist das HR-Business oft lokal resp. national, so dass eine globale Skalierbarkeit eher von grösseren Ländern mit viel (inländischem) Potenzial ausgeht also von einem kleinen Land wie der Schweiz.

 

Aller Anfang ist schwer: Welche Faktoren sind für die Gründung eines Startups entscheidend?

Cornel Müller: Kurz: Ein smartes Geschäftsmodell, ein optimal zusammengesetztes Team und den brennenden Wunsch, etwas zu unternehmen … Mit dieser simplen Mixtur hat das Startup schon Vieles, was u.a. auch Investoren sehen wollen: Ist das Geschäftsmodell vielversprechend und kann man damit Geld verdienen? Bringen die Menschen das Zeugs mit, das es dafür braucht? Und wollen die das wirklich mit jeder Faser ihres Körpers?

Im Rahmen unserer Investitionen mit der HR-Tech-Holding stellen wir (uns) überdies folgende simple Frage: Mindert das Angebot bei einer klar definierten Zielgruppe einen echten Leidensdruck, so dass es die Kunden unbedingt haben müssen oder ist es so überzeugend, dass es die Kunden wirklich haben wollen. Alles dazwischen wird nicht erfolgreich!

 

Was muss ein Startup im HR-Bereich gut machen, um erfolgreich zu sein? Gibt es da eine bestimmte Formel?

Cornel Müller: Weil HR selten Chefsache ist, das aber sein sollte (denn ganz einfach: Hinter jedem Produkt, hinter jedem Erfolg, hinter jedem Unternehmen stehen immer Menschen!), gilt die Formel: Dein Angebot muss so sein, dass es zur Chefsache wird – egal, ob der Kunde das so sieht oder nicht!

 

Lassen sich denn anhand der HR-Startup-Szene aktuelle Branchentrends ablesen? Gibt es Themenfelder, denen sich die Startups in besonderem Masse widmen?

Cornel Müller: Ja, nennen wir es HR-Tech, also die Digitalisierung im HR. In den folgenden Themenfeldern ist am meisten Bewegung in der (internationalen) HR-Startup-Szene: People Analytics, Talentmanagement, Plattformen für flexible Arbeitsformen (Gig oder Remote Jobs, Freelancer o.ä.).

 

Was können etablierte Unternehmen von erfolgreichen Startups lernen?

Cornel Müller: Hinter jedem Erfolg stehen immer Menschen! Ohne (die richtigen) Menschen, kein Erfolg. Die erfolgreichen Startups schaffen es, a) eine Ausgangslage zu schaffen, welche die (richtigen) Peak-Performer anzieht, b) diese Spezie für sich zu gewinnen und sie c) zu (unter)halten. Ich empfehle allen, einmal einen Hackathon zu besuchen. Du wirst staunen, zu was Menschen fähig und willig sind, wenn die Sache einfach Spass macht und unter ihresgleichen nachts um 3 Uhr ein Produkt entsteht.

 

Was macht Startups als Arbeitgeber so interessant – gerade für junge Talente oder Berufseinsteiger?

Cornel Müller: Wenn Du heute als Absolvent bei einem Tech-Startup einsteigst, machst Du vom ersten Tag an mit, Du bist Teil des Ganzen und kannst Dich einbringen. Du wirst zum „Unternehmer“. Bei grossen Unternehmen habe ich (zu) viele junge Menschen angetroffen, die nach kurzer Zeit zu „Unterlassern“ mutiert sind.

Bei uns fangen jedes Jahr sechs Praktikanten an. Bereits nach wenigen Monaten sind sie „einäugig“ unter Blinden, wenn es um Themen wir SEO, SEA oder Social Media geht. Umgekehrt sind die jungen Talente genau das, was Du als Startup brauchst: Diese unbändige Lust, etwas zu rocken und dabei wichtige Dinge im Leben zu lernen (was man an den Hochschulen nicht lernen kann).

 

Lassen Sie uns zum Schluss noch einen Blick in die Zukunft werfen: In welche Richtung werden sich HR-Startups, Ihrer Meinung nach, in den nächsten Jahren entwickeln?

Cornel Müller: Es werden diejenigen HR-Startups erfolgreich sein, die (komplexe) Technologie für Menschen vereinfachen und nicht – wie leider so oft – die Technologie bis ins Unendliche tunen (und den Menschen vernachlässigen). Das Mass aller Dinge ist nach wie vor Google. Da haben zwei Jungs vor 20 Jahren ein grosses Bedürfnis von vielen Menschen derart simpel erfüllt, so dass es Spass macht und täglich Millionen von Problemen schlicht zu lösen vermag. „Unter der Haube“ steckt viel Intelligenz und Arbeit, aber das braucht die User nicht zu kümmern. Fazit: Liebe HR-Startups, entwickelt ein Angebot, das für den User möglichst einfach, ja fast schon trivial daherkommt, aber im Hintergrund bedeutende Probleme löst.

Cornel Müller wurde 1995 als Jungmanager des Jahres in der Schweiz ausgezeichnet. Er ist Gründer mehrerer Firmen, unter anderem der HR Tech Holding AG, der People-Analytix AG und der jobchannel ag. Darüber hinaus ist er Dozent und Trainer an FHs und privaten Instituten zu den Themen HR, Marketing und Startups sowie Herausgeber/Autor von Fachbüchern und Lehrmitteln.