Kennzahlen und Douglas Adams

people around table in cafeteria
Foto von AllGo – An App For Plus Size People

In Douglas Adams’ Buch „The Hitchhiker’s Guide to the Galaxy“ bauen sich die Menschen einen Superrechner, der Ihnen nach vielen Millionen Jahren die ultimative Antwort liefert. Diese lautet schlicht „42!“. Allerdings weiß zu diesem Zeitpunkt niemand mehr, was die ursprüngliche Frage war.

Ähnlich ist es mit den personalwirtschaftlichen Kennzahlen: Auch sie sind plötzlich da, beginnen sich zu verselbstständigen, und am Ende verlieren die Beteiligten aus dem Blick, was sie mit ihnen berechnen wollten. Die Berechnung eines Zahlenwertes als Selbstzweck ist jedoch ebenso unbefriedigend wie das Einstimmen in den Chor derjenigen, die von vorneherein die „Reduktion“ auf Zahlen ablehnen. Deshalb ist es sinnvoll, sich zunächst einmal die Agenda anzuschauen, mit der sich die Personalverantwortlichen gegenwärtig auseinander setzen wollen beziehungsweise auseinander setzen müssen.

Die personalwirtschaftliche Agenda

Dass Personalabteilungen gegenwärtig einem erheblichen Druck ausgesetzt sind, muss nicht extra betont werden. Dieser beginnt mit der Frage nach dem eigenen Wertbeitrag und geht über die Suche nach Vorschlägen zur Kostenreduktion bis hin zur Auslagerung von personalwirtschaftlichen Kernaktivitäten. Gleichzeitig setzen die Personalmanager selber originäre Aufgaben auf die Tagesordnung, darunter unter anderem

  • den wachsenden Personalentwicklungsbedarf (lebenslanges Lernen),
  • den Umgang mit der zunehmenden Abwanderungslust von Spitzenkräften (Retention),
  • die Verbesserung des Betriebsklimas im Hinblick auf Commitment der Mitarbeiter,
  • eine Verbindung zwischen Personalmanagement und Wissensmanagement, die für einzelne Branchen von hoher Relevanz ist, sowie
  • ein Weiterkommen auf dem mühsamen Weg in Richtung „HR als Businesspartner”.

Eine zusätzliche Herausforderung ergibt sich durch Unternehmensbewertungen. Immer mehr Ratingagenturen und Kreditinstitute bewerten die Unternehmen auch nach ihren immateriellen Werten. Damit ergibt sich der Firmenwert auch aus dem Wert des Humankapitals, wodurch die Mitarbeiter endgültig aus der „Kostenfaktor“-Ecke herauskommen.

Ziel der Saarbrücker Formel

Die Saarbrücker Formel liefert Antworten auf die Frage: „Wie viel ist das Humankapital wert?“. Sie bewertet nicht den Personalaufwand und auch nicht die Wertschöpfungsbeiträge, die sich aus der Verrechnung von Erträgen und Kosten ergeben. Stattdessen befasst sie sich ausschließlich mit dem Wert des Humankapitals im Sinne einer Bestandsgröße.

Dieser Fokus mag eng erscheinen, ist aber bewusst gewählt: Denn nur so kann die Formel die Frage nach dem Unternehmenswert beantworten. Außerdem zeigt sie, wie die unterschiedlichen Personalaktivitäten zusammenhängen und sich auf die Höhe des Humankapitalwertes auswirken. Die Formel führt drei Bewertungsansätze zusammen:

  • Der Marktansatz erlaubt Aussagen dazu, wie sich der Wert der Mitarbeiter über Marktpreise ausdrückt.
  • Der Accountingansatz beschäftigt sich mit Investitionen in Humanvermögen und den entsprechenden Abschreibungen.
  • Der Indikatorenansatz bemisst den Wert der Belegschaft über mehrere nicht monetäre, aber dennoch zu verknüpfende Größen.

Diese Integration dreier Bewertungsansätze stellt die unmittelbare Anschlussfähigkeit der Saarbrücker Formel in einem ganzheitlichen Human Capital Management sicher.

Komponenten der Formel

Die Komponenten der Saarbrücker Formel bilden zentrale personalwirtschaftliche Handlungsfelder ab, die für das Human Capital relevant sind. Sie beschreiben insgesamt zehn Stellschrauben zur Optimierung des resultierenden Humankapitals (Abbildung 1).

Abbildung 1: Saarbrücker Formel

Im ersten Teil folgt die Saarbrücker Formel dem Marktansatz. Sie weist die Mitarbeiter verschiedener Beschäftigtengruppen i

gemäß ihrer tatsächlichen Beschäftigungsverhältnisse als Full-Time-Equivalents (FTEi) aus . Da die Bewertung des Humankapitals auf Basis der Saarbrücker Formel marktorientiert ist, ergibt sich die Preiskomponente durch Multiplikation dieser FTE-Werte mit den Gehältern li , die für die entsprechenden Beschäftigten durchschnittlich am Markt gezahlt werden.

Im zweiten Teil kommt der Accountingansatz zum Zuge, zunächst über eine Analogie zu Abschreibungen: Dass das Wissen der Mitarbeiter veralten kann, berücksichtigt die Formel in der beschäftigtengruppenspezifischen Wissensrelevanzzeit wi und in der Dauer der durchschnittlichen Betriebszugehörigkeit bi . Diese beiden Größen geben Aufschluss darüber, wie lange das aktuelle Wissen der Mitarbeiter wertschöpfungsrelevant bleibt. Denn trotz des gleichzeitigen Aufbaus an Erfahrungswissen kann das Wissen der Mitarbeiter veralten, sodass Humankapital verloren geht. Zur Kompensation dieses Wissensverlustes dienen Personalentwicklungsmaßnahmen, die entsprechende Kosten PEi verursachen. Da jedoch nicht alle denkbaren PE-Maßnahmen unmittelbar auszahlungswirksam sind, ist eine Modifizierung dieses Wertes möglich, um auf diese Weise die unterschiedlichen Gegebenheiten in der Praxis abbilden zu können .

Im dritten Teil folgt die Saarbrücker Formel dem Indikatorenansatz. Dieser Teil - etwas unscharf als „Mitarbeitermotivation“ Mi bezeichnet - setzt sich zusammen aus den Bestandteilen

  • Commitment als Ausdruck der Bereitschaft der Mitarbeiter, sich für die gegenwärtige Aufgabe einzusetzen,
  • Context als Sammelbegriff für diverse Aspekte der Arbeits- und Führungssituation und
  • Retention als Neigung der Mitarbeiter sich längerfristig als „an das Unternehmen gebunden” anzusehen.

Dieser Teil fasst überwiegend „weiche Faktoren“ zusammen. Da sie allerdings immer auf den Normwert von 1 (= 100 %) umskaliert werden, können sie mit den monetären Größen aus dem Markt- beziehungsweise dem Accountingansatz multiplikativ verknüpft werden.

Die Summe über alle betrachteten Mitarbeiter beziehungsweise Beschäftigtengruppen führt zu einer gesamthaften Kennzahl für das Humankapital.

Mit Blick auf die Bewertung können die Unternehmen ihr Humankapital gezielt optimieren. Dabei sollten sie Schwerpunkte setzen und konkrete Felder des Personalmanagements auswählen, wie beispielsweise Personalentwicklung oder Personalführung. So vermeiden sie die Beliebigkeit, mit der einige Unternehmen alle möglichen personalwirtschaftlichen Aktivitäten als Humankapitaloptimierung deklarieren. Human Capital Management repräsentiert also über die Bewertung des Human Capitals hinaus genau jenen Teilbereich des Personalmanagements, der darauf abzielt, die numerisch-quantitativ erhobenen Humankapital-Kennzahlen gezielt zu verbessern.

Beispiel Personalabbau

Ein fiktives Beispiel soll die Logik der Saarbrücker Formel erläutern. Abbildung 2 zeigt eine stark simplifizierte Berechnung für den HC-Wert eines Unternehmens. Auf der linken Seite sind die Inputwerte, die über die Berechnung nach der in Abbildung 1 dargestellten Formel nach rechts in monetäre Größen transformiert und dann addiert werden.

Abbildung 2: Vereinfachte Berechnung des HC-Wertes

Die 100 Vollzeitarbeitskräfte des Unternehmens entsprechen einem Kapital von gut 2,6 Millionen Euro. Dieser Wert erscheint vielleicht auf den ersten Blick etwas niedrig. Allerdings müssen die Unternehmen einkalkulieren, dass die Mitarbeiter dem Betrieb nicht (wie etwa eine Maschine) gehören. Sie könnten das Unternehmen verlassen. Ihr Humankapitalwert fällt somit dem kaufmännischen Vorsichtsprinzip entsprechend niedriger aus. Zudem ist bei einer derartigen HC-Analyse nicht nur der absolute Wert entscheidend, sondern auch die Relation zu Wettbewerbern und vor allem die Aufspaltung des Humankapitals auf die verschiedenen Verursachungsfaktoren.

Die rechte Seite der Abbildung zeigt: Das Veralten des Wissens schlägt mit mehr als 800.000 Euro zu Buche. Das Unternehmen gleicht diesen Wertverlust nicht durch Personalentwicklung aus. Den größten Teil des Humankapitals macht das überdurchschnittliche Commitment der Mitarbeiter aus. Dies kommt in der farbigen Visualisierung durch ein grünes Ampelsignal zum Ausdruck. Unmittelbarer Handlungsbedarf besteht gemäß dieser Ampellogik dann in den gelben und vor allem in den roten Bereichen.

In Fortführung des Beispiels wird unterstellt, dass die Entlassung von zehn Prozent der Mitarbeiter dazu führt, dass die durchschnittliche Betriebszugehörigkeit von 15 auf 16 Jahre steigt. Reduziert das Unternehmen zugleich seine Personalentwicklungsausgaben um zehn Prozent, bewegen sich die Messgrößen für Commitment, Context und Retention nach

unten. Im Ergebnis führt dies zu einer Kapitalvernichtung von rund einer Million Euro beziehungsweise von über einem Drittel des gesamten Humankapitals (Abbildung 3).

Abbildung 3: "Nach der Personalfreisetzung"

Das Beispiel zeigt die Querbeziehung zwischen einzelnen Faktoren der Personalarbeit. Dies führt zu einem klaren Postulat: So komplex Personalmanagement ist, so vielschichtig muss ein zielführendes Human Capital Management sein. Die Saarbrücker Formel zeigt, wie die Gratwanderung zwischen realer Abbildung und pragmatischer Vereinfachung aussehen kann. Unter internen Steuerungsgesichtspunkten ist es notwendig, die komplexe Personalressource auf einige ausgewählte und standardisierte Kennzahlen zu reduzieren. Denn nur so können die Unternehmen die Ergebnisse ihrer Humankapitalmessung darüber hinaus auch externen Anspruchsgruppen kommunizieren.

Beispiel Arbeitszeiten

Intern kann das Personalmanagement die Evaluierungen unter anderem nutzen, um die Konsequenzen personalwirtschaftlicher Entscheidungen im Vorfeld zu berechnen, wie die folgende (nicht bis ins Detail ausgeführte) Rechnung zeigt: Erhöht ein Unternehmen seine durchschnittliche Wochenarbeitszeit von 38,5 auf 40 Stunden, bringt dies nicht nur eine veränderte Kostensituation mit sich, sondern verändert zugleich den FTE-Wert (Full-Time-Equivalent). Der Wert des Humankapitals würde steigen, falls es dabei nicht zu negativen Veränderungen der Motivation kommt. Außerdem hängt die Höhe des Kapitalzuwachses unter anderem von der Aktualität des Wissens der Mitarbeiter ab.

Fazit:Die Beschäftigung mit der Humankapitalbewertung und -optimierung wird die Professionalisierung der Personalarbeit vorantreiben. Will das Personalmanagement dem oft postulierten, aber viel zu selten tatsächlich umgesetzten Anspruch nachkommen, strategischer Businesspartner zu sein, muss es die Kompetenz und Befugnis haben, den Wert des Humankapitals zu steigern. Nur wenn dies a) politisch gewollt ist und b) praktisch realisiert wird, gelingt der Ausstieg aus der Unverbindlichkeit („Bei uns stehen die Mitarbeiter im Mittelpunkt!“).

Die Berechnungen nach der Saarbrücker Formel lassen möglicherweise konkrete Aktivitäten des Managements in einem ganz neuen Licht erscheinen. Entlässt das Unternehmen zum Beispiel massiv Mitarbeiter, senkt es zwar einerseits Kosten, reduziert aber unter Umständen überproportional das Humankapital. Dieser Zusammenhang ist zwar bekannt. Neu ist jedoch, dass das Personalmanagement mit Hilfe der Saarbrücker Formel genau berechnen kann, dass die Entlassungswelle zwar 20 Millionen Euro pro Jahr an Einsparungen bringen wird, aber 500 Millionen Euro Humankapital (inklusive der nicht amortisierten Bildungsinvestitionen) vernichtet.

Es ist zu erwarten, dass viele Unternehmen ihre Aktivitäten im Spiegel von Humankapitalbewertungen und -optimierungen anders beurteilen werden. So ist Outsourcing im Hinblick auf das Humankapital höchst gefährlich, da mit den ausgelagerten Mitarbeitern sukzessive Knowhow verloren geht. Dies führt im schlimmsten Fall zu einer De professionalisierung im Unternehmen und zu einem „Ausverkauf“ des Humankapitals. Auch dieser Zusammenhang ist längst bekannt, konnte jedoch noch nicht mit Zahlen belegt werden. Ohne ein neuer Mechanismus zur Schaffung von Stammplatzgarantien zu sein: Mit der Saarbrücker Formel dürften manche Managemententscheidungen nicht nur für die Unternehmen, sondern auch für die Mitarbeiter günstiger ausfallen.

Literaturtipps:

Human Capital Management.

Von Christian Scholz, Volker Stein, Roman Bechtel.

Luchterhand 2004.

Webtipps:

Software: www.pecaso.de

Netzwerk: www.saarbruecker-formel.net

Quelle: personal manager 2/2005