Remo Steinmetz, erfahrener Stadtplaner und Pädagoge. Seit 20 Jahren hat er das Lernen und die Entwicklung von hochqualifizierten Menschen in Wissenschaft, Diplomatie und Unternehmen für Swiss Re geleitet.

Remo Steinmetz, Key Success Factor Nr.1 sind Kosten
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Remo Steinmetz leitet im Swiss Re Institute den Bereich «Engagement EMEA», ein Team von zwölf Personen, welches Konferenzen und Programme für Kunden und Regierungen durchführt. Zuvor leitete er während bei Swiss Re Academy als «Head of Client & Functional Training» die technische Versicherungs- und Finanzausbildung. Er war verantwortlich für die Schulung der Mitarbeitenden, Kunden und das Ausbildungsprogramm für Hochschulabsolventen.

Zwischen 2004 und 2007 war er Vizekonsul und Diplomat zuständig für die akademischen Belange am Schweizer Konsulat Swissnex in Boston. Die Aktivitäten von Remo Steinmetz fokussierten auf die Verstärkung der Beziehungen zwischen Universitäten und wissenschaftlichen Teams in den Vereinigten Staaten und der Schweiz.

Was ist für Dich «Learning Innovation»?

Die knappest möglich Formel ist «Lernende in den Mittelpunkt». Learning Innovationen sollen die Leistungen der Lernenden erhöhen können. Darum stellen sich folgende Fragen:

Wie ist das Lernen, wie sind die Lernenden im Arbeitsumfeld eingebettet?
Wie kann der Lernende am effizientesten lernen?
Wie kann das Lernen zum Aktivator von Innovationen werden?
Wie gelingt es, dass sich Lernende Zeit finden können, um zu lernen, wann und wo sie wollen (on demand / issue / incident based)?

Lerninterventionen sollen auch sicherstellen, dass Lernen effektiv ist. Lernen findet häufig statt, wenn ein Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin eine neue Rolle übernimmt. Wenn jemand neu Linienverantwortung als Teamleiter übernimmt, dann ist das eine grössere Sache als die Handhabung eines neuen Formulars zu lernen. Dafür wird ein zweitägiges Seminar effizienter sein als ein YouTube Instruktionsvideo, weil die Wahrscheinlichkeit gross ist, dass man ohne begleitete und mit anderen Lernenden reflektierte Einführung in eine neue Rolle als Teamleiter schnell überfordert wird, das sich in ungenügender Leistungsfähigkeit («underperformance») niederschlägt.

Die Lerninterventionen sollten folglich immer von der Frage ausgehen – was soll beim Lernenden bewirkt werden und in welcher Situation und Disposition befindet sich die Person / der Lernende und welche Leistungsfähigkeit soll adressiert werden.

Das verändert auch die Rolle und Verantwortung des «Learning-Advisors» und der anderen Personen im Umfeld des Lernenden. Sie beeinflusst die Empfehlung und die Wahl der Lernangebote. So ist zum Beispiel für jemand der Teilzeit arbeitet ein E-Learning Angebot eine Bereicherung, während das für andere gerade das Gegenteil sein kann.

Wir nehmen jedoch mit, dass wir dank den technologischen Möglichkeiten in jeder Rolle mehr Verantwortung übernehmen können, Lerninterventionen effektiv und effizient zu nutzen.

Was sind für Dich Herausforderungen und Ziele – Strategien / Projekte und Programme im Bereich Lernen und Arbeiten?

Für unsere Geschäftsentwicklung ist es wichtig, dass wir die Weiterbildungsbedürfnisse gut erkennen. Wir bauen unsere Personal- und Organisationsentwicklung auf «Learning-Advisors» auf. Diese sollen das Business, Strategien und Ziele gut verstehen und die Mitarbeitenden bei ihrer Leistungserbringung fördern können.

Deren Aufgabe besteht darin, dass sie die Wirksamkeit von Massnahmen gut unterscheiden und beraten können. Ein LA soll unterscheiden können, ob man Lernenden Lernmassnahmen, auf Kenntnisse oder Fähigkeiten abzielen. Um mangelnde Motivation von Mitarbeitenden zu adressieren, sind Lernmassnahmen wenig zielführend und sollten nicht durchgeführt werden. Bei fehlender Motivation braucht es klare Führungsintervention, um das erwünschte Ergebnisse zu erhalten.

Für dieses Verständnis von betrieblichem Lernen braucht es sogenannte «Brückenfunktionen», die sowohl von Businessleuten mit Lernaffinität wie auch umgekehrt von Lernspezialisten mit Businessverständnis.

Die Herausforderung dabei ist, dass traditionelle Lernverantwortliche Wissens- oder Lernprozessexperten sind. Um als Learning Advisor erfolgreich zu sein, braucht es Business Expertise mit guten analytischen Fähigkeiten sowie Kommunikations- und Verhandlungsgeschick.

Die Strategien und Projekte, die wir mit diesem Ansatz schon erfolgreich unterstützt haben, sind Planspiele und Business-Simulationen sowie Plattformen, in denen wir mit Kunden gemeinsam Lösungen erarbeiten, die in der Prozessbegleitung gezielte Lernmassnahmen für alle Beteiligten benötigt.

Was müssen Betriebe, Organisationen, Bildungsinstitutionen tun, um Lerninnovationen umzusetzen?

Der Key Success Factor Nr. 1 sind die Kosten! Dabei sind nicht die Kosten der Lernorganisation entscheidend. Denn wirklich teuer sind die Leute, die lernen. Lernmassnahmen, die sich nicht an der strategischen Ausrichtung des Unternehmens ausrichten, erzielen kaum Wirkung auf die Leistungserbringung und Performance des Unternehmens. Mitarbeitende verschwenden die Zeit in wenig relevanten Kurse. Diese Zeit ist der grösste Kostentreiber.

Kritisch ist dabei, dass die Vorgesetzten und Lernenden strategisch abgestimmt sind in den Zielsetzungen des Unternehmens. Die klare Ansage «es ist für Dich, für dein Team, für die Organisation und Erfolg des Unternehmens» muss verstanden werden und ankommen.

Weitere vier Success Factors sind:

Manager – sie setzen zu oft nur an den Schwächen der Mitarbeitenden an – statt dass sie diese in ihren Stärken einsetzen würden und Lernmassnahmen auf die Stärken fokussieren.

Die Mitarbeitenden legen zu viel Wert auf formelles Lernen und verbleiben zu lange in einer «Routineaufgabe» – statt die Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten und mit den Managern zusammen einen dynamischen Entwicklungsplan voran zu treiben, eine Rotation zu machen, sich in anspruchsvollen Projekten zu engagieren, die Stellvertretung des Vorgesetzten übernehmen oder eine Zeit im Ausland zu arbeiten.

Die kulturelle Haltung der Manager, deren Risikobereitschaft für Rollenentscheide und Offenheit für Veränderungen entscheidend. Manager und Mitarbeitende müssen neue Themen einbringen, Veränderungen angehen und dadurch neue Werte schaffen. Es ist von höchster Bedeutung wie die Erfolgsstory der Swiss Re in den letzten 150 Jahre, dass Unternehmen sich weiterentwickeln als lernende Organisationen.

Die Kunden von Swiss Re brauchen uns weniger als früher. Sie haben sich verändert, sind teilweise grösser geworden, haben mehr Kapital und sind diversifizierter. So sind wir gefordert unser Geschäftsmodell weiter zu entwickeln und unseren Wettbewerbsvorteil nicht zu verlieren. Wir haben die grosse Chance, mit den Kunden zusammen zu lernen und uns neu zu definieren. Die Learning-Advisors mit ihrer Brücken-Funktion übernehmen dabei eine wichtige Aufgabe.

Was fordert dich aktuell heraus? Mit was willst Du Dich in den nächsten Jahren beschäftigen?

Im Rückversicherungsgeschäft ist eine der grossen Herausforderungen, Personen und Unternehmen vor dem sogenannten «Protection-Gap» zu schützen. Nehmen wir eine selbständige Näherin in Bangladesh. Bei einem Schadenereignis, zum Beispiel einer Überschwemmung ihres Quartiers, entstehen ihr nebst möglichem Verlust von Leib und Leben finanzielle Verluste von Produktionsmitteln, in diesem Fall die Nähmaschine, um damit wieder Geld verdienen und den finanziellen Schaden beheben zu können. Diese Produktionsmittel sind meist auch nicht versichert – es entsteht ein «Protection Gap».

Wir verändern uns von einem reinen «Kapital-Geber von Risikotransferlösungen» zu einem «Risiko-Knowledge-Provider» und verstehen Swiss Re als Risk-Knowledge Company. Wir lernen dabei den Kunden und Konsumenten ganz anders zu verstehen. Sehr erfreulich dabei ist, dass wir Strategien haben, wie wir näher an die ursächlichen Risiken kommen können und den Protection-Gap schliessen können. Grosse Herausforderung ist, in dieser Transition und Lernphase profitabel zu bleiben und gleichzeitig neue Risikofelder zu versichern.

Mit solchen und anderen komplexen Situationen, die vom traditionellen Businessmodells eines Rückversicherers B2B neu auch B2B2C sein wird, werden wir uns immer intensiver beschäftigen müssen.

Und was ist dein ganz persönlicher Fokus?

Persönlich fokussiere ich mich seit ein paar Jahren in die Geschäftsentwicklung in China. Lernen, Wissen und Fähigkeit wird bei chinesischen Firmen als entscheidender Wettbewerbsvorteil angesehen. Die Wahrnehmung von Swiss Re und noch klarer mit dem Sub-Brand Swiss Re Institute als Risk-Knowledge Company hilft, mit einigen ausgesuchten chinesischen Kunden eine langfristige, strategische Partnerschaft einzugehen, die beidseitig profitabel ist.

Danke für die spannenden Ausführungen.

Remo Steinmetz, Keynote Swiss eLearning Conference 2016

Interview: Bruno Steuer

Quelle:
Dieses Interview erschien zuerst in dem Sammelband “10 Jahre Learning Innovation Conference – 22 Interviews”. Hrsg. von Alexander Petsch und Dr. Daniel Stoller Schai, HRM Research Institute 2019.

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