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Aus der vorgenannten Beweislastverteilung folgt die prozessuale Rollenverteilung bei einer Auseinandersetzung über Überstunden. Zunächst ist der klagende Arbeitnehmer am Zug. In der Praxis trifft ihn zunächst die hohe Hürde der ersten Darlegungslast. Der beklagte Arbeitgeber hat sodann den klägerischen Vortrag durch substanziiertes Vorbringen zu erschüttern. Dies führt oftmals dazu, dass die Ausgangslage in Überstundenprozessen für den Arbeitgeber überdurchschnittlich gut ist. Daraus resultiert dann vielfach eine eher ökonomisch als rechtliche Abwägung in Bezug auf einen möglichen Vergleichsschluss.

Die vorgenannte Entscheidung präzisiert lediglich die Anforderungen an den klägerischen Vortrag. Sie liegt vollständig auf der bisherigen Linie des BAG. Eine Erleichterung für den Arbeitnehmer ist mit ihr folglich nicht verbunden.

RA und FA für Arbeitsrecht
Prof. Dr. Tim Jesgarzewski, FOM Hochschule
Bremen, Direktor KompetenzCentrum für Wirtschaftsrecht, Hamburg

Mit freundlicher Genehmigung der HUSS-MEDIEN GMBH aus AuA – 9/17, Seite 551

Entscheidung

Das BAG hat das Berufungsurteil aufgehoben und zur erneuten Entscheidung zurückverwiesen. Der 5. Senat hat die Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast präzisiert und vorliegend als erfüllt erachtet. Der Kläger muss schriftsätzlich vortragen, an welchen Tagen er von wann bis wann Arbeit geleistet oder sich auf Weisung des Arbeitgebers zur Arbeit bereitgehalten hat. Die Vorlage von Anlagen zu Schriftsätzen kann den erforderlichen Vortrag nicht ersetzen. Es ist dagegen nicht erforderlich, dass der Kläger darlegt, welche Tätigkeiten er konkret erbracht hat. Eines dahingehenden Vortrags nebst Beweisantritt brauche es nur hinsichtlich einer möglichen Würdigung des Klagvorbringens bezüglich seiner Schlüssigkeit und Glaubhaftigkeit.

Für den vorliegenden Fall hat der Kläger die vorgenannten Voraussetzungen erfüllt, indem er schriftsätzlich vortrug, an welchen Tagen er von wann bis wann tätig war. Die Beklagte muss diesem Vorbringen im Rahmen der abgestuften Darlegungs-und Beweislast nun substanziiert entgegentreten. Da das Berufungsgericht die gesetzlichen Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast verkannt hat, war die Sache zur weiteren Aufklärung aufzuheben und an das Sächsische LAG zurückzuverweisen.

Konsequenzen

Die Geltendmachung von Überstunden ist für Arbeitnehmer mit ganz erheblichen praktischen Schwierigkeiten verbunden. Das folgt aus den grundsätzlichen zivilrechtlichen Beweislastverteilungen. Macht ein Arbeitnehmer einen bestimmten Anspruch gegen den Arbeitgeber geltend, trifft ihn im Streitfall die Darlegungs und Beweislast für das Bestehen des Anspruchs.Für die Geltendmachung von Überstunden hat das BAG jedoch zahlreiche Vorgaben herausgearbeitet, die im Ergebnis zu einer abgestuften Darlegungs- und Beweislast führen. Das vorliegende Urteil nimmt eine weitere Konkretisierung vor.

Der Mitarbeiter muss zunächst im Einzelnen vortragen, wann er über die übliche Arbeitszeit hinaus tätig geworden ist (vgl. bereits BAG, Urt. v. 16.5.2012 – 5 AZR 331/11, AuA 2/13, S. 118). Ferner hat der Arbeitnehmer darzulegen, ob die Überstunden angeordnet, zur Arbeitserledigung notwendig, geduldet oder gebilligt wurden (BAG, Urt. v. 25.11.1993 – 2 AZR 517/93, NZA 1994, S. 837).

Ist dies erfolgt, hat der Arbeitgeber dem Vortrag substanziiert entgegenzutreten. Aus dem vorliegenden Urteil wird deutlich, dass die Anforderungen an den klägerischen Vortrag zwar hoch sind, aber auch nicht überspannt werden dürfen. Der Beschäftigte genügt seiner Darlegungslast hinsichtlich eines erfolgten Anfalls von Überstunden, wenn er tag- und zeitgenau die Überstunden schriftsätzlich darlegt.

Problempunkt

Der Kläger war vom 11.10.2010 bis zum 31.7.2014 bei der Beklagten als Kraftfahrer beschäftigt. Beieiner vereinbarten regelmäßigen wöchentlichenArbeitszeit von 48 Stunden erhielt er ein Bruttomonatsgehalt von zuletzt 1.600 Euro. Er war arbeitsvertraglich verpflichtet, „im gesetzlichen Rahmen Mehrarbeit zu leisten“. Die Lastzüge der Beklagten sind mit einem digitalen Kontrollgerät ausgestattet, bei dem der Kläger Zeiten, die nicht Lenkzeit sind, manuell als „sonstige Arbeitszeit“ oder „Pause“ kennzeichnen muss.

Der Kläger macht die Vergütung für Überstunden geltend, die er anhand seiner Fahrerkarte errechnet hat. Deren Auswertung hat er als Anlage zu den Gerichtsakten gereicht. Außerdem legte er schriftsätzlich auf über 30 Seiten für den Streitzeitraum dar, an welchen Tagen er von wann bis wann welche Tour gefahren hat.

Bei der Höhe der Überstundenvergütung legte der Kläger in jedem Monat unterschiedliche Bruttostundenlöhne zugrunde und setzte einen Überstundenzuschlag von 25 % an. Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen.