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Wie es anfing: Zeugnisse als Disziplinierungsmittel

Arbeitszeugnisse gab es bereits beim Gesindezwangsdienst: Mit der Reichspolizeiordnung von 1530 wurden „Atteste für ordnungsgemäßes Ausscheiden“ eingeführt. Kein Dienstherr durfte einen Knecht oder eine Magd in sein Haus nehmen, wenn er kein Zeugnis vorweisen konnte, in dem stand, dass er auf ehrliche Weise und mit Zustimmung des letzten Dienstherrn gegangen war. Herrschaften, die Dienstboten ohne Zeugnis beschäftigten oder ein solches verweigerten, drohten Geldstrafen.

1846 wurde in Preußen das „Gesindedienstbuch“ eingeführt:

Bei Entlassung des Gesindes ist in von der Dienstherrschaft ein vollständiges Zeugnis über die Führung und das Benehmen in das Gesindebuch einzutragen.

Das Gesindebuch musste vor Dienstantritt bei der örtlichen Polizei vorgelegt werden. Wer von seiner Herrschaft ein schlechtes Zeugnis bekommen hatte, konnte nach zwei Jahren ein neues Gesindebuch bei der Polizei beantragen, wenn er nachweisen konnte, dass er sich in den letzten zwei Jahren tadellos geführt hatte. Als Tugenden galten: Fleiß, Treue, Gehorsam, sittliches Betragen, Ehrlichkeit.

Mit dem Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuches am 1. Januar 1900 wurde der Anspruch auf ein Arbeitszeugnis gesetzlich geregelt: Alle Arbeitnehmer können ein Zeugnis verlangen, in dem der Arbeitgeber die Leistung und das Arbeitsverhalten zu beurteilen hat.

Der Arbeitgeber hat das Arbeitszeugnis so zu formulieren, dass es der Leistung des Mitarbeiters gerecht wird und gleichzeitig einem Dritten Informationen über die Leistung gibt.

Was ist daraus geworden?

Zeugniscode sanktioniert

Das Bundesarbeitsgericht hat aus Gründen der Rechtsicherheit – so die Begründung - die Formulierungen des Zeugniscodes (Zufriedenheitsfloskeln) für zulässig erklärt (BAG 29.7.92 – 5 AZR 573/91), obwohl sie besser klingen als sie gemeint sind. Mit der Formulierung

Er hat zu unserer vollen Zufriedenheit gearbeitet

wird eine durchschnittliche Arbeitsleistung beschrieben.

Heute weiß man, dass die Sanktionierung ein Fehler war. Viele Unternehmen schreiben Arbeitszeugnisse wie vor hundertfünfzig Jahren. Im Hamburger Museum der Arbeit gibt es eine Sammlung mit Arbeitzeugnissen, die hundert Jahre und älter sind. Hier stößt man auf Formulierungen, die auch heute, im 21. Jahrhundert, in Arbeitszeugnissen stehen, wie zum Beispiel dieser Satz im Zeugnis eines Arbeiters einer Maschinenbauanstalt aus dem Jahre 1872:

…. und hat sich während dieser Zeit als gewandter, fleißiger und anständiger Arbeiter erwiesen, was ich demselben hierdurch gerne bescheinige. Er hat bis heute zu meiner vollkommenen Zufriedenheit gearbeitet.

Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts steht im Widerspruch zum Klarheitsgebot des § 109 Absatz 2 Gewerbeordnung, gültig ab 1. Januar 2003:

Das Zeugnis muss klar und verständlich formuliert sein. Es darf keine Merkmale enthalten, die den Zweckhaben, andere als aus der äußeren Form oder aus demWortlaut ersichtliche Aussage über den Arbeitnehmer zu treffen.

Was sich ändern muss

Die Formulierungen des Zeugniscodes mit den Zufriedenheitsfloskeln (Schulnoten) sind antiquiert. Das Zeugnis muss in einer nicht codierten, offenen Sprache formuliert sein. Die Zeugnisaussteller brauchen klare Vorgaben, die sich an der Wirklichkeit der Arbeitwelt von heute orientieren:

Was im Arbeitszeugnis stehen sollte

  1. Neben der Aufgabenbeschreibung müssen auch die Anforderungen an den Stelleninhaber (fachliche und soziale Kompetenz) in das Zeugnis aufgenommen erden, damit ein Soll-Ist-Vergleich möglich ist. Die Anforderungen werden den tatsächlichen Fähigkeiten und Leistungen gegenüber gestellt. Von einem Lagerarbeiter erwartet niemand Kreativität und von einem Buchhalter kein Verkaufstalent. Unterschiedliche Jobs erfordern unterschiedliche Fähigkeiten.
  2. Die Beurteilung von Leistung und Arbeitsverhalten ist das Ergebnis des Soll-Ist-Vergleichs. Es geht um Antworten auf diese Fragen:
  • Welche Fähigkeiten (Stärken) konnte der Mitarbeiter bei seiner Arbeit einsetzen?
  • Mit welchem Einsatz (Engagement, Fleiß) und Arbeitsverhalten (fair, kollegial, kooperativ) hat er seine Tätigkeit ausgeübt?
  • Wie hat der Mitarbeiter seine Aufgaben bewältigt: Selbständig, effizient, sorgfältig?
  • Welche positiven Arbeitsergebnisse wurden erzielt? (Aufgaben bewältigt, Ziele erreicht, Arbeitserfolge)
  • Was war sein Beitrag zum Ganzen?

Prozesse vor dem Arbeitsgericht

Zeugnisempfänger, die mit ihrem Zeugnis nicht einverstanden sind, können vor dem Arbeitsgericht klagen. Die meisten Prozesse sind überflüssig, kosten Zeit, Geld und Nerven, nur weil man sich nicht einigen kann. Manchmal ist eine Einigung auch deshalb nicht möglich, weil Gefühle im Spiel sind. Eine nicht so gute Beurteilung der Leistung kann der Zeugnisempfänger als Verletzung seines Selbstwertgefühls empfinden. Der Arbeitgeber ist einerseits der Wahrheit verpflichtet, andererseits sollte das Zeugnis auch wohlwollend formuliert sein. Das ist ein Konflikt, der eigentlich nicht zu lösen ist.

Mein Vorschlag, um Prozesse vor dem Arbeitsgericht zu vermeiden: Bei Streitigkeiten, die nicht zwischen Arbeitgeber und Zeugnisempfänger geregelt werden können, wird eine betriebliche Schiedsstelle eingerichtet mit Vertrauensleuten beider Seiten.

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