Die erschöpfte Arbeitswelt: Durch eine Kultur der Achtsamkeit zu mehr Energie, Kreativität, Wohlbefinden und Erfolg! Von Bernhard Badura und Mika Steinke. Bertelsmann 2011.

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Foto von Adrien Olichon

Handbuch Betriebliche Gesundheitsförderung. Von Andrea Blattner und Martin Mayer. Hrsg. vom Österreichischen Netzwerk für BGF, 5., neu bearbeitete Auflage, 2018.

Leading Change. Wie Sie Ihr Unternehmen in acht Schritten erfolgreich verändern. Von John P. Kotter. Valen 2015.

Unternehmensratgeber betriebliches Gesundheitsmanagement: Grundlagen – Methoden – personelle Kompetenzen. Von Ingo Weinreich und Christian Weigl. Schmidt Verlag 2011.

Die BGM-Ziele sollten sich nicht auf ein einziges Ziel wie etwa auf die Reduktion der Krankenstandsquote beschränken. Besser ist ein Kennzahlensystem, das die wichtigsten Prozesse, Treiber und Frühindikatoren der drei BGM-Perspektiven Arbeitnehmerschutz, Gesundheitsförderung sowie Betriebliche Wiedereingliederung enthält (Abbildung 3). Abhängig von der betrieblichen Ausgangslage könnte ein solches Kennzahlensystem beispielhaft darauf abzielen, belastende Arbeitsbedingungen (Nohlwerte) zu reduzieren sowie Betriebsklima, emotionale Verbundenheit mit dem Betrieb (Commitment) sowie Arbeitsfähigkeit zu verbessern. Auch die Steigerung der Wiedereingliederungsquote Langzeiterkrankter kann Bestandteil des Kennzahlensystems sein. Mit statistischen Verfahren, wie etwa einer Regressionsanalyse, lässt sich dann die Höhe des Einflusses dieser „weichen“ Indikatoren auf finanziell messbare, „harte“ Zielgrößen wie Krankenstand- und Unfallquoten beziehungsweise Produktivitätskennwerte ermitteln.

Die Systematik regt dazu an, die wichtigsten Prozesse des Betrieblichen Gesundheitsmanagements zu beschreiben: von der Ist-Analyse und dem Planen von Aktivitäten über die Umsetzung bis zur Evaluation. Hinzu kommt die Arbeit an einem Projektkatalog mit (Jahres-)Schwerpunktthemen (zum Beispiel Stress- und Burnout-Prävention oder Alternsgerechtes Arbeiten).

Um die eingangs angesprochene kontinuierliche Verbesserung eines BGM in der Praxis zu gewährleisten, können Unternehmen neben der Ergebnisevaluation regelmäßig ihre Mitarbeiter befragen, um zu überprüfen, ob das Gesundheitsmanagement seine Ziele erreicht hat. Selbstbewertungen (Interne Audits oder Managementbewertungen) sind ebenfalls sinnvoll. Auch eine fortlaufende Dokumentation der Ergebnisse – zum Beispiel in einem Gesundheitsbericht – unterstützt die Evaluierung.

Wenn das Gerüst des BGM ausreichend definiert ist, können sich Unternehmen an die Umsetzung wagen. Worauf sollten sie dabei achten? Welche Faktoren entscheiden über den Erfolg des Gesundheitsmanagements? In Anlehnung an den „Leading Change“-Ansatz von John Kotter (2015), einem emeritierten Professor der Harvard Business-School, lassen sich folgende Erfolgsfaktoren nennen:

1. die Notwendigkeit für die Einführung eines BGM erkennen

2. eine starke Führungskoalition aufbauen

3. ein lebendiges Veränderungsbild erzeugen

4. über das BGM regelmäßig kommunizieren

5. schnelle Erfolge einplanen und weitere Veränderungen einleiten

6. BGM in der Unternehmenskultur dauerhaft verankern

 

1. Erkennen, dass Gesundheitsmanagement notwendig ist

Unternehmen bauen häufig ein betriebliches Gesundheitsmanagement auf, ohne die Mitarbeiter vorher davon zu überzeugen, dass dieses notwendig und dringlich ist. Wesentlich für das spätere Gelingen ist es aber, dass eine deutliche Mehrheit der Führungskräfte und der Belegschaft vom Nutzen eines Betrieblichen Gesundheitsmanagements überzeugt sind. Dazu ist gerade zu Beginn ein intensiver Informations- und Meinungsaustausch vieler Beteiligter wichtig.

Das bedeutet unter anderem, gemeinsam mit der Belegschaft Antworten auf einige wichtige Fragen zu finden, wie zum Beispiel:

Warum brauchen wir ein Betriebliches Gesundheitsmanagement in unserem Betrieb?

Was ist sein Zweck?

Was erwarten wir uns vom BGM? / Was wollen wir damit (längerfristig) erreichen?

Welchen Beitrag soll es zur Erreichung unserer Unternehmensziele leisten?

2. Eine starke Führungskoalition aufbauen

Ohne die Unterstützung durch starke Führungspersönlichkeiten aus dem operativen Management wird ein BGM nicht so viel Einfluss gewinnen, wie es eigentlich nötig wäre. Nur wenn die oberste Leitung das Gesundheitsmanagement aktiv und sichtbar unterstützt, kann sich längerfristig eine mitarbeiterorientierte Unternehmenskultur entfalten, in der Gesundheit neben der Qualifikation als wesentliche Voraussetzung für das Erreichen aller weiteren Unternehmensziele angesehen wird. Darüber hinaus ist eine breite und einflussreiche „Koalition der Erneuerer“ aus den unterschiedlichsten Unternehmensbereichen für den Erfolg eines BGM von wesentlicher Bedeutung.

3. Ein attraktives Veränderungsbild erzeugen

Ein BGM braucht neben einem gemeinsamen Verständnis vom Sinn und Zweck auch eine bildhafte Vorstellung davon, wohin die Reise überhaupt gehen soll, und somit ein leicht verständliches und attraktives Bild von der Zukunft. Es sollte übergreifend in alle Bereiche integriert und stimmig mit den Werten und der Kultur des Unternehmens sein. Zudem sollte es einen klaren Weg vorgeben, auf den alle Beteiligten immer wieder Bezug nehmen können, zum Beispiel bei Entscheidungen, Zweifeln oder Unklarheiten. Ohne eine solche längerfristige und gut verständliche Ausrichtung kann ein BGM für die Belegschaft sonst leicht zu einer unübersichtlichen Anhäufung von Einzelaktionen oder Projekten werden und Fragen aufwerfen, wie zum Beispiel: „Wie passt der Ernährungsworkshop von neulich mit den Teamentwicklungsworkshops, der Rückenschule oder der schrittweisen Wiedereingliederung von länger erkrankten Kollegen zusammen? Was bezwecken wir als Betrieb damit? Wo wollen wir als Unternehmen mit dem BGM längerfristig hin?“

4. Über das BGM regelmäßig kommunizieren

Wenn Unternehmen intern über das Gesundheitsmanagement informieren, sollten sie nicht nur auf die üblichen Medien und Kanäle vertrauen, sondern versuchen, neue und innovative Wege zu finden, um der Belegschaft das Gesundheitsleitbild näherzubringen. Ganz wesentlich dabei ist, dass Führungskräfte aktiv informieren und auch mal durch „die Brille“ des Gesundheitsleitbilds auf ihr Tagesgeschäft schauen. „Warum erhalten Mitarbeiter ab 45 Jahren in der Gießerei künftig einmal im Jahr ein Arbeitsbewältigungscoaching? Oder warum investiert eine Abteilung in eine bessere Persönliche Schutzausrüstung (PSA) oder setzt für alternskritische Tätigkeiten in der Produktionshalle ein Arbeitsrotationskonzept um? Wie passt das zu unserem Gesundheitsleitbild?“ An praktischen Beispielen wie diesen können Vorgesetzte den Mitarbeitern in wenigen Sätzen Ziele und Zweck des BGM besser näherbringen als jeder beliebige Folder. Oft ist der mächtigste Weg, eine neue Richtung zu kommunizieren, allerdings das eigene Verhalten. Führungskräften kommt aufgrund ihrer gesetzlich verankerten Fürsorgepflicht eine nicht zu unterschätzende Schlüsselrolle und Vorbildwirkung zu. Nur eine Führungskraft, die auf die eigene Gesundheit achtet, ist zum Beispiel dazu imstande, erste Warnzeichen der Überforderung bei Mitarbeitern zu erkennen und frühzeitig gegenzusteuern. Wenn Mitarbeiter zudem wahrnehmen, dass ihre Führungskraft selbst auf ihre Gesundheit achtet, werden diese zum Beispiel weniger dazu neigen, sich permanent zu überfordern. Zudem hat das Verhalten der Führungskräfte einen maßgeblichen Einfluss auf das Betriebsklima, das Engagement und die Qualität der Zusammenarbeit. Denn nichts unterminiert die Kommunikation und die Glaubwürdigkeit eines BGM mehr als das Verhalten von Führungskräften, die sich nicht konsistent zum Gesundheitsleitbild verhalten und zum Beispiel Mitarbeitern mit langer Betriebszugehörigkeit im Krankenstand kündigen.

5. Schnelle Erfolge einplanen und weitere Veränderungen einleiten

Schnelle Erfolge untermauern die Glaubwürdigkeit und Notwendigkeit des BGM. So können Unternehmen relativ rasch über Hebehilfen oder andere ergonomische Hilfsmittel Rückenproblemen bei ihren Mitarbeitern vorbeugen. Solche „Quick Wins“ sichern die Unterstützung der Belegschaft und motivieren dazu, den eingeschlagenen Weg weiterzugehen. Wesentlich ist, dass alle Mitarbeiter die Erfolge erkennen und sie auch in Verbindung mit dem BGM bringen. Wenn sie einen Workshop zum Umgang mit schwierigen Kunden besucht haben, sollte später deutlich werden, was dieser für ihre tägliche Praxis gebracht hat.

6. BGM dauerhaft in der Unternehmenskultur verankern

Damit Gesundheitsmanagement gelingt, müssen viele Menschen mithelfen. Bis sich eine Kultur der „Achtsamkeit auf Gesundheit“ (Badura & Steinke 2011) in der Unternehmenskultur tief verwurzelt hat, vergehen in der Regel einige Jahre. Neue BGM-Ansätze sollten also auch in der Kultur verankert sein, anderenfalls können sie sich leicht wieder zurückbilden oder entwurzelt werden.

Darüber hinaus kann ein BGM nur dann langfristig Früchte tragen, wenn es Eingang in betriebliche Routinen findet, den Projektcharakter ablegt und somit zum „Tagwerk“ wird (Weigl & Weinreich, 2011). Daher sollten sich BGM-Verantwortliche immer wieder die Frage stellen: Findet sich in vorhandenen Managementsystemen, in Instrumenten der Personal- und Organisationsentwicklung, den Zielvereinbarungen für Fach- und Führungskräfte, in der Aus-und Weiterbildung sowie bei der Personalauswahl ein Bezug auf die betriebliche Gesundheitspolitik oder zu den BGM-Zielen?

In punkto Unternehmenskultur sind zudem Nachfolgeentscheidungen ein nicht zu unterschätzender Faktor: Ein BGM erfolgreich zu verankern, setzt immer voraus, dass auch die nächste Managementgeneration die Gesundheitspolitik ernst nimmt. Falsche Nachfolgeentscheidung im Top-Management können den jahrelangen Aufbau eines BGM rasch zunichtemachen.

In der betrieblichen Praxis finden sich sehr unterschiedliche Reifegrade des betrieblichen Gesundheitsmanagements (Abbildung 1). Es beginnt mit dem bereits beschriebenen Verständnis von BGM als Patchwork von Einzelaktionen. Auf dieser Stufe ist die systematische Beschäftigung mit Gesundheit noch nicht als Führungsaufgabe verankert. Die internen Fachverantwortlichen, zum Beispiel Arbeitsmediziner oder Personalentwickler, haben sich zudem nur wenig bis kaum untereinander koordiniert oder ihre Arbeit an gemeinsamen BGM-Zielen ausgerichtet. Mit zunehmendem Reifegrad des BGM integrieren die Unternehmen das Gesundheitsmanagement in die betrieblichen Routinen, damit es die Performance des Unternehmens bestmöglich unterstützen kann. Das ist zum Beispiel dann der Fall, wenn das Gesundheitsmanagement die Bindung und Loyalität der Mitarbeiter erhöht oder dazu beiträgt, die Zufriedenheit der Kunden zu steigern. So entwickelt sich mit der Zeit ein reiferes Verständnis von betrieblichem Gesundheitsmanagement. Statt ausschließlich als „Parallelwelt“ organisiert, folgt es vielmehr einer integrativen Gesamtstrategie, in der die Organisation sämtliche Angebote, die sich mit der Erhaltung, Förderung oder Wiederherstellung der Gesundheit im Unternehmen beschäftigen, aufeinander abstimmt und BGM als kulturelles Leitthema in die Unternehmensziele und -strategien integriert.

Ohne eine Ansprechperson, die als zentrale Schnittstelle dauerhaft eng mit den Führungskräften und den Fachbereichen im Unternehmen zusammenarbeitet, ist es wenig wahrscheinlich, dass ein nachhaltiges und strategieorientiertes BGM-Angebotsportfolio entsteht.

Wenn Betriebe nach einem erfolgreichen BGF-Projekt ein dauerhaftes Gesundheitsmanagement aufbauen wollen, ist es erfahrungsgemäß oft hilfreich, das „BGM-Erscheinungsbild“ der Organisation zu entwickeln – in Form eines Konzepts beziehungsweise einer Systematik (Abbildung 2). So stellen sie sicher, dass sie alle wesentlichen Arbeits- und Orientierungsgrundlagen für die nachhaltige Umsetzung eines BGM berücksichtigen. Diese Systematik sollte an die Größe und die Komplexität des jeweiligen Betriebs angepasst und mit den grundlegenden Anforderungen anderer Managementsysteme kompatibel sein (Blattner & Mayer 2018). Um unnötige Doppelgleisigkeiten zu vermeiden und interne Synergien bestmöglich zu nutzen, lässt sich ein solches BGM-Konzept zum Beispiel in das Leitbild, in Strukturen und Prozesse von bereits im Unternehmen vorhandenen Managementsystemen etwa im Bereich des Arbeitnehmerschutzes oder der Qualität integrieren. So lassen sich zum Beispiel in den regelmäßig stattfindenden internen Qualitätsaudits auch Fragen zum Thema BGM mit einbauen, um so parallel ablaufenden Auditprozessen vorzubeugen.

Abbildung 2 zeigt eine Systematik, die Betrieben den Aufbau eines ganzheitlich ausgerichteten Gesundheitsmanagements erleichtert. Das gesamte BGM richtet sich auf ein Leitbild aus (das Dach der Grafik). Verantwortlichkeiten, Ziele und Kennzahlen, Prozesse und Aktivitäten sowie die Art der Evaluation muss das jeweilige Unternehmen in den drei Säulen Arbeitnehmerschutz, Gesundheitsförderung sowie Betriebliche Wiedereingliederung festhalten.