Mit Unterstützung der Bertelsmann-Stiftung untersuchte ein international zusammengesetztes Team von Wissenschaftlern zwei Jahre lang die Herausforderungen, denen sich international agierende Unternehmen beim Aufbau einer globalen Kultur stellen müssen. Die Untersuchung fand in sieben deutschen (BASF, Bertelsmann, Deutsche Post World Net, Henkel, Lufthansa, Volkswagen), einem schweizerischen (Nestlé), einem japanischen (Toyota) und einem amerikanischen (Pfizer) Unternehmen statt. Alle Organisationen hatten bedeutende Geschäftstätigkeiten in den Regionen Europa, Asien und Nordamerika. In Tiefeninterviews befragten die Forscher mehr als 200 Führungskräfte in allen Regionen. Außerdem führten sie – im Sinne einer Methoden- Triangulation – quantitative Befragungen mittels Fragebögen durch und analysierten Fallstudien zum Führungsverhalten. Die Studie zeigt, dass die Unternehmenskultur aus Sicht der Befragten eine zentrale Rolle bei der Rekrutierung und Bindung qualifizierter Mitarbeiter spielt – vor allem in international agierenden Organisationen. So gelten deutsche Unternehmen nach Meinung einiger Studienteilnehmer im außereuropäischen Ausland als Arbeitgeber zweiter Wahl, weil viele Mitarbeiter der ausländischen Tochtergesellschaften irgendwann im Lauf ihrer Karriere an eine „gläserne Decke“ stoßen. Die Spitzenebenen der Führung besetzen ausschließlich Deutsche, was kulturelles Konfliktpotenzial birgt. Denn die Mitarbeiter der Länderniederlassungen erleben die Führungsriege nicht selten als unsensibel für die Belange ihrer Länder. Dies führt zu Frustration und Vorbehalten gegen den Arbeitgeber, im schlimmsten Fall wandern High Potentials zu lokalen Unternehmen ab.

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Foto von Husna Miskandar

Dieses Szenario, das in Gesprächen mit Studienteilnehmern häufig auftauchte, zeigt, dass international agierende Unternehmen zunehmend gefordert sind, sich mit ihrem kulturellen Profil auseinanderzusetzen. In dem Maße, in dem sie Arbeitsprozesse ins Ausland verlagern, entwickeln sich ihre Kulturen in einem hochdynamischen und potenziell unsicheren Umfeld. Schon in einem nationalen Umfeld ist die Fusion zweier Unternehmen durch das Aufprallen der Organisationskulturen eine schwierige Angelegenheit. Im internationalen Kontext erhöht sich diese Komplexität zusätzlich, da sich die Organisationskulturen mit den unterschiedlichen nationalen Kulturen überlagern.

Befunde der internationalen Kulturforschung zeigen, dass nationale Kulturen einen sehr starken Einfluss auf die Organisationskultur haben (House et al. 2004). So belegen Studien wie die von Reber und Jago (1997), dass sich das Führungsverhalten von Managern in verschiedenen Ländern deutlich unterscheidet. Mehr als 70 Prozent der erklärbaren Unterschiede lassen sich auf die Herkunftskultur zurückführen. Diese Eigenarten sind zudem sehr stabil. Daher ist höchst fraglich, ob sich Unternehmenskulturen beliebig gestalten und zentral steuern lassen. Vielversprechender scheint es, eine Balance zwischen der Globalisierung einer Unternehmenskultur und lokalen Besonderheiten zu finden, um sowohl eine Stammhaus-Monokultur als auch ein dezentrales Chaos zu verhindern.

Grundwerte etablieren

Die vorliegende Studie zeigt keine Patentrezepte für eine internationale Unternehmenskultur. Doch aus den Antworten der Befragten kristallisierten sich einige Elemente heraus, die dazu beitragen können, die kulturelle Integration international tätiger Unternehmen voranzubringen.

Nach Meinung der Befragten müssen Unternehmen eine kulturelle Vision entwickeln, die das Fundament der Unternehmenskultur darstellt. Diese Vision kommt in einigen wenigen Grundwerten zum Ausdruck, die für das gesamte Unternehmen verbindlich sind. Allein schon aus Gründen des kognitiven Differenzierungsvermögens sollte die Anzahl der Grundwerte die „magische Zahl 7 plus/minus 2“ nicht überschreiten. Damit die Werte intern überhaupt wahrgenommen werden, sollten sie in allen Landessprachen – nicht nur in Englisch – verfügbar sein und kommuniziert werden. Gerade in diesem Punkt begehen viele Unternehmen fatale Fehler. Ein Multinational verschickte seinen Leitwertkatalog per E-Mail an die gesamte weltweite Belegschaft – ohne weiteren Kommentar. Auch bezogen auf die richtige Kommunikationsform gibt es einige Stolpersteine. Denn sie kann in verschiedenen Ländern, abhängig von den kulturspezifischen Erwartungen, sehr unterschiedlich sein. So ist es zum Beispiel in den USA durchaus üblich, dass der Top-Manager die Werte in „town hall meetings“ charismatisch verkündet. In anderen Ländern ziehen die Belegschaften kleinere Gesprächskreise vor. Wichtig ist, dass Unternehmen ihre Kommunikation auf die lokalen Erwartungen abstimmen.

Die Grundwerte müssen durch Konkretisierungen fassbar werden. Der Wert „Integrität“ wird erst dann greifbar, wenn die verantwortlichen Führungskräfte darlegen, dass damit zum Beispiel der Verzicht auf jeglichen Austausch von Geschenken mit Kunden, Lieferanten und sonstigen Stakeholdern gemeint ist.

Dass sich diese Werte aber nicht von oben überstülpen lassen, ist ein zentraler Erfahrungswert der befragten Unternehmen. Organisationen sollten daher einen lokalen Dialogüber die globalen Grundwerte ermöglichen und die Tochtergesellschaften an ihrer Entwicklung beteiligen. So haben die Tochtergesellschaften auch die Möglichkeit, Werte lokal zu präzisieren. Eines der befragten Unternehmen stand vor dem Problem, den Unternehmenswert Integrität, der Geschenke verbietet, mit der großen Geschenktradition im ostasiatischen Kulturkreis in Einklang bringen zu müssen. Die Lösung bestand in einem Geschenkepool. Geschenke von Kunden und Geschäftspartnern gehen nicht an die Mitarbeiter, sondern an die Organisation, die feste Regeln für deren Verwendung entwickelt hat. Ein Teil der Geschenke spendet das Unternehmen zum Beispiel für wohltätige Zwecke. Damit ist Transparenz gegeben, der Wert der Integrität beibehalten und den lokalen kulturellen Gegebenheiten Rechnung getragen.

Was Unternehmen in Dialogen über ihre Grundwerte in einem ersten Schritt erreichen können, ist nach Argyris und Schön (1978) eine „espoused theory“ (offiziell vertretene Theorie), die sich von der „theory in use“ (handlungsleitende Theorie) meist unterscheidet. Erstere spielt sich auf der Ebene der Intentionen ab, die zweite wird durch die Sozialisierung im Unterbewussten verfestigt. Die „espoused theories“ werden explizit gelernt, bei ihrer Umsetzung in die Praxis haben sie den Widerstand der habituellen „theories in use“ zu überwinden, also der Gewohnheiten, die sich durch häufigen Gebrauch bewährt haben. Selbst wenn es gelingt, die neuen Werte im Dialog lokal abgestimmt auf der Ebene der Intentionen zu verankern, ist beim Umsetzen in die Tat aufgrund der alten Gewohnheiten mit einem Defensivverhalten zu rechnen.

Damit die Grundwerte in Verhalten übergehen, müssen die Führungskräfte den Wertekodex vorleben. Jegliche Initiative zur Implementierung eines Grundwertekodexes wird nach Erfahrung der Befragten sofort im Keim erstickt, wenn zwischen den Worten und den Handlungen, insbesondere des Top- Managements, eine Diskrepanz besteht. In diesem Zusammenhang hat sich im wissenschaftlichen Diskurs und in der Praxis (Hilti 2007) der Begriff des „walk the talk“ etabliert, der eine Konsistenz zwischen Worten und Taten impliziert und den Führungskräften eine verantwortliche Vorbildfunktion zuspricht. Zum Vorbild werden Führungskräfte vor allem dann, wenn ihr Verhalten sichtbar, verständlich und auf die Leitwerte zurückzuführen ist.

Strukturell sollte die Entwicklung von Unternehmenswerten durch ein Compliance Systemunterstützt werden, das Abweichungen von den etablierten Unternehmenswerten offenlegt und bestraft. Dies gilt insbesondere für Führungskräfte, vor allem auf den höchsten Ebenen der Hierarchie. Letzteres fällt vielen Unternehmen sehr schwer, wie jüngste Studien zur Wirtschaftskriminalität zeigen. Vergehen an den Basisebenen der Hierarchie werden meist konsequenter bestraft als auf den höheren Ebenen, wo „Vertuschen“ eher Praxis ist, als dass negative Konsequenzen gezogen werden. Ein Compliance System integriert alle Kontroll-, Sanktionierungs-, Selektions-, Bewertungs- und Anreizsysteme.

Rotierender Einsatz von Mitarbeitern

Einen wesentlichen Beitrag zur Verfestigung von Grundwerten bietet der rotierende Einsatz von Führungskräften, die als Kulturbotschafter agieren. Ihnen kommt ebenfalls eine Vorbildfunktion zu, sie können den lokalen Dialog initiieren und unterstützen. Dies geschieht in beide Richtungen: Einerseits sind die vom Stammhaus entsandten Führungskräfte (Expatriates) Träger für die Kultur der Muttergesellschaft, andererseits ist es auch ihre Aufgabe, sich mit den lokalen Gegebenheiten vertraut zu machen, die Eigenheiten der nationalen Kulturen in den Tochtergesellschaften zu ergründen und in den Zentralen dafür Aufklärung und Sensibilität zu erzeugen. Häufig erreichen Unternehmen solche Ziele nicht, da Expatriates, die nur kurz in einer Tochtergesellschaft arbeiten, kaum Anlass haben, lokalen Kontakt zu finden, und eher – oft unternehmensübergreifend – unter sich sind. In diesen „Gettos“ bilden sie ihre Meinung über das Aufenthaltsland nur aus Gesprächen mit anderen Expatriates, sodass ein subjektives Bild entsteht, das sie in der Heimat als objektiv vermitteln. Dabei verstärken sie häufig Vorurteile und Stereotypen über die Kultur des Gastlandes, anstatt diese aufzubrechen. Ist die Einsatzdauer zu kurz, können die „Gast-Organisationseinheiten“ zudem nicht genügend herausfordernde Aufgaben stellen, die Expatriates bleiben mit einem „Ohr“ eher daheim als bei den Gasteinheiten, damit sie in der Zentrale nicht vergessen werden, in welcher sie ihren Aufstieg im Unternehmen verwirklichen wollen.

Aus all diesen Gründen ist zu überlegen, traditionelle Expatriate-Muster so zu korrigieren, dass ein open skyfür eine wachsende Gruppe internationaler Manager entsteht, deren Karriere nicht vorprogrammiert ist und deren Aufstiegschancen in der ganzen Weite eines international agierenden Unternehmens liegen. Dieses personalpolitische Instrument signalisiert den Managern in den Tochtergesellschaften, dass ihr Unternehmen die Integration der Kulturen durch eine konkrete internationale Karrierepolitik fördert, sodass die Wege in die Konzernspitze grundsätzlich offen sind und eine internationale Durchmischung der Führungsspitze angestrebt wird, wie dies zum Beispiel bei Nestlé der Fall ist. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass einzelnen Mitgliedern des symbolträchtigen Vorstandes oder Executive Boards nicht zugemutet werden kann, als Einzelne für die internationalen Aktivitäten des Unternehmens verantwortlich zu sein. Entscheidend ist die Gruppenzusammensetzung. Neben den fachlichen Qualifikationen kommt hier vor allem der interkulturellen Kompetenz eine besondere Rolle zu, die personelle Zusammensetzung sollte spiegelbildlich zu den als wesentlich angesehenen Hauptmärkten, Ländern und Regionen erfolgen. Dabei ist der Geburtsort nicht so entscheidend wie die langjährige Kulturerfahrung.

Unternehmen sollten international tätigen Mitarbeitern, die als Kulturbotschafter auftreten, langzeitliche Entwicklungsmöglichkeiten einräumen und die Chance zur Reflexion ihrer Erfahrungen in bestqualifizierenden Lernsituationen bieten. Ohne eine solche Unterstützung können sie sich unter Umständen disfunktionale Verhaltensweisen aneignen. So zeigte sich in der vorliegenden Studie, dass deutsche Führungskräfte bei ihrem Einsatz in nordamerikanischen Tochterunternehmen autokratischer wurden als der Durchschnitt der amerikanischen Führungskräfte, während amerikanische Führungskräfte, die in deutschen Unternehmen arbeiteten, ihren Mitarbeitern mehr Partizipation einräumten, als dies dem Durchschnitt der „Standard- Deutschen“ entspricht. Beide Gruppen haben ihr Führungsverhalten geändert, sich auf den nationalen Durchschnitt des Einsatzlandes hinbewegt und diesen sogar übertroffen.

Insgesamt arbeiteten die Führungskräfte aber nicht effektiver, da sie nicht alleine die Vorteile der neuen Kultur übernahmen, sondern auch die Vorteile ihrer ursprünglichen Kultur aufgaben. In ihrem internationalen Einsatz stießen sie mit ihrem gewohnten und bewährten Verhalten auf Unverständnis, imitierten dann das Verhalten von Vorgesetzten und Kollegen im Einsatzland und versäumten es dabei, die verschiedenen Verhaltensweisen zu reflektieren oder mit anderen zu diskutieren. Imitierendes Lernen ist grundsätzlich nicht falsch, es geht vielmehr darum, die Verhaltensweisen beider Kulturen effektiver zu nutzen und kulturelle Unterschiede zu erlernen. Hierzu ist in vielen Fällen ein erfahrener Kollege oder Trainer notwendig.

Wenn es einem Unternehmen gelingt, die beschriebenen Elemente der Kultur- und Werteintegration konsistent und konsequent einzusetzen, wird es im Sinne eines „Employer Branding“ als positiv besetzte globale Arbeitgebermarke wahrgenommen werden. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass Unternehmenskultur und globaler Wertekodex nicht zu einer Marketingaktivität verkommen, sondern eine ernsthafte Entwicklung der Organisation als globales Unternehmen zum Ziel haben.

Literaturtipps:

Unternehmenskulturen in globaler Interaktion – Analysen, Erfahrungen, Lösungsansätze.

Hrsg. von Werner Auer-Rizzi, Susanne Blazejewski, Wolfgang Dorow und Gerhard Reber.

Gabler Verlag 2007.

Wie ein Unternehmenskodex funktionieren kann. Von Susanne Blazejewski und Wolfgang Dorow.

In: Harvard Business Manager.

Januar 2006, S. 37–46.

Organizational Learning.

Von Chris Argyris und Donald A. Schön.

Addison-Wesley 1978.

Culture, Leadership, and Organizations: The GLOBE Study of 62 Societies.

Hrsg. von Robert J. House, Paul J. Hanges, Mansour Javidan, Peter Dorfman und Vipin Gupta,

S. 654–668. Sage Publications 2004.

Festgemauert in der Erde … Eine Studie zur Veränderung oder Stabilität des Führungsverhaltens von Managern in Deutschland, Frankreich, Österreich, Polen, Tschechien und der Schweiz zwischen 1989 und 1997.

Von Gerhard Reber und Arthur G. Jago.

In: Personal als Strategie.

Hrsg. von Rüdiger Klimecki und Andreas Remer.

Luchterhand Verlag 1997.

Werteorientierung als unternehmerische Verantwortung am Beispiel der Hilti Aktiengesellschaft.

Von Michael Hilti.

Erscheint in: Werteorientierte Unternehmensführung in Theorie und Praxis, Band 2.

Hrsg. von Wolf Böhnisch, Gerhard Reber und Doris Hechenberger. Peter Lang Verlag 2007 (im Druck).

Quelle: personal manager 4/2007