1. Innovationen als Standortfaktor

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Foto von Evangeline Shaw

Sehr viele Unternehmen in den Industrienationen machen ihr Geschäft mit Produkten, die sie vor weniger als 5 Jahren auf den Markt gebracht haben. Sie sind damit abhängig von einem permanenten Strom an neuen Ideen, an Innovationen. Mit der rasant fortschreitenden Globalisierung bekommt das Thema nochmals eine höhere Bedeutung, da der Wettbewerbsdruck zunimmt. Die Schwellenländer Indien und China, die allein aufgrund ihres Bevölkerungsreichtums zukünftig die größten Märkte sein werden, pflegen heute einen extrem laxen Umgang mit Produktpiraterie. Neue Ideen aus den Industrieländern kommen oftmals schon nach kurzer Zeit als Kopie auf die dortigen Märkte und anschließend auf den Weltmarkt.

Da sich die Politik nicht auf wirksame Maßnahmen gegen die Produktpiraterie verständigen kann, helfen nur selbst auferlegte Handelseinschränkungen – oder eine noch höhere Innovationsgeschwindigkeit. Als Innovation darf dabei nicht nur die weltbewegende, große Erfindung gelten, sondern bereits die kleinen Prozess- oder Produktverbesserungen, die heute oft über das betriebliche Vorschlagswesen gemanagt werden oder projektbezogen entstehen. Oftmals werden jedoch projektbezogene Verbesserungen gar nicht gemanagt, geschweige denn einer Weiter- oder Wiederverwendung zugeführt werden, sondern gehen nach einer Einmalverwendung einfach wieder verloren.

IBM hat 2006 eine weltweit angelegte Umfrage unter 500 Unternehmensleitern durchgeführt und dabei die Frage nach der Quelle von neuen Ideen und Innovationen gestellt. Das Ergebnis war überraschend. Nicht die vermeintlich zuständigen Forschungs- und Entwicklungsabteilungen, sondern die breite Masse der normalen Mitarbeiter werden mit Abstand als potenteste Innovationsquelle genannt. Die F&E folgt erst weit abgeschlagen hinter den Mitarbeitern, den Geschäftspartnern, den Kunden, Beratern, Wettbewerbern und dem Vertrieb bzw. der Serviceorganisation.

Abb. 1: Unternehmensleiter: Quelle von neuen Ideen und Innovationen [IBM06]

Damit drängt sich die Frage auf, wie das darin liegende Potenzial sinnvoll und mit vertretbarem Aufwand gehoben werden kann. Es bedarf neben den etablierten Innovationsprozessen aus Forschung und Entwicklung neuer Ansätze kollaborativer Art, die die „Intelligenz der Masse“ effektiv nutzten. Dabei sind in der Regel zwei Klassen von Ideen zu unterscheiden: einerseits die wenigen, großen Ideen mit Patentierungspotenzial, die zu sehr großen Umsätzen und damit auch zu hohem Patenteinkommen führen können und andererseits die vielen kleinen Ideen des Arbeitsalltags, die man einem neuen, kollaborativen Reifeprozess zuführen kann.

2. Intellectual Property Management

Patentprozesse sind in vielen Branchen, insbesondere dem Pharmabereich, absolut wettbewerbs- und damit auch zeitkritisch. Denn hier kommt es für Unternehmen darauf an, Rechte zu schützen, bevor es ein Wettbewerber tut. Als oberste Regel gilt: „Erst patentieren, dann darüber reden“. Da das Prinzip nicht neu ist, sind effiziente Prozesse zum Managen des „intellektuellen Kapitals“ in den meisten Unternehmen bereits sehr gut eingeführt.

Das war bis in die 1990er Jahre noch anders. Unvergessen ist Gorden Petrash, der 1993 der erste „Director of Intellectual Asset and Capital Management“ bei Dow Chemical wurde und dort einen besonderen Fokus auf effektives Management der Patente legte. Er entwickelte ein Sechs-Stufen-Modell, mit dem es ihm gelang, bei Dow Einsparungen im Bereich der Patentunterhaltskosten von 50 Millionen Dollar zu erzielen und parallel die Einnahmen aus der Lizenzierung der Patente von 25 Millionen auf 125 Millionen US-Dollar zu steigern [Ste98].

Die sechs Stufen seines Patentmanagement-Modells sind:

  1. Strategieentwicklung (Ausrichtung der Geschäftseinheiten),
  2. Einschätzung der Wettbewerbsstrategien und Patentbereiche,
  3. Klassifizierung des Unternehmensportfolios, inkl. Verantwortungszuweisung,
  4. Evaluierung von Kosten und Wertschöpfung des intellektuellen Kapitals,
  5. Investition zum Füllen von Lücken im Portfolio,
  6. Fortwährende Wiederholung des Prozesses.

Sein Modell gilt auch heute noch als Maßstab für effektives Management von Patenten. Neben den Managementprozessen ist zumindest bei Unternehmen mit vielen Patentlegungen pro Jahr ein Workflowgestütztes Patentmanagement-System hilfreich. Idealerweise beginnt es, wie das Worldwide Patent Tracking System der IBM, bei der Ideenaufnahme und begleitet den gesamten Patentierungsprozess über alle Phasen und mit allen Beteiligten. Dazu sind die rechtlichen Bestimmungen der einzelnen Länder automatisch zu berücksichtigen.

3. Die Ideen der Masse effektiver nutzen

Etwas anderes sind die vielen kleinen Ideen, die in ihren strategischen und finanziellen Auswirkungen aber kleiner bleiben und deshalb offener betrachtet werden können, selbst wenn sie in Einzelfällen auch zu Patenten führen. Um ihre Quantität und vor allem Qualität zu erhöhen, lohnt sich der Einsatz neuer, kollaborativer Innovationsmechanismen.

Es gibt zwar immer wieder Genies, die allein Hervorragendes zustande bringen, aber die meisten Innovationen werden nach wie vor in Gesprächen, entweder spontan in der Kaffeeecke oder strukturierter in Fachbesprechungen oder auf einer Wissenskonferenz [Sch01], geboren und veredelt. Das Prinzip, dass sich Ideen gegenseitig befruchten können, dass durch das Zusammenwirken mehrerer oder vieler Beteiligter etwas Größeres entstehen kann, als es einzelne Mitarbeiter hervorbringen könnten, gilt es durch IT-Systemunterstützung zu fördern. So können die Grenzen der lokalen Optimierung gesprengt und die Organisation kann zu einem durchgängigen Innovationspool werden.

Vertrauen als wichtigste Grundlage eines kollaborativen Innovationsprozesses bedeutet, dass der wichtigste Grundbaustein eines Innovationsmanagement-Systems zunächst die eindeutige Dokumentation der Innovation und ihres Ideengebers ist. Damit werden die Grundlagen für eventuelle, spätere Rechtsansprüche, ähnlich wie bei Patenten, in dieser frühen Vorstufe bereits dokumentiert. Das ist eine wesentliche Grundvoraussetzung für die Akzeptanz eines solchen Systems. Einfach machen es sich dabei Unternehmen, die in den Arbeitsverträgen alle Ideen aus dem bezahlten Arbeitsalltag pauschal als die Ideen des Unternehmens festlegen.

4. Die „Schule von Athen“ als Innovationsquelle

In den meisten Unternehmen werden Verbesserungsvorschläge heute noch eher im Hintergrund abgehandelt. Der Einreicher übergibt seine Idee an eine zentrale Stelle in der sie „verwaltet“ wird. Normalerweise wird sie einem oder mehreren Themenexperten zur Beurteilung zugestellt und nach seinem Urteil angenommen oder abgelehnt. Andere Mitarbeiter bekommen allenfalls von den akzeptierten Vorschlägen Kenntnis.

Für einen solchen Prozess ist die einfachste Form eines Innovationsmanagement-Systems mit einer Art Datenbank, in die die Mitarbeiter ihre Ideen einstellen können, hinreichend. Technologisch kann dies als Datenbank mit Weboberfläche, als Teil eines Web-Content-Management-Systems oder auch als Wiki, aufgesetzt werden. Wenn man dieses System als einzige, zentrale Lösung anbietet und alle anderen Systeme, wie auch das zentrale Vorschlagswesen, dadurch ablöst, hat man eine gewisse Chance, dass das System angenommen wird. Die Akzeptanz und insbesondere der Anregungseffekt zu weiteren Innovationen werden aber auf niedrigem Niveau verbleiben.

Will man das Innovationsmanagement-System nicht nur als Verwaltungswerkzeug sehen, sondern als eine Art „Schule von Athen“, also als einen Ort an dem man Ideen offen austauschen und sich so gegenseitig anspornen kann, ist mehr zu tun: Um das Wissen der Vielen zu nutzen, ist der Prozess abzuändern und sind die Tools entsprechend anzupassen. IBM setzt als Innovationsmanagement-Tool dafür die Eigenentwicklung „Thinkplace“ ein, deren vereinfachte Version auch als Place in Lotus Quickr als Produkt angeboten wird. Hier läuft der Prozess anders:

  • Der Ideenlieferant stellt – wie gewohnt – seine Idee in das Innovationsmanagement-System.
  • Neu ist, dass sie damit organisationsintern veröffentlicht wird und alle anderen Mitarbeiter im Sinne von Web 2.0 aufgefordert sind, Kommentare oder Bewertungen abzugeben.
  • Der Ideenlieferant ist gehalten Kollegen usw. auf seine Idee aufmerksam zu machen, da sie aus ähnlichen Wissensbereichen stammen und möglicherweise konkret etwas beitragen können.
  • Bei den Kommentatoren soll die Beschäftigung mit der zusätzliche Idee weitere Detailvorschläge oder auch andere Vorschläge auslösen.
  • Erst wenn ein Schwellwert an Kommentaren oder positiven Benotungen überschritten wird, wird die Idee – wiederum klassisch – Experten zur finalen Begutachtung übergeben. Sie entscheiden dann auch, ob die Idee in den Patentierungsprozess überführt werden soll.

5. Das Innovationsmanagement-Ökosystem

Der kritische Schritt in diesem Social-Networking- oder Web-2.0-Ansatz liegt ganz am Anfang, genau genommen noch bevor der Ideengeber die Idee in das System stellt. Typisch ist, dass man als ersten Schritt nach der eigentlichen Idee eine Recherche beginnt. Dazu benutzt man verschiedene IT Systeme:

  • Das erste ist eine Suchmaschine, mit der man zum einen versucht herauszufinden, ob die Idee bisher einzigartig ist. Dabei kann es eine Internetsuchmaschine sein oder, je nach Anwendungsgebiet, eine Suchmaschine in speziellen Datenbanken, u.a. natürlich auch in den Patentdatenbanken. Zum anderen dient die Suche auch nach Faktoren, die die Idee abrunden können.
  • Sodann überprüft man in seinem Freundes- oder Kollegenkreis, letztlich einer Gruppe mit ähnlichem Wissenshorizont und Interesse am Thema, was von der Idee zu halten ist. Gut ist, wenn sich solche Gruppen im Intranet organisieren können und dort gemeinsam bloggen, Leseempfehlungen („Bookmark-Sharing“) abgeben und überhaupt als Community of Interest oder Community of Practice über ein Community-Tool auffindbar werden.
  • Chat / Instant Messaging (mit Online-Erreichbarkeitsanzeige) und das klassische Telefon sind die Tools, um in der Community Kontakte auch über größere Distanzen zu beleben und dann Diskussionen über die Idee zu starten
  • In den Diskussionen ergeben sich manchmal Hinweise auf andere Personen mit passendem Wissen. Diese über Gelbe Seiten identifizieren zu können, ist eine weitere Hilfe.2
  • Sind Blogs, Wikis, aber auch die Einträge im Innovationsmanagement-Tool und in anderen Beständen mit „Tags“ (Schlagworte) versehen und werden die Tags über ein Enterprise Tagging System [Sch07] gesteuert, besteht die Möglichkeit, auch über diese sehr effiziente „Social Tagging“-Variante von Metadaten weitere Erkenntnisse um die Idee zu gewinnen, weil die Tags eine Navigationsebene über verschiedenste Datenquellen legen und damit mehr Transparenz erzeugen – und ganz nebenbei die Qualität der maschinellen Suche deutlich verbessern.

Die so durchgeführte Recherche führt zu einer wesentlichen, qualitativen Verbesserung und oft auch Erweiterung der Idee. Im Idealfall wurden nach dem Lawinenprinzip auch noch weitere Ideen ausgelöst. Natürlich lässt sich die Liste der einzubeziehenden IT-Services beliebig erweitern. Auffällig ist, dass sich die einzelnen Services gegenseitig ergänzen und u.a. dadurch ihre Akzeptanz bei den Nutzern steigt. Es entsteht um das Thema Innovations- oder Ideenmanagement eine Art „Ökosystem“ verschiedener IT-Services. Für die Unternehmen und Organisationen kommt es darauf an, die firmenspezifisch richtigen Komponenten oder Services für das Innovationsmanagement zu identifizieren und festzulegen, sodass ein lebensfähiges Ökosystem entsteht, das dem Unternehmen die erwarteten Vorteile generiert. Für ein Innovationsmanagement-System sind dazu bestehende Systeme einzubinden (Investitionsschutz) oder konsequent abzulösen und neue Web 2.0-Möglichkeiten zu berücksichtigen. Der Maßstab für die Lebensfähigkeit des Systems ist letztlich die Nachhaltigkeit der Akzeptanz der Nutzer und die Kosteneffizienz des Gesamtsystems.

                                             Abb. 2: Das Ökosystem des IBM Thinkplaces

Wie erfolgreich ein solches Innovationsmanagement-System sein kann, belegt das Beispiel IBM, die als Patentweltmeister gelten und die Liste der Patenterzeuger in den USA seit 15 Jahren mit deutlichem Abstand anführen.

6. Nachwort

Der Bedarf an Definitionen funktionsfähiger Ökosysteme von IT-Services ist dabei nicht auf Innovationsmanagement beschränkt. Jeder größere Pro-zess wird zukünftig eine solche Festlegung erfordern. Das wird eine wesentliche Optimierung der IT-Services und der durch sie geförderten Produktivität ermöglichen. Machbar ist das erst durch die neuen Service-orientierten Architekturen (SOA) und die darüber gewonnene Flexibilität und Freiheit der Kombination von Services.

Für die Nutzer darf das natürlich nicht in Komplexität ausarten. Stattdessen sollte jedes dieser Systeme immer wie eine „perfekte“ Anwendung aussehen, auch wenn im Hintergrund eine Vielzahl von realen Anwendungen die Services erbringen.

Die Konstellation der Ökosysteme in sich wird zwar immer träge sein, aber nicht völlig statisch. Alle diese Ökosysteme sind immer wieder veränderten Rahmenbedingungen, Bedürfnissen und Möglichkeiten anzupassen. Die gute Nachricht ist dabei, dass Standardisierungen bei der Einführung Service-orientierter Architekturen dafür sorgen, dass die Integrationskosten neuer Services im Vergleich zur Situation bei klassischen Architekturen deutlich geringer bleiben und somit die Vorteile klar überwiegen.

Literatur

[IBM06] IBM Institute for Business Value, CEO Study 2006, http://www-935.ibm.com/services/de/bcs/html/ceostudy.html

[Sch01] Schütt, P.: Wissen managen heißt auch Communities managen, Wissensmanagement, Heft 3, 2001 [Sch07] Schütt, P.: Social Tagging, Wissensmanagement, Heft 1/2007

[Ste98] Stewart, Thomas A.: Der vierte Produktionsfaktor, Carl Hanser Verlag, München, Wien, 1998, S. 71f

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Quelle:

Mehr Wissen – mehr Erfolg! 9. Kongress zum IT-gestützten Wissensmanagement.

Kongressband zur KnowTech 2007