Wenn das, was Sie tun, nicht funktioniert, Ihnen aber auch keine Alternative zur Verfügung steht, dann haben Sie Stress. Es ist der Mangel an Handlungsalternativen, die ein Stressgefühl hervorrufen. Je weniger Handlungsalternativen einem zur Verfügung stehen, desto belastender werden die kleinen und großen Stressoren des Alltags wahrgenommen.
 
Natürlich hilft es, wenn unnötige Stressoren abgebaut werden können und wenn Zeitfenster Raum für Entspannung bieten. Viele Stressmanagement Methoden trainieren die Fähigkeit, sich zu regenerieren, Stresssituationen zu reflektieren und die eigene Resilienz zu verbessern. Man lernt, sich wieder Zeit für sich selbst zu nehmen, und erforscht die Seiten des Lebens, die im Alltag zu kurz kommen.
 
Doch wie kann man mit einem Stressmoment umgehen, wenn man ihm unmittelbar ausgesetzt ist? Wenn man in einem schwierigen Gespräch steckt, wenn man Lampenfieber hat, wenn einem alles zu viel wird, man der Situation nicht einfach ausweichen kann und auch sonst keine Handlungsalternative in Sicht ist?
 
Die erste gute Nachricht
Die erste gute Nachricht ist, dass es unser Gehirn nicht kümmert, ob die Handlungsalternative inhaltlich zum Stressinhalt passt oder nicht. Es geht ihm lediglich darum, zum aktuellen Verhalten eine Alternative zur Verfügung zu haben. Das ist zwar leichter gesagt als getan, da wir uns im gegebenen Moment nicht jede Alternative zutrauen.
 
Doch es gibt eine Möglichkeit, die uns immer zur Verfügung steht, die aber oft vergessen geht: unsere Körperbewegung. Menschliches Verhalten ist immer Körperbewegung, was bedeutet, dass eine Handlungsalternative ebenfalls mit der Bewegung unseres Körpers zu tun hat. Stress bringt uns allerdings dazu, dass wir gewissermaßen unseren Körper verlassen und uns mit dem Stressinhalt außerhalb von uns beschäftigen. So verlieren wir den Zugang zu unseren Ressourcen. Wenn wir im Moment der Stresserfahrung unseren Körpers wieder wahrnehmen und das Vertrauen zurückgewinnen, dass wir uns auf alle Arten bewegen können, erleben wir den Stress weniger heftig. Wir können uns in unserem Körper verankern und zentrieren.
 
Die zweite gute Nachricht
Nun können wir allerdings nicht einfach herumturnen, wenn wir uns in einem kritischen Gespräch mit unserem Chef befinden. Doch hier kommt die zweite gute Nachricht: Unser Gehirn kümmert es ebenfalls nicht, wie groß eine Bewegung ist, um sie als Handlungsalternative zu akzeptieren.
 
Stellen Sie sich eine einfache langsam-rhythmische Bewegung in Ihrem Körper vor. Eine Bewegung, die sich angenehm anfühlt. Das kann eine Handbewegung oder eine Bewegung im Rumpf sein. Solange Sie diese Bewegung ausführen können, ist ein wichtiger Teil Ihrer Bewusstheit im Körper verankert, und Sie spüren den Ursprung aller Ihrer Handlungen. Wo Sie auch immer sind, führen Sie diese Bewegung ganz langsam und unsichtbar für Ihre Umwelt aus. Niemand sieht die Bewegung, doch sie ist groß genug, dass Sie selbst sie wahrnehmen können.
 
Diese kleinen Bewegungen, die Micromoves, bieten auf eine diskrete aber wirksame Weise Zentrierung und Verankerung in Ihrem Körper. Sie bleiben auch in turbulenten Zeiten bei sich. Wenn Sie sich zudem weiterhin über Selbstreflexion und Entspannungsübungen in ruhigen Momenten weiter entwickeln, gewinnen Sie eine Resilienz, mit der Sie in den meisten Situationen bestehen können.

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Foto von Adeolu Eletu

Versuchen Sie es gleich selber
Lehnen Sie sich bequem an die Rückenlehne Ihres Stuhls. Nun drücken Sie mit einer Stelle Ihres Rückens am unteren Ende der Rückenlehne ein wenig mehr in die Lehne und lassen Sie wieder los. Drücken Sie dann mit Ihrem Rücken eine Stelle näher beim oberen Ende der Rückenlehne und lasse Sie los. Dann eine Stelle auf halber Höhe auf der linken Seite und schliesslich gegenüber auf der rechten Seite. So haben Sie die vier Kardinalrichtungen eines imaginären Kreises markiert. 
Nun lassen Sie diesen sanften Druck wie eine Druckwelle entlang der Peripherie des gedachten Kreises bewegen. Atmen Sie dabei ruhig weiter.
Lassen Sie diese Kreisbewegung immer feiner werden, bis Sie überzeugt sind, dass sie von niemandem gesehen werden kann, aber dass Sie sie noch deutlich spüren.
Diese Bewegung verlangt eine erhebliche Körperkoordination, besetzt aber Ihre Denkleistung nicht. Allerdings werden Sie feststellen können, dass Ihre stressbedingten emotionalen Reaktionen dabei weniger heftig ausfallen. Sie bleiben mehr bei sich, der Stress zieht Sie weniger aus Ihrer Mitte heraus.

 
Diese kleinen Bewegungen, die Micromoves, kann man trainieren. Das Beispiel stammt aus dem kürzlich erschienenen Buch “ESM-Embodied Stress Management” (tredition Verlag, Hamburg). Finden Sie weitere Infos auf www.esm-stressmanagement.ch.