In der heutigen Folge unserer HRM-Hacks dürfen wir Dirk Hahn begrüßen, der uns Einblicke in das Thema „Strategieumsetzung aus CEO-Perspektive“ geben wird. Der gelernte Diplom-Kaufmann begann seine berufliche Laufbahn 1997 bei der Personalberatung Hays und erklomm im Unternehmen Stufe um Stufe die Karriereleiter. Seit Januar 2020 ist Dirk Hahn Vorstandsvorsitzender/ CEO der Hays AG. Das Unternehmen ist international eines der führenden spezialisierten Personaldienstleistungsunternehmen und befindet sich weiter auf Wachstumskurs. Privat ist der Manager ein passionierter Skifahrer und Tennisspieler.
Alexander Petsch: Ich freue mich, heute Dirk Hahn bei uns zu haben. Herzlich willkommen, Dirk!
00:01:04
Dirk Hahn: Vielen Dank! Ich freue mich auch.
00:01:06
Alexander Petsch: Wir haben ja beide bewegte anderthalb Jahre hinter uns. Die Pandemie läuft ja gerade hoffentlich so langsam aus. Wie war denn das für Dich beziehungsweise für Euch? Covid-19 ein Change-Treiber für Eure Strategie und Ausrichtung?
00:01:27
Dirk Hahn: Ich war gerade mal zweieinhalb Monate CEO und hatte natürlich auch einen Game Plan für die ersten 100 Tage, wie ihn jeder wahrscheinlich hatte und dann kam Covid-19. Ich dachte, echt super Timing und war bedingt begeistert. Aber jetzt im Nachhinein war das für unser Business wahrscheinlich das Beste, was uns passieren konnte. Die ganzen persönlichen Dramen möchte ich hierbei natürlich nicht in den Vordergrund stellen, das ist klar. Aber rein beruflich war das für Hays wirklich die beste Zeit, würde ich sagen. Wir haben am meisten gelernt und ich bin schon seit über 20 Jahren im Business. Aber wir hatten noch nie so viel Veränderungswille und -druck verspürt wie in den letzten anderthalb Jahren. Wir haben so viele Sachen verändert und so viele Sachen gelernt. Und für uns war das wirklich eine ganz wichtige und im Endeffekt auch für das Geschäft positive Zeit.
00:02:22
Alexander Petsch: Ich kenne nicht viele, die das sagen würden. Du bist wirklich ein bisschen ein Strategie-, Lern- und Umsetzungsjunkie. Dann erzähl mal, wie Ihr da rangegangen seid, oder wie Du da rangehst.
00:02:32
Dirk Hahn: Das stimmt natürlich, das war jetzt arg positiv. Im März letzten Jahres habe ich schon schlaflose Nächte gehabt, ob es uns dann überhaupt im nächsten Monat noch gibt. Aber relativ schnell haben wir dann jeden Stein umgedreht und gesagt, ok, was müssen wir denn wirklich ändern? Und das ist sicher nichts Besonderes, das haben viele andere Firmen ja auch geschafft. Innerhalb kürzester Zeit alle Leute nach Hause geschickt, zum remote Arbeiten und so. Das war ja eher das Operative. Und dann haben wir sicher ein paar Wochen oder Monate gebraucht, um uns zu sortieren. Wir haben nur die wichtigsten Dinge, die wirklich überlebensnotwendig waren, angepackt und geändert. Also erstmal für alle Mitarbeiter Notebooks angeschafft. Wir haben zwar viele Leute, die immer mal wieder remote gearbeitet haben. Aber wenn dann zweieinhalbtausend Leute remote arbeiten, darauf waren wir technologisch nicht vorbereitet und das haben wir erstmal korrigiert. Aber was die Strategie betrifft, haben wir eigentlich einen Schlachtplan gehabt oder haben gedacht, der passt. Und dann haben wir aber gemerkt, naja, da kommen doch schon ein paar U-Boote hoch. Und das hat uns eigentlich dann dazu bewogen, unseren Strategieprozess, den wir jedes Jahr immer wieder High Level überarbeiten, grundlegend zu überarbeiten, was wir sonst alle drei, vier Jahre machen. Das haben wir jetzt einfach vorgezogen. Und das war wirklich ganz spannend. Wir haben mit einem Zukunftsforscher gearbeitet, der seine Sicht der Welt in den nächsten 4 – 7 Jahren dargestellt hat, aus ganz unterschiedlichen Perspektiven. Und haben dann in mehreren Strategie-Workshops im Senior Management praktisch die Hays AG des Jahres 2025 dargestellt. Und da kamen schon ein paar andere Sachen raus, wie noch vor drei, vier Jahren, als wir die letzte Strategieüberarbeitung hatten.
00:04:20
Alexander Petsch: Und auf was stellt Ihr Euch ein? Oder auf was habt Ihr Euch bereits eingestellt?
00:04:24
Dirk Hahn: Über diese ganzen Digitalisierungsgeschichten, da braucht man nicht drüber reden, das ist ja alter Kaffee. Wir gehen beispielsweise davon aus, dass es im Jahr 2025 gar keine Stellenanzeigen mehr gibt. Wir gehen davon aus, dass die Firmen sich bei den Mitarbeitern bewerben werden. Das ist nur so ein Aspekt, und das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen. Der stellt natürlich den ganzen Ablauf, die ganze Weltanschauung ziemlich auf den Kopf. Und das zeigt nochmal, dass die Mitarbeiter zunehmend wichtiger werden. Die sind jetzt schon wichtig, aber ich glaube, dass sich das noch gewaltig drehen wird in den nächsten drei, vier Jahren. Und da muss sich jedes Unternehmen natürlich schon Gedanken machen: was kann ich denn den Mitarbeitern bieten? Also in einem Vorstellungsgespräch nicht mehr fragen, was kannst Du? Sondern eher sagen, was kann Hays? So dass er oder sie dann gewillt ist, bei uns einzusteigen.
00:05:20
Alexander Petsch: Und welche Rolle spielt HR dabei?
00:05:23
Dirk Hahn: Kurz vorweg, das Thema People ist natürlich ganz wichtig, die People & Culture-Truppe spielt da natürlich eine entscheidende Rolle. Wir glauben, dass wir im Endeffekt zwei Betriebssysteme brauchen im Unternehmen. Und das haben wir auch umgestellt. Eines, wo wir sagen, das ist die klassische hierarchische Struktur, mit den Funktionsbereichen Sales, Backoffice, HR. Aber diese neuen innovativen Themen, die Hays wirklich verändern, die wollen wir in Zukunft viel mehr über interdisziplinäre Teams treiben. Und da ist HR bezüglich aller Themen, die mit Mitarbeitern zu tun haben, zwar im Lead. Aber es ist nicht wie in der Vergangenheit, dass HR sagt, so geht es und so machen wir das, und rollt es dann praktisch über die Organisation aus. Damit haben wir auch sehr gute Erfahrungen in den letzten Monaten gesammelt. Da kommen einfach bessere Ergebnisse heraus. Weil es nicht darum geht, die 120 Prozent beste Lösung zu haben, die in Harvard vielleicht gerade verabschiedet oder diskutiert wurde. Sondern für jedes Unternehmen passende Lösungen, die vielleicht manchmal nur 80 Prozent Lösungen sind, aber dann zusammen erarbeitet wurden und somit auch diese Gesamtakzeptanz haben. Und diese 80 Prozent werden dann aber auch umgesetzt. Und da haben wir wirklich viele gute Beispiele in verschiedenen interdisziplinären Teams gesammelt, bei denen wir wirklich sagen, wir setzen sie um und jeder steht jetzt hinter diesen Lösungen. Und das war für uns auch ein ziemliches Aha-Erlebnis.
00:07:03
Alexander Petsch: Du sprichst von einem dualen Betriebssystem, einmal eine eher hierarchische Struktur – Stichwort Vertrieb – und eine eher agile, interdisziplinäre, flexiblere Struktur in anderen Bereichen. Mal ketzerisch gefragt, ist so ein duales Betriebssystem vielleicht nur ein Zwischenschritt hin zu einer komplett agilen, flexiblen Organisation?
00:07:31
Dirk Hahn: Du hast höchstwahrscheinlich recht, das ist so. Aber du kennst mich auch schon lange, ich wage ja gern neue Dinge, gar keine Frage. Aber alles step by step. Aber das ist wirklich so. Das ist höchstwahrscheinlich einfach der Proof of Concept. Inwiefern brauche ich dann wirklich noch Hierarchien? Aber auf der anderen Seite glaube ich, dass eine Organisation, zumindest unsere Organisation, Zeit braucht, um sich an das Thema heranzutasten. Wir sind historisch eigentlich eher eine Organisation, die viel über Vorstandsfreigaben und solche Sachen arbeitet. Und das möchte ich abschaffen. Ich will die ganze Bürokratie abbauen. Ich möchte Entscheidungen dahin verlegen, wo sie wirklich hingehören. Aber selbst anderthalb Jahre später ist das noch immer ein ziemlicher Prozess, das in die Kultur zu verankern, dass die Leute wirklich die Entscheidung auch für sich nehmen und sagen „hey, ich darf das jetzt wirklich selbst entscheiden“. Obwohl sich das ja eigentlich positiv anhört. Und auf der einen Seite ist das schön, ich darf selbst entscheiden. Auf der anderen Seite bin ich natürlich auch verantwortlich, wenn nicht noch ein Zweiter darauf unterschreibt. Aber ja, wenn Du mich vor 24 Monaten so gefragt hättest, dann hätte ich gesagt, lass mich in Ruhe mit dem Zeug, ist mir zu heiß. Ich warte mal, bis die anderen das ausprobiert haben. Aber inzwischen haben wir auch so einen Spirit hier. Ich will so viel wie möglich in diese interdisziplinären Teams geben und so wenig wie möglich noch in Silos lösen. Ob wir unseren Vertrieb, und das ist sicher wichtig, in Zukunft dann doch agiler aussteuern und noch mehr Verantwortung in die einzelnen Bereiche geben, da bin ich ziemlich überzeugt davon, dass wir da hinkommen müssen. Ansonsten werden wir keine Chance mehr haben, im Jahr 2025 gute Mitarbeiter zu bekommen und zu halten.
00:09:25
Alexander Petsch: Die Argumente zählen ja für den Vertrieb genauso, auch wenn man natürlich als vertriebsorientiertes Unternehmen vielleicht eine hierarchische Struktur gewöhnt ist. Aber zur Mitarbeiterperspektive unterscheidet sich das ja nicht groß.
00:09:44
Dirk Hahn: Ja, das ist ja jetzt auch spannend, das ist dieses „Lesson learned“ in dieser hybriden Welt oder in diesem hybriden Arbeiten. Die Leute sitzen daheim, man sitzt nicht mehr Schulter an Schulter und sieht, wann jemand kommt und geht. Und es läuft. Und das war auch unsere „Lesson learned“. Du kennst mich ja, in meinem Weltbild war es mir schon lieber, wenn die Leute den ganzen Tag im Büro gesessen sind oder idealerweise beim Kunden waren. Und ich konnte mir das nicht so richtig vorstellen, dass es wirklich ganz gut funktioniert. Und was ich jetzt sehe, wir haben die besten Zahlen ever und alle sitzen praktisch zuhause beziehungsweise viele arbeiten remote. Und das hat mir die Augen geöffnet. Obwohl man immer sagt, wir vertrauen den Mitarbeitern und die werden das schon hinbekommen. Aber wahrscheinlich waren es in der Vergangenheit einfach nur Lippenbekenntnisse. Und jetzt, wo man keine andere Wahl hat, lernt man erst, dass das tatsächlich funktioniert. Vertrauen in die Mitarbeiter. Natürlich ist es immer ein Geben und Nehmen. Man muss klare Ziele definieren, das ist auch nicht so einfach, immer klar die Ziele so zu formulieren, dass man die Leute dann an den Ergebnissen messen kann. Und so ist das für die Organisation eine ziemlich große Lernkurve. Aber ich schätze mal, das ergeht Vielen so und da spielt natürlich HR oder People & Culture, wie wir das nennen, natürlich eine ganz wichtige Rolle. Und zwar nicht nur in Bezug auf hippe digitale Tools, um mit Mitarbeitern zu kommunizieren oder die Arbeitswelt digitaler zu gestalten, sondern vor allem in der Führung ist es schon eine ziemlich große Herausforderung, dieses Hybride Führen.
00:11:23
Alexander Petsch: Jetzt ist ja unser Thema HRM-Hacks, also Tipps und Tricks für HR. Was bedeutet das denn für Dich oder was für Tipps und Tricks würdest Du denn daraus ableiten, wenn man sich das Thema Strategieumsetzung anschaut?
00:11:42
Dirk Hahn: Ich weiß gar nicht, ob das zwangsläufig nur Strategieumsetzung ist, sondern für mich ist wichtig, dass jeder Fachbereich, und das gilt natürlich auch für HR, sich öffnet und sagt ok, ich bin der Fachmann, die Fachfrau für HR-Themen, ganz klar. Aber ich bin nicht derjenige, der jetzt hier die Lösungen allein zaubern muss, sondern ich glaube, dass es wichtig ist, dass man sich öffnet und eher viel fragt und zuhört. Was will die Organisation? Welches Problem muss oder soll denn überhaupt gelöst werden? Und das dann in Zusammenarbeit mit den Stakeholdern, die da wirklich so dicht wie möglich dran sind. Also nicht immer nur mit dem Senior Management reden, sondern wirklich mit den Leuten, die nachher das Tool oder das, was es zu lösen gibt, auch wirklich umsetzen müssen. Und das ist meine „Lesson learned“. Je besser die Leute zusammenarbeiten und die Problemstellungen auch diskutieren, verschiedene Sichtweisen reinkriegen. Und klar ist, dass häufig People & Culture vielleicht auf die Problemstellung und die Lösung auch von der anderen Seite kommt. Und da sitzt dann jemand, der keine Ahnung von dem Thema hat. Aber er hat zumindest ein Bauchgefühl und sagt ok, ich brauche aber das, ich brauche nicht das, was ihr mir liefern wollt. Es hilft mir nichts, super Tool, super Kompetenzmodelle oder was auch immer. Sondern das wirklich zusammen als Team zu erarbeiten. Das hilft glaube ich unserer Organisation im Moment ungemein. Und das ist so mein Tipp: öffnet Euch, seid Fachleute, aber akzeptiert auch, wenn eine 80-Prozent-Lösung dabei rauskommt, die nachher umgesetzt wird. Weil ich dann aus CEO-Sicht zufriedener bin, wenn mir eine 80-Prozent- Lösung haben. Auch wenn mein People & Culture-Chef sagt, da gibt’s noch was Schöneres. Da sage ich dann, schön schon, aber nicht umgesetzt.
00:13:32
Alexander Petsch: Also im Prinzip, „done is better than perfect” …
Dirk Hahn: Ja absolut.
Alexander Petsch: Was bedeutet das für das Recruiting? Was sind da Deine Hacks für die Strategieumsetzung?
00:13:50
Dirk Hahn: Nach unserem Weltbild gibt es im Jahr 2025 gar keine Stellenanzeigen mehr, vielleicht ein bisschen später oder früher. Dann bewerben wir uns als Unternehmen bei den Kandidaten. Das ist natürlich schon eine mächtige Aussage. Und natürlich muss ich schauen, wie bin ich attraktiver? Attraktiv als Arbeitgeber für die Kandidaten. Und muss dann viel mehr machen, also Employer Branding, früher in den Recruitment-Prozess einsteigen. Bei den Absolventen-Kongressen arbeiten wir ja viel auch mit Dir zusammen und natürlich auch immer mehr in digitalen Formaten. Aber was für uns klar ist, dass wir viel früher in diesen Prozess einsteigen. Wir haben früher immer gesagt, ok, wenn jemand seine Diplomarbeit oder Masterarbeit abgegeben hat oder da in den letzten Zügen liegt, dann ist es für uns spannend. Wir bemühen uns immer mehr, viel früher in diesem Life Cycle Kontakt aufzunehmen mit potentiellen Kandidaten. Was natürlich komplett für unser Employer Branding, auch für unsere ganze Marketing- und HR-Abteilung, ganz andere Herausforderungen sind. Content zu haben, der spannend ist für Leute, die gerade mitten in ihrem Studium sind oder vielleicht gerade am Anfang. Oder vielleicht sogar noch früher anfangen, bei Abiturienten oder so. Das ist sicher etwas, wo ich glaube, da muss man immer mehr hin und da muss man sich immer mehr professionalisieren, so dass man wirklich attraktiv ist. Naja, da spielen natürlich auch andere Themen immer mehr eine Rolle und da gehört sicher das Ganze, was wir hier gerade diskutiert haben, dazu. Wie flexibel arbeite ich? Welche Möglichkeiten biete ich denn an? Auch schon des Office! Wollen wir alle in der Legebatterie arbeiten, in irgendeinem unschönen Office? Nein, das wird sicher nicht mehr gehen in Zukunft. Also das hat viele Aspekte, wie wir attraktiv sein müssen oder wie jede Firma attraktiv sein muss, um die besten Talente zu bekommen. Und da gibt es wie gesagt viele Elemente. Auf der einen Seite, wie wirke ich nach außen, vom Büro, vom Look & Feel? Passt unsere Website, unser Auftritt überhaupt noch in diese Welt? Das sind alles Fragen, die muss man sich jetzt stellen. Absolut.
00:16:15
Alexander Petsch: Also unsere regelmäßigen Podcast-Hörer:innen haben das bei uns schon öfter gehört, dass sich die Zeiten im Recruiting dramatisch geändert haben und noch mehr ändern werden. Es ist eigentlich überraschend, dass viele davon ausgehen, dass es pandemiebedingt zu einer höheren Arbeitslosigkeit kommt. Ich glaube, die Dax-Konzerne haben jetzt schon wieder für 15 000 offene Stellen nicht die passenden Bewerber.
00:16:48
Dirk Hahn: Das ist auch ganz spannend, was du gerade sagst. Wir arbeiten gerade an einem digitalen Geschäftsmodell und haben dazu, um das konkreter einzuschränken und „Lesson learned“, Befragungen beziehungsweise Studien gemacht. Was erwarten Kandidaten und was erwarten Kunden? Mit was sind sie denn in diesem Recruitment-Prozess nicht so zufrieden? Das ist jetzt zwar eher auf das Freelancing-Modell bezogen, aber ich glaube, das passt auch ganz gut auf die Festanstellung. Der Kandidat sagt, der Kunde oder die Firma sucht eine eierlegende Wollmilchsau, bei der ich die Hälfte der Sachen gar nicht erfüllen kann. Diesen Menschen gibt’s gar nicht, also so eine Wunschliste. Und ansonsten sind die Reaktionszeiten zu lang, also das dauert mir alles zu lange im Prozess und ich fühle mich da eher nicht richtig betreut. Auf der anderen Seite sagen die Kunden, na ja, Geschwindigkeit interessiert mich eigentlich gar nicht so, das passt so. Und ansonsten kriege ich aber nicht so richtig die Kandidaten auf das, was ich suche. Oh Wunder, wenn ich so eine Wish List habe, die unrealistisch ist, und mich auch die Geschwindigkeit nicht interessiert! Und der Kandidat genau das Gegenteil sagt! Da ist noch ein riesiges Mismatch drin in diesem Markt, und da wollen wir zumindest helfen, das aufzulösen.
00:18:11
Alexander Petsch: Es gibt Untersuchungen darüber, wie stark die Wahrscheinlichkeit der Einstellung abnimmt bei Reaktionen auf Bewerbungen am ersten Tag und am zweiten Tag. Das ist schon gigantisch. Aus Unternehmenssicht macht es oft überhaupt keinen Unterschied, ob ich eine Bewerbung am ersten oder am zweiten Tag bearbeite. Aber aus Kandidatensicht ist das etwas völlig anderes.
00:18:37
Dirk Hahn: Ja, absolut. Und vielleicht auch noch spannend bei der Rekrutierung generell ist das Thema Bias, also inwiefern bin ich wirklich neutral im Auswahlprozess? Mit diesem Thema beschäftigen wir uns natürlich schon. Das spielt wirklich eine gewaltige Rolle. Ich ertappe mich immer wieder dabei, dass ich Sachen irgendwie hineininterpretiere in einen Lebenslauf, wenn ich Vorstellungsgespräche führe. Wir haben gerade eine Senior-Position besetzt, und da haben wir dann praktisch zu dritt, zu viert diskutiert und jeder hat so gesagt, was gut oder schlecht lief. Und es war wirklich spannend, dass die anderen zwei, drei Kollegen, die mit mir das Debriefing gemacht haben, meine Bias gar nicht unterstützt haben. Die haben gesagt, nein, das sehen wir überhaupt nicht so. Sage mir einen Grund, wo eine Antwort, eine Reaktion deinen Bias stützt? Da musste ich ehrlich sagen, ihr habt Recht. Das ist einfach so hineininterpretiert. Und ich glaube, es muss noch mehr Wert darauf gelegt werden, da wirklich sachlich, neutral, und unvoreingenommen ranzugehen, egal ob es sich um Geschlecht oder andere Kriterien handelt. Sondern wirklich nur faktenbasiert einstellen, ganz neutral. Ich glaube, das wünscht sich jede Firma und jede Firma behauptet auch, dass sie das tut. Ich für uns ja auch. Aber wenn man ehrlich zu sich selbst ist und das mal tiefer analysiert, glaube ich, dann haben viele Firmen hier noch Spiel.
00:20:06
Alexander Petsch: Wäre für Euch die Konsequenz daraus, dass Ihr in einer Stufe des Auswahlprozesses ganz viele Parameter rausnehmt, beispielsweise Name, Geschlecht, Alter?
Um damit in eine neutralere Position zu geraten?
00:20:27
Dirk Hahn: Ja, das schon. Aber später im Vorstellungsgespräch kommen ja viele Sachen dann wieder zum Tragen. Das ist ja das Thema. Wir haben eigentlich nicht das Problem, dass wir viele Kandidaten praktisch über Bilder, Name oder über den Lebenslauf selektieren. Da gibt es ja Trainings, die wir auch unseren Kunden anbieten. Wie ich die Prozesse besser gestalten kann, damit das minimiert wird. Aber am Ende des Tages werden die Gespräche dann doch persönlich oder digital geführt. Und ich glaube, da passiert dann einfach auch viel über Sympathie. Habe ich Antworten im Vorfeld, die so sein müssen und solche Sachen. Und ich weiß nicht, ob es da Möglichkeiten gibt, das systematisch rauszubringen. Wir arbeiten mit unseren Leuten, die einstellen, viel mit Trainings. Und das bieten wir auch unseren Kunden an. Man kann sich da schon selbst ertappen, wie sehr voreingenommen man ist. Auch wenn man glaubt, man sei überhaupt nicht voreingenommen.
00:21:33
Alexander Petsch: Dirk, so zum Schluss, gibt es noch ein, zwei Tipps und Hacks, die Du zu dem Thema den Personaler mitgeben möchtest?
00:21:43
Dirk Hahn: Ich glaube, wir haben ja schon viele Sachen angeschnitten zu dem Thema. Ich glaube, People & Culture kann einen großen Beitrag leisten. Während des Rekrutierungsprozesses sicherstellen, dass im Unternehmen die Auswahlprozesse in die Richtung so gut wie möglich passieren, dass wirklich die beste Person eingestellt wird, ohne Vorurteile. Ich denke, da gibt es in jeder Firma noch viel zu tun und das ist glaube ich im Nachhinein auch für jede Firma ganz wichtig. Wir reden ja viel über Diversity und wie groß ist der Frauenanteil oder der People of Color-Anteil im Senior Management und so weiter. Und ich glaube, da fängt es natürlich schon beim Einstellen an. Wie gut bin ich schon beim Einstellen und wie diverse bin ich schon beim Einstellen? Um dann später auch im Management diese Diversität zu haben. Und da spielt natürlich People & Culture eine ganz entscheidende Rolle. Um die Trainings zu geben, aber auch ein bisschen als Kontrolleur, wenn sich das jetzt auch arg negativ anhört. Aber die zumindest sicher zu stellen beziehungsweise die entsprechenden kritischen Fragen stellen, bis hoch zum CEO; passt es denn Dirk, bist du denn zufrieden, wie das läuft? Passen denn in allen Bereichen diese ganzen Beförderungen und Kriterien? Werden denn die richtigen Leute befördert? Passt der Talentpool, ist der diverse genug? Und arbeitet ihr denn wirklich so zusammen, dass ihr interdisziplinäre Teams habt, wo auch verschiedene Sichtweisen reinkommen, wenn ihr Projekte abwickelt? Und da glaube ich, spielt People & Culture natürlich eine entscheidende Rolle, dass das gut gemanagt wird in den Unternehmen.
00:23:24
Alexander Petsch: Ja, herzlichen Dank, Dirk! Wenn Ihr den Fachartikel zu der heutigen Podcast-Folge und die dazugehörigen Hacks nochmal nachlesen wollt, dann gebt einfach auf hmr.de „Dirk Hahn“ oder den Titel des Podcasts in die Suche ein. Wir freuen uns auch über Euer Feedback und vielleicht habt Ihr auch wertvolle weitere Tipps zum Thema, die Ihr gerne mit der Community teilen wollt. Dann schreibt uns einfach an redaktion@hrm.de oder über die Social-Media-Kanäle, da sind wir auf den gängigen natürlich vertreten. Lieber Dirk, herzlichen Dank für Deinen Input und deine Tipps, die Du mit der HR-Community und mir geteilt hast. Mir hat es Spaß gemacht, mit Dir zu diskutieren und von Dir zu lernen und uns gegenseitig auszutauschen.
00:24:07
Dirk Hahn: Vielen Dank auch von meiner Seite, es hat echt Spaß gemacht!
00:24:10
Alexander Petsch: Also Glück auf und bleibt gesund und denkt dran: Der Mensch ist der wichtigste Erfolgsfaktor für euer Unternehmen.