Multikulturelle Teams haben enorm hohes Potenzial. Ob es gelingt, dieses Potenzial auszuschöpfen, hängt allein von der Fähigkeit der Führungskraft ab, die Vielfalt für ein konstruktives Miteinander zu nutzen und Rahmenbedingungen für einen produktiven Know-how-Austausch zu schaffen. Der Schlüssel zum Erfolg liegt dabei in der Erkenntnis, dass Denkmuster und Entscheidungsfindungsprozesse nicht auf der ganzen Welt gleich sind, sondern vom kulturellen Hintergrund einer Person abhängen. Diese Feststellung mag wenig überraschend erscheinen, kann jedoch in der Praxis keineswegs vorausgesetzt werden. Gerade am Anfang eines Beratungs- oder Trainingsprojekts stoßen wir immer wieder auf fehlendes Bewusstsein für kulturelles Anderssein und unterschiedliche „Funktionsweisen“ von Menschen aus verschiedenen Kulturen. Nicht selten treffen wir auf die Überzeugung, die eigene Kultur sei der des Kollegen überlegen.

people sitting in front of monitors inside room
Foto von Adrien Olichon

Dabei konnten wir folgendes Denkmuster beobachten: Je weiter der Kulturkreis des Gegenübers entfernt ist – aus europäischer Sicht zum Beispiel Südostasien – desto eher setzen sich Mitarbeiter mit kulturellen Unterschieden auseinander. Stammt das Gegenüber jedoch aus einer geografisch nahe gelegenen Region, vielleicht gar aus einem Nachbarland, oder sieht ähnlich aus wie Menschen aus dem eigenen Kulturkreis, wird kulturelle Ähnlichkeit angenommen. Dies gilt aus europäischer Sicht zum Beispiel für Nordamerika, Australien oder Argentinien. In diesem Fall wird wesentlich häufiger ins „Fettnäpfchen“ getreten, da der Kollege ja davon ausgeht, dass der andere ähnlich „funktioniere“ wie man selbst. Diese mangelnde Sensibilität für kulturelle Unterschiede zwischen Kollegen führt unweigerlich zu Konflikten und behindert die Entwicklung eines global agierenden Unternehmens.

Nur die Änderung von Denkmustern bringt langfristigen Erfolg

Wie soll nun eine Führungskraft mit den kulturellen Unterschieden in ihrem Team umgehen? Gilt es, im Sinne größtmöglicher Wertschätzung aller die eigene kulturelle Identität hintanzustellen? Die Antwort ist ein klares Nein. Interkulturelle Führungskompetenz bedeutet nicht, die eigene kulturelle Identität aufzugeben, sondern neutrale Rahmenbedingungen zu schaffen, die für alle Teammitglieder motivierend sind, unabhängig von Herkunft, Religion oder Ausbildung. Nicht die detaillierte Kenntnis oder gar Rücksichtnahme auf länder- beziehungsweise kulturspezifische Verhaltensmerkmale, sondern ein neutrales Verhaltensmuster der Führungskraft gegenüber allen Teammitgliedern ermöglicht ein kooperatives und lernendes Teamumfeld. Der Schlüssel zum Erfolg liegt darin, alte Denkmuster aufzubrechen, Vorurteile zu vermeiden oder abzubauen und ein für alle transparentes, motivierendes Arbeitsumfeld zu schaffen.

Lediglich im Trainingsbereich ist es nach unserer Erfahrung oft ein probates Mittel, zum Beispiel nach Dienstalter, Ausbildungsgrad, Geschlecht oder Religion zu differenzieren, um einen optimalen Lernerfolg für alle Teilnehmer zu gewährleisten. Vor allem am Beginn eines Trainings ist die Aufteilung in„monokulturelle“ Lerngruppen manchmal unumgänglich, um kulturelle Unterschiede und damit unterschiedliche Erwartungshaltungen sowie Arten der Zieldefinition oder der Abwicklung bewusst zu machen und zu erklären. Damit ist es möglich, Blockaden und negative Emotionen abzubauen, die die Ergebnisqualität beeinträchtigen oder gar zum Scheitern des Projekts führen.

Hauptursachen für defizitäre Teamkulturen
  • angenommene Gemeinsamkeiten: Alle denken so wie wir!
  • Vorurteile, vorgefertigte Meinungen: Die sind alle gleich!
  • Bewertungen: Bei uns läuft das so und besser!
  • Polarisierungen: Entweder so wie wir … oder gar nicht!
  • Unsicherheit und Angst vor Fehlern: Maybe, will try, could be, vielleicht, eventuell

Interkulturelle Problemlösungskompetenz

In einem multikulturellen Team ändert sich der Zugang zur Ausgangssituation. Die Vielfalt an Perspektiven schafft eine deutlich höhere Problemlösungskompetenz mit wesentlich besseren Ergebnissen. Allerdings gilt es für die Führungskraft, interkulturelle Fallen – Bewertungen und Vorurteile aufgrund unterschiedlicher Herangehensweisen – zu vermeiden. Beispiele: Investieren die einen viel Zeit in den Analyse- und Planungsprozess, verlassen sich andere lieber auf praktische Erfahrung durch Ausprobieren und wollen ohne viel Planung möglichst schnell in den Umsetzungsprozess, im Laufe dessen sich die Lösungen schon ergeben werden. Dies führt zu Bewertungen wie „perfektionistisch“, „unflexibel“, „planungsunfähig“. Während die einen selbstverständlich laufend über den Projektstatus informieren, halten andere Kommunikation nur dann für notwendig, wenn gefährdet sein könnte, dass das Ziel erreicht wird. Häufige Bewertungen sind dafür „Wichtigtuer“ und „arrogant“. Während die einen den gemeinsam beschlossenen Vorgehensplan nur im äußersten Notfall ändern, nutzen andere kontinuierlich alle auftauchenden Verbesserungsmöglichkeiten. Letztere sehen im Fehler eine Chance, erstere ein Planungsmanko, das am besten vertuscht werden sollte.

Hier lautet die Vorgabe für die Führungskraft, die Planungs- und Handlungsorientierung für jeden Kulturkreis des Teams klar zu beschreiben, um Missverständnisse bereits im Vorfeld möglichst zu vermeiden. Die „Spielregeln“ sollen gemeinsam definiert werden, um den Gesamtprozess nicht zu gefährden.

Interkulturelle Führungskompetenz

Im Bereich der Teamführung existieren je nach Kulturkreis unterschiedlichste Ansätze. Für manche Kulturkreise ist der Fachexperte die optimale Führungskraft, in anderen kommt der beste Koordinator als Teamleader zum Einsatz, da er die fachlichen Ressourcen der Teammitglieder am besten nutzen kann. Wird hier vom Teamleader erwartet, sich laufend in die Abwicklung einzubringen, wird dort genau dies als Führungsschwäche interpretiert. Mitarbeiter in Entscheidungsprozesse einzubinden wird hier als mangelnde fachliche Kompetenz ausgelegt. In anderen Kulturkreisen gilt dies hingegen als Führungsstärke und ist als wichtiger Um- und Durchsetzungsfaktor klar positiv belegt.

Um die interkulturelle Kompetenz des Teams zu nutzen, muss die Führungskraft reflektives Verhalten zeigen, greifbar sein und einoffenes, wertschätzendes Feedback-Klima prägen. Sie darf eventuelle Unsicherheit nicht hinter hektischer Geschäftigkeit verstecken und sollte auf keinen Fall den Fehler begehen, sich der kulturellen Vielfalt der Teammitglieder nicht zu „stellen“. In diesem Fall wird das Team innerhalb kürzester Zeit in Untergruppen aufbrechen, und Synergieeffekte, Innovation, Abwicklungsgeschwindigkeit und so weiter gehen schneller verloren, als die Führungskraft dies wahrnimmt. Das Führungsverhalten an die dominierende Subgruppe anzupassen wäre ein Ausdruck der Resignation oder gar Unterwerfung. Stattdessen ist Authentizität gefragt. Gepaart mit interkultureller Sensibilität kann die Führungskraft eine produktive Arbeitsatmosphäre schaffen und Synergiepotenziale im Sinne des Diversity Management ausschöpfen.

Internationale Meeting-Kultur

Der Detaillierungsgrad einer Besprechung ist stark kulturabhängig. Werden Ideen erwartet, ist die Kommunikation interaktiv, wird der Mitarbeiter in Entscheidungsprozesse eingebunden, wie detailliert sollte die Vorbereitung sein, ist Widerstand willkommen? Oder handelt es sich um eine Kultur der Befehlsausgabe, Machtbehauptung, des Diskussionsverbots und der Bestrafung bei Nichterreichen von Zielen? Letzteres entspricht den Gepflogenheiten vieler Kulturkreise und wird häufiger als normal erachtet, als wir Zentraleuropäer glauben.

Missverständnisse und innere Konflikte, das heißt, der Mitarbeiter weiß nicht, wie er sich verhalten darf oder soll, resultieren aus einer unzureichend definierten Erwartungshaltung von Seiten der Unternehmensleitung. Die klare Positionierung von interkulturellen Themen im Unternehmensleitbild und das Leben dieser Werte in allen Kontaktsituationen bewirken hier schnell erkennbare Verbesserungen in der Unternehmenskultur.

Ein Begleiteffekt authentischer Teamführung ist, dass Unternehmen durch Sensibilisierung ihre Erfolgschancen im internationalen Kundenmarkt steigern. Auslandsvorhaben scheitern selten am Produkt, aber oft am interkulturellen Unwissen der unmittelbar mit lokalen Partnern und Kunden in Kontakt stehenden Mitarbeiter.

Negative Einflussfaktoren,
Auswirkungen und Ursachen
  • mangelnder Respekt durch vorauseilende Anpassung
  • verletzter Stolz durch vergleichende Diskussionen und Politisierung
  • Unterstellungen durch stille Zustimmung zu Negativäußerungen
  • falsche Entscheidungen durch Nichterkennen des umschriebenen „Neins“
  • Kulturproblem durch unterschiedliches Verständnis von Führung, Zeit,
    Planung, Hierarchie
  • Beeinträchtigung der Beziehungsebene mangels Kenntnis neutraler Verhaltensmuster

Coaching, Beratung und Training

Weiterbildungsmaßnahmen, die auf die Anpassung an Denk- und Verhaltensmuster fremder Kulturkreise abzielen, haben bisher in der Umsetzung keine Nachhaltigkeit gezeigt. Das Bewusstmachen der eigenen kulturellen Identität ist hier eindeutig zielführender. Die Mitarbeiter müssen anhand von praktischen Beispielen erfahren, welche Auswirkungen ihre Denkmuster, ihre Entscheidungen und ihr Verhalten auf Menschen anderer Kulturen haben. Nur dann werden sie ihre Einstellung im Sinne eines echten Team- oder Partnergedankens ändern, wird es gelingen, Verständnis- und Kooperationsprobleme zu vermeiden und Irritationen abzubauen.

Es genügt nicht, Mitarbeitern als Vorbereitung auf den Kontakt mit einer fremden Kultur die jeweilige Sprache beizubringen. Mitarbeiter, die ins Ausland entsendet werden, um lokale Teams zu führen, oder Mitarbeiter, die im Heimatland für multikulturelle Teams verantwortlich zeichnen, müssen primär ihre eigenen Verhaltensmuster kennen und verstehen, bevor sie sich mit bisher unbekannten Kulturen auseinandersetzen. Bewertungen und Verallgemeinerungen sollten dabei möglichst vermieden oder abgebaut und durch neutrale Denkmuster ersetzt werden. Das Credo sollte lauten: „Ich passe mich nicht an, sondern ich gehe auf den anderen ein.“ Wir wollen nicht den kleinsten, sondern den entscheidenden gemeinsamen Nenner finden und nutzen.

Performance Management im Kontext „Ehre und Ansehen“

Durch öffentliche Kritik verlieren Mitarbeiter Ehre und Ansehen nicht nur im Kollegenkreis, sondern auch in ihrer Familie. Bei vielen Teams mit einem hohen Anteil an Mitarbeitern mit Migrationshintergrund haben wir beobachtet, dass diese Mitarbeiter alles daran setzen, Fehler zu vertuschen, um eine Rüge durch die Führungskraft zu vermeiden. Dieses Problem tritt jedoch nicht primär im Ausland auf, sondern vor allem bei Führungskräften multikultureller Teams im Inland, und wirkt sich massiv auf die Team-Performance aus. Hier erkennen wir zu oft, dass Führungskräfte ihre Mitarbeiter praktisch zur Bildung destruktiver Subgruppen zwingen.

Change Management

Was behindert die Umsetzung von Veränderungsprozessen? Sie scheitern in der Regel nicht am Mangel an Ideen, sondern an kulturellen Problemen, zum Beispiel persönlichen Einstellungen, Machtspielen, Widerständen und Ängsten. Nur eine Führungskraft, die klar zwischen Kultur und Struktur trennt, hat Aussicht auf Erfolg. Gute Ideen sind wichtig, aber Ideen ohne effiziente Umsetzung sind Verschwendung.

Genau hier steckt die Herausforderung für alle Bereiche der interkulturellen Teamarbeit: Beschlossene Maßnahmen können langfristig nur in einer für alle Mitglieder motivierenden Teamkultur erfolgreich umgesetzt werden, die kontinuierlich von der Führungskraftgepflegt wird.


Erstveröffentlichung im personal manager 2/2011