Ein Neubeginn mit Kleingedrucktem

Krank im Urlaub
Krank im Urlaub

“Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne” schrieb schon Hermann Hesse. Diesen Zauber nutzen allerdings immer weniger Unternehmen. Sie fahren mit “gebremstem Schaum”- indem sie – neben der Option einer Probezeit – eine weitere Stellschraube der Flexibilität einbauen: den befristeten Arbeitsvertrag.

Begründete Befristungen und Befristungen ohne Sachgrund

Jede Befristung hat für das Unternehmen einen Grund. Begründete Befristungen kann jeder sofort nachvollziehen: Elternzeitvertretungen, Krankheitsvertretungen, Betriebsumstellungen – hier gibt es viele gute Gründe, eine Befristung auszusprechen. Dennoch nehmen auch befristete Beschäftigungsverhältnisse “ohne Sachgrund” zu. Besonders unsichere Konjunkturlagen, Testläufe neuer Produkte und Projekte – doch auch schwankende Vertriebszahlen, deren “Kurs” sehr von äußeren Umständen abhängt, wollen aufgefangen werden. Und gerade bei “Quereinsteigern” argumentiert man gerne mit Branchenfremdheit. Das Befristungsargument ist verführerisch, sollte jedoch hinsichtlich eines gezielten Talentmanagements nicht zu sehr ausgereizt werden.

Befristung selten frei gewählt

Könnten sie wählen, würden Arbeitnehmer eher flexible Beschäftigungs- und Arbeitszeitmodelle akzeptieren, als die Unsicherheit einer Befristung. Dafür gibt es auch Zeitarbeit, Projektverträge, Werkverträge, Selbständigkeit etc. Wer als Angestellter arbeitet, möchte irgendwann wissen, woran er ist und ob er ankommen darf. Außer, er plant von vorneherein diese Arbeit als Lernerfahrung und Sprungbrett ein – dies umso mehr, je jünger er ist. Doch wenn Sie erkennen, dies ist ein Nachwuchstalent, das wir halten wollen, müssen Sie Ihrem Talent von Anfang an gezielt begegnen. Hören Sie darauf, warum er zu Ihnen gekommen ist – und ob sich das für ihn bewahrheitet hat. Und bieten Sie ihm Perspektiven: In dem Konzept Perspektive steckt Bewegung drin – nach oben – auf die nächste Karrierestufe hin – und nach vorne – in die Zukunft.

Befristung bei Arbeitnehmern unbeliebt

Schon 2010 schildert Rainer Spies in seinem Artikel (monster.de), dass „fast 50% aller Neueinstellungen der Unternehmen inzwischen befristet erfolgen würden – in manchen Branchen sogar über 70%.“ Dem entgegen steht ein verschwindend kleiner Anteil an 2,5 % der Arbeitnehmer, die eine Befristung tatsächlich auch wünschen. Fest steht, dass, so Tanja Tricarico 2011 in ihrem Artikel „Zeitverträge die befristete Generation“, dass  „einer Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) zufolge allein bei den 20 bis 25-Jährigen jeder Vierte einen Vertrag auf Zeit hat, bei den 25 bis 35-Jährigen ist es mindestens jeder Zehnte.

Die jungen Talente im Alltag verbrennen

Mehr als 2,7 Millionen Menschen arbeiten in Deutschland mit befristeten Verträgen. Die vorherrschenden Branchen: Zu 60% der Gesundheits- und Dienstleistungssektor, der öffentliche Sektor, gemeinnützige Arbeit, Schulen und wissenschaftliche Einrichtungen – also genau jene Institutionen, die eigentlich mit ihrem Einsatz für soziale, bildungs- und gesundheitsbezogene Qualitätssicherung und Stabilität sorgen sollen – werden unsicheren Beschäftigungsverhältnissen sowie wechselnden und unberechenbaren Arbeitsbedingungen ausgesetzt.

Und das, obwohl den Firmen die Instabilität und das Risiko unterschiedlicher Beschäftigungs- und Entlohnungsverhältnisse für häufig gleiche Arbeit selber bewusst sind: So sagte im monster-Artikel Rudolf Kast, Personalchef bei Sick: “Um die soziale Schere nicht weiter auseinanderklaffen zulassen, verzichten wir weitgehend auf Leiharbeit“. Nicht umsonst gelten befristete Beschäftigungsverhältnisse als „solche zweiter Klasse“. So nimmt es einen nicht Wunder, dass zumindest „kurzfristig das Risiko der Arbeitslosigkeit bei befristet beschäftigten Arbeitnehmern deutlich höher ist“, so die Untersuchung von Bernhard Bockmann, wissenschaftlichem Geschäftsführer des Instituts für Angewandte Wirtschaftsforschung (IAW) (Tübingen) im gleichen Artikel.

Loyalität braucht Zeit und Perspektive

Gerade weil vor allem Berufseinsteiger heute kaum noch unbefristete Verträge erhalten und es 2017 immerhin noch rund 2,5 Millionen befristet Beschäftigte lt. Statistischen Bundesamtes gab, sind die Auswirkungen auf Arbeitsmotivation, Zukunftsperspektive, Loyalitäts- und Zugehörigkeitsgefühl und damit zusammenhängende Leistungsbereitschaft und –fähigkeit sowie Stabilität des sozialen Hintergrundes und des Privatlebens der Unternehmensneulinge mehr als gravierend.

Familienprogramme im Unternehmen? Können gar nicht greifen

Wer plant heute eine Familie, schmiedet längerfristige Lebenspläne (inkl. Familiengründung) und schließt verbindliche Verträge ab (Miete, Immobilien-, Autoleasingraten, Vereinsmitgliedschaft etc.), wenn er bei einem Jahresvertrag spätestens drei Monate vor Ablauf zur Arbeitsagentur muss, um sich „arbeitssuchend“ zu melden, um keine Bezugssperre zu riskieren? Wer konzentriert sich auf Kundenprojekte, wenn er im Hinterkopf schon die nächste Bewerbung formuliert? Wer fühlt sich geschätzt und respektiert – und gibt das dem Unternehmend entsprechend wieder zurück – wenn gleichzeitig erwartet wird, dass er in den nächsten Wochen seinen Tisch leerräumt für den Neuen, der bereit ist, diese Arbeit für einen noch geringer dotierten Vertrag zu machen…- oder man dies zumindest indirekt in dern Raum stellt…

Vorteile überwiegend für Arbeitgeber – jedoch nur für kurzfristig geplante Ziele

Zusammenfassend kann man sagen: Befristete Arbeitsverhältnisse bieten in aller Regel lediglich Arbeitgebern Vorteile, und das auch nur dann, wenn das Unternehmen eher auf kurzfristige Ziele setzt und nicht auf langfristig angelegte Ziele wie Talentmanagement oder positive Unternehmenskultur. Mitarbeiterzahlen können damit beliebiger und flexibler an- oder absteigen, abhängig von den Vertriebszahlen. Risikobehaftete Pläne und Unternehmensstrategien verlieren an Schrecken und lassen sich leichter “durchziehen”, wenn man Verträge einfach auslaufen lassen kann und sich Kündigungen und entsprechende Kündigungsklagen spart. Ob diese Rechnung wirklich aufgeht, sei dahin gestellt.

Denn sie blutet auch die Kraft der Bestandsbelegschaft aus, die diese Fluktuationen mittragen muss. Doch da heute die meisten als langfristig bezeichneten Wirtschaftsplanungen ohnehin nur noch für ein Jahr – maximal zwei Jahre (so lange, wie die Befristungen verlängert werden dürfen) formuliert werden, ist es leichter, diesen Sachverhalt für eine gewisse Zeit auszublenden.

Die Generationenfalle ohne “Generationenvertrag”

Tanja Tricarico zitiert Peter Klinter Referatsleiter Arbeitsrecht beim DGB-Bundesvorstand: „Eine ganze Generation ist betroffen“. Wobei die mit Sachgrund begründeten Befristungen wie Krankheits-, Urlaubs- und Elternzeitvertretungen und Umstellungsprozesse, für die anderen Mitarbeiter leichter nachzuvollziehen sind und meistens sogar willkommen sind, weil sie Entlastung bieten. Schlechter nachvollziehbar ist für viele hingegen die Zunahme der Befristungen „ohne Sachgrund“ inklusive der Maßnahmen, die dazu dienen, die Kontrollen, die der Gesetzgeber gegen zu häufige Befristungswiederholungen ausgesprochen hat, mit Vertragsänderungen oder Abteilungsumbesetzungen u.U. zu umgehen.

Fazit: Befristungen sind Gift für effektives Talentmanagement. Unsicherheit ist keine sichere Arbeits- und Motivationsgrundlage. Sie schadet der langfristigen Betriebssicherung, dem Betriebsfrieden und der existenzsichernden langfristigen Arbeitsperspektive und Leistungsfähigkeit der Kandidaten. Und sie erschwert dem HR eine effektive Arbeit. HR wird damit zu einem reinen Krisenmanagement und Verwaltungsakt – professionelles Talentmanagement braucht eindeutig fruchtbareren Boden.