Da ist Karl X, ein Mann Mitte 40, verheiratet, 2 Kinder. Er ist seit Jahren im mittleren Management einer grossen Bank tätig. In der Auswertungsrunde nach einem unserer Seminare erzählt er freimütig von seiner Erfahrung: Es sei ihm bisher gelungen, Mitarbeitergespräche zu führen, ohne sich auf die Mitarbeiter einzulassen. Dabei habe er zugehört ohne zu hören, er habe hingesehen ohne zu sehen und beim Mitarbeiter Dinge vermutet, die in Wirklichkeit gar nicht existierten. Das Ergebnis eines solchen Gespräches ist für beide Seiten frustrierend. Dies liegt daran, dass der Chef letztendlich nur sagt, was er immer schon gesagt hat und nur erfahren hat, was er immer schon gewusst hat: der Mitarbeiter, die Mitarbeiterin ist im Allgemeinen zufrieden und entspricht im Grossen und Ganzen den Erwartungen. Und nun gab Karl seine neu gewonnene Einsicht bekannt: In Zukunft wolle er sich vor dem Gespräch Zeit nehmen, den Computer herunterfahren, sich etwas zurücklehnen, einige Male tief durchatmen und so, wach und offen, das Mitarbeitergespräch beginnen.

Was Karl mit den Jahren gewonnen hat, nennen wir eine umfassende Intelligenz. Diese kennt nicht nur den mentalen Aspekt und damit das notwendige Know-how für den Beruf. Sie nimmt ebenso die emotionale Seite ernst, also die Fähigkeit auch non-verbal zu kommunizieren, und nicht zuletzt die spirituelle, welche die Eintagsfliegen-Mentalität endgültig hinter sich lässt. Alle drei Formen der Intelligenz erlauben es uns, das Ganze zu sehen und entsprechend zu handeln.

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Gute Führung braucht alle Formen der Intelligenz: IQ, EQ und SQ

Die Fähigkeit zu unterscheiden und logisch zu denken, ist eine wichtige Frucht der Evolution. Doch diese mentale Intelligenz, die René Descartes mit dem Satz „Ich denke, also bin ich“ auf den Punkt gebracht hat, ist einseitig entwickelt. Sie wuchert heute wie ein Parasit auf Kosten anderer Fähigkeiten, die für das Leben und Wirken – auch als Führungskraft - ebenso notwendig sind: die emotionale und die spirituelle Intelligenz. Die erforderliche Haltung erschöpft sich deshalb nicht im objektivierenden, rationalen Denken und im Haben-Wollen, sondern bewegt sich vom Haben zum Sein, vom Kopf zu einem ganzheitlicheren Wahrnehmen. Nicht „Kopflosigkeit“ ist dabei das Ziel, sondern die Ergänzung des mentalen Bewusstseins durch die Kräfte unseres Gemüts.

Spätestens seit Daniel Golemans Untersuchungen zur Emotionalen Intelligenz (Daniel Goleman, Emotionale Intelligenz, München 1996) wissen wir, dass auch das gefühlsmässige Erleben eine Form der Erkenntnis ist. Heute sind Führungskräfte gefragt, die über eine Verbindung von mentaler (IQ) und emotionaler (EQ) Intelligenz verfügen. Deshalb sollten Führungskräfte auch lernen, ihre Ängste, Sorgen, Sehnsüchte und Hoffnungen, ja auch ihre Träume zuzulassen.

Neben dem IQ und dem EQ wird in Zukunft noch ein anderes Q im Anforderungsprofil einer Führungskraft eine zentrale Rolle spielen, der SQ: die Spirituelle Intelligenz. Diese dritte Form der Intelligenz lässt uns Zusammenhänge sehen, neue Möglichkeiten des Denkens und des Seins entwickeln und Sinn erfahren (Donah Zohar, Ian Marshall, SQ, Spirituelle Intelligenz, Scherz Verlag, Bern, München, Wien 2000).Alle drei Formen der Intelligenz sind Aspekte der einen menschlichen Fähigkeit, sich und die Welt zu sehen, zu verstehen und zu gestalten. Die Verbindung dieser Formen der Intelligenz, die alle anderen Intelligenzformen inklusive der sogenannten „Körperintelligenz“ einschliesst, ermöglicht gute Führungsarbeit.

Beispiel II: Paula Y, Anfang 40, Geschäftsleiterin und Inhaberin einer Softwarefirma. Sie praktiziert seit Jahren Zen. Im Wissen, dass Kreativität für die Firma der beste „Rohstoff“ ist, richtete sie neben dem Grossraumbüro einen schlichten Meditationsraum ein. Nach einer gewissen Anlaufzeit wurde es den meisten ihrer Mitarbeitenden zur Gewohnheit, sich neben der Kaffeepause auch eine Zeit der Stille zu gönnen. Diese Zeit scheint gut investiert zu sein, denn kultivierte Stille lässt nicht verblöden, sondern verändert das Bewusstsein und erweitert den Horizont. Anders gesagt: Wer bei sich ist, ist ganz anders bei der Sache und bei den Mitarbeitenden. Er oder sie erfährt, dass wir bei aller Verschiedenheit im Grunde Eins und gleichzeitig einzigartig sind.

Solche Menschen, die sich kultivierte Zeiten der Stille gönnen, erweitern ihre Intelligenz und haben eine hohe Führungskompetenz: Sie geistern nicht in den Zeiten herum, die ihnen nicht gehören wie Zukunft oder Vergangenheit, sondern sind ganz wach und voll da. Sie sind präsent. Und wer präsent ist, ist ein Präsent für die Mitarbeitenden. Diese spüren ganz genau, ob der Chef oder die Chefin nur physisch da ist oder ganz und gar.

Wichtig für Führungskräfte ist unseres Erachtens, was sich frei nach dem Weisen Maha Ghosananda so ausdrücken lässt: Achte auf Deine Gedanken, sie werden zu Deinen Worten. Achte auf Deine Worte, sie werden zu Deinen Taten. Achte auf Deine Taten, sie werden zu Deiner Gewohnheit. Achte auf Deine Gewohnheit, sie wird zu Deinem Schicksal. Achte auf Dein Schicksal, es wird zum Schicksal der anderen, ja, zum Schicksal der ganzen Welt. Denn wir sind auf Gedeih und Verderb aufeinander verwiesen.