Herr Grundl, die Wirtschaftskrise hat viele Unternehmen erfasst. Spüren Sie die Auswirkungen bei Ihrer Arbeit als Trainer und Coach?

four people watching on white MacBook on top of glass-top table
Foto von Mimi Thian

Ja, der Druck auf die Führungskräfte hat zugenommen und sie erwarten von Weiterbildungen konkrete Werkzeuge, mit denen sie effektiver arbeiten können. Viele müssen in kurzer Zeit ihre Ergebnisse verbessern. Andere stehen mitten im Prozess des Personalabbaus. In Zeiten wie diesen ist es für Führungskräfte besonders herausfordernd, mit ihrer Sandwich- Position klarzukommen. Eine typische Fragestellung lautet: Wie kann ich angesichts des wachsenden Umsatz- und Renditedrucks von oben dafür sorgen, dass mir und meinen Mitarbeitern die Arbeit noch Spaß macht? Wie komme ich mit diesem Druck klar, der ja auch positive Aspekte hat. Denn was für die Raupe wie das Ende der Welt aussieht, ist die Geburt eines Schmetterlings. Wo liegen die Chancen dieser Krise – und was muss passieren, dass diese Chancen genutzt werden?

Was muss denn passieren? Was geben Sie den Führungskräften mit auf den Weg?

Das ist sehr unterschiedlich. Im Kern geht es darum, dass Führungskräfte ihre Kompetenzen systematisch entwickeln – und sich dabei auf einige wenige Punkte konzentrieren. Sie benötigen kein elitäres Wissen, sondern Kenntnisse, die sich grundsätzlich jeder aneignen kann.

Sie sagen, dass Führung ein Handwerk ist, das jeder lernen kann. Braucht man dazu nicht auch ein bestimmtes Talent?

Führen ist grundsätzlich erlernbar. Ich rede jetzt übrigens nicht vom Führen einer Nation oder eines Großkonzerns, denn dafür benötigen Sie schon gewisse Talentvoraussetzungen. Aber den meisten Führungskräften hilft es nicht, sich an diesen Spitzenkräften zu orientieren. Wer gerne Fahrrad fährt, kann von Lance Armstrong wenig lernen. Die Ausrichtung an Überfliegern ist falsch, denn sie demotiviert. Es ist nicht so wichtig, wie viel Talent jemand hat, sondern was er aus dem macht, was er hat.

Sie selbst haben Führen „on the job“ gelernt. Was waren für Sie die größten Herausforderungen dabei?

Die größte Herausforderung war die Arbeit an mir selbst, vor allem der Umgang mit den ganz normalen Eitelkeiten, die ehrgeizige Menschen haben. Die erste Eitelkeit ist die, dass man immer denkt, man sei der Größte und Beste, und sein ganzes Umfeld unbewusst darauf hin trainiert, einen zu bewundern. Ehrgeizige Menschen wollen die Scheinwerfer auf sich gerichtet haben und keinesfalls ersetzbar sein. Sie wollen nach einem zweiwöchigen Urlaub von ihren Mitarbeitern hören: „Gott sei Dank, bist du wieder da! Ohne dich sind wir nicht zurechtgekommen“. Sie haben mehr Interesse daran, ihre eigenen Fähigkeiten herauszustellen, als daran, zu erkennen, wie toll andere Menschen sind, welche Potenziale sie haben und wie man sie entwickeln kann. Sie haben Schwierigkeiten, von sich selbst abzulassen – und suchen draußen immer Leute, die so sind wie sie selbst. Daher sind sie oft unfähig, Vielfalt als Chance zu sehen. Diese ganzen Eitelkeiten habe ich selbst durchlebt. Ein Unfall veränderte das Leben von Boris Grundl grundlegend. Als Student fuhr er mit einem Freund nach Mexiko, sprang von einer Felsklippe und brach sich beim Aufprall die Wirbelsäule. Seitdem ist er zu 90 Prozent querschnittsgelähmt. Doch Grundl gab sich nicht auf, sondern beendete sein Sportstudium und machte Karriere als Produktmanager, Außendienstleister und schließlich Marketing- und Vertriebsdirektor eines europäischen Konzerns. Heute ist er ein gefragter Managementtrainer, Coach, Autor und Inhaber der Grundl Leadership Akademie.

Das heißt, wer andere führen will, muss zunächst persönliche Eitelkeiten abstreifen?

Ja, aber je höher die Leute kommen, desto stärker entziehen sie sich dieser Selbstreflexion. Viele sind unfähig, sich einzugestehen, dass sie sich noch entwickeln könnten und müssten. All das kenne ich von mir selbst. Diese Eitelkeiten bezüglich Macht, Status und dem Streben nach Bewunderung. Oder auch Harmoniesucht, die einen dazu verleitet, Themen nicht anzusprechen, weil man sein Gesicht wahren will und Angst hat, dass die Leute nachtragend sind. Der Versuch, sich im Job unverletzbar zu geben, weil man unverarbeitete Verletzungen mit sich herumträgt. All diese Befindlichkeiten stehen einer wirkungsvollen Führung im Weg. Wer dagegen an sich arbeitet und lernt, sich zurückzunehmen, wird als Menschenentwickler richtig stark – und außerdem ruhiger. Selbstführung ist die Grundlage jeder Führung. Es gibt keinen anderen Weg.

Stichwort Selbstführung. Vor 18 Jahren hatten Sie einen schweren Unfall und sind seitdem zu 90 Prozent querschnittsgelähmt. Wie haben Sie sich damals selbst aus der Krise geführt?

Ich habe mir irgendwann klargemacht, dass mein Gehirn noch funktioniert – und fing an, den Entwicklungsprozess, der auf den Unfall folgte, als spannende Reise zu begreifen. Früher habe ich das Abenteuer draußen gesucht, zum Beispiel beim Fallschirmspringen, Marathonlaufen oder Tauchen. Nach dem Unfall verkehrte sich das nach innen. Ich habe meine persönliche Entwicklung als Abenteuer begriffen. Eine Krise ist letztlich nichts anderes als Enge. Und als Reaktion auf das Erleben dieser sehr großen Enge habe ich besondere Fähigkeiten entwickelt.

Welche zum Beispiel?

Ich gebe Ihnen ein konkretes Beispiel: Es gibt nicht viele Wege, die ich mit dem Rollstuhl nehmen kann. Durch die Stadt führt genau ein Weg, der sich eignet. Daher muss ich diesen Weg gehen und darf mich nicht von anderen ablenken lassen. Das Ein- und Aussteigen in ein Auto ist mühsam. Wenn ich im Wagen merke, dass ich etwas vergessen habe, ist es eine Riesenaktion, wieder auszusteigen. Sprich: Ich muss viel besser planen als andere und mental sehr diszipliniert sein. Das wiederum führt zum Beispiel dazu, dass ich im Markt Wege sehe, die andere unter Umständen nicht sehen. Außerdem habe ich die Fähigkeit entwickelt, Krisensituationen zu meistern – erst bei mir selbst, aber später auch bei anderen.

Sind Sie nicht auch ungeduldiger geworden gegenüber anderen, denen es schwerer fällt, sich selbst aus einer Krise zu ziehen?

Da treffen Sie einen wunden Punkt bei mir. Ich bin durch meine Lebensgeschichte und den zunehmenden Bekanntheitsgrad für viele die wandelnde Endstation aller Ausreden. Man könnte meine Erfahrungen zwar als nette Rolligeschichte abtun und sagen: „Schön, wie der sein Leben meistert.“ Aber im direkten Kontakt mit mir funktioniert das nicht, weil ich ein ziemlich fordernder Typ bin und die Leute direkt frage: „Was machst du aus deinem Leben?“ Die meisten Aussagen sind eben Ausreden und die kann ich sehr schnell entlarven. Die Menschen begeben sich gerne in die Opferrolle und geben die Verantwortung ab. Da bin ich oft etwas ungnädig.

In „Leading Simple“ beschreiben Sie fünf Prinzipien von Führung. Mit welchen haben Unternehmen Ihrer Erfahrung nach die meisten Probleme?

Eigentlich können sie mit allen fünf Prinzipien der Führung Probleme bekommen. Sie funktionieren wie Elemente eines Motors, die ineinander greifen. Das erste Führungsprinzip ist die bewusste Übernahme von Verantwortung für die Entwicklung der Mitarbeiter. Diese Verantwortung kann nur übernehmen, wer – wie schon beschrieben – seine persönlichen Eitelkeiten zurückstellt und weiß, wie Menschenentwicklung geht. Die folgenden Prinzipien beschreiben, wie wir Mitarbeiter am besten entwickeln.

Könnten Sie diese noch genauer beschreiben?

Eine wirkungsvolle Führungskraft konzentriert sich beispielsweise auf die Stärken der Mitarbeiter. Produkte können wir verbessern, indem wir Fehler abstellen. Menschen können sich nur entwickeln, wenn sie sich auf ihre Stärken konzentrieren. Fehlerorientierte Vorgesetzte sind daher womöglich gute Produktentwickler, werden aber nie gute Führungskräfte. Ebenfalls wichtig ist das Prinzip Boris Grundl, Keynote-Speaker, Trainer und Coach der Ergebnisorientierung. Führungskräfte, die ergebnisorientiert handeln, regen ihre Mitarbeiter an, über die Wirkung ihrer Arbeit nachzudenken und laufend zu fragen: „Wohin führt uns das? Wie sieht unser Ergebnis aus?“ Da gute Ergebnisse nur unter bestimmten Rahmenbedingungen entstehen, besteht ein weiteres Prinzip im Schaffen eines guten Betriebsklimas. Führungskräfte sollten sich allerdings nicht von Mitarbeitern erpressen lassen – frei nach dem Motto „Wenn du das tust, vergifte ich dir das Klima“. Stattdessen sollten sie – und damit sind wir beim letzten Prinzip – Vertrauen schaffen. Das ist gar nicht so schwer. Denn es geht im Wesentlichen darum, transparent, berechenbar und nachvollziehbar zu handeln.

Klingt einfach, ist es aber in der Praxis sicher nicht.

Nein, denn es bedingt auch, dass ich mich als Mensch öffne, ansonsten kann ich kein Vertrauen aufbauen. Das heißt aber auch, dass ich Gefahr laufe, verletzt zu werden. Viele Menschen in Machtpositionen haben keine Lust auf emotionale Nähe, weil sie in der Vergangenheit zu sehr enttäuscht wurden. In solchen Unternehmen herrscht ein niedriges Vertrauensniveau, was wiederum Auswirkungen auf das Klima und die Menschenführung hat. Sie sehen, wie schlecht die Prinzipien der Führung zu trennen sind. Es ist genau wie bei einem Motor. Für den Antrieb ist der Kolben wichtig, aber die Zündkerze auch.

Interview: Bettina Geuenich

Veranstaltungstipp

Boris Grundl ist Keynote-Speaker auf der Personal Austria, die am 11. und 12. November im Austria Center Vienna stattfindet. Weitere Informationen zur Fachmesse für Entscheidungsträger im Personalwesen finden Sie unter www.personal-austria.at.


Literaturtipp

Leading Simple: Führen kann so einfach
sein. Von Boris Grundl und Bodo Schäfer,
4. Aufl., Gabal Verlag 2009.

Quelle: personal manager 4/2009