Der allgemeine Bedarf an Weiterbildung steigt angesichts von Globalisierung und wachsendem Innovationsdruck stetig an. Dieser erhöhte Bedarf fällt zusammen mit der Alterung der Belegschaften. Beschäftigte gehören zunehmend in einem Alter zur Zielgruppe von Personalentwicklung und Weiterbildung, in dem sie bislang kurz vor der Verrentung standen. Zugleich hat sich die Weiterbildung in den 1990er-Jahren vom „Training“ zum „Lernen“ verlagert. Im Zuge dessen ist informelles Lernen zu einer der am häufigsten genutzten Weiterbildungsformen geworden.

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Foto von You X Ventures

Informelles Lernen läuft in der Regel außerhalb traditioneller Seminarformate ab, zum Beispiel als E-Learning, in Qualitätszirkeln, durch Besuch von Fachtagungen und wird in erster Linie von den Beschäftigten selbst geplant und strukturiert. Es verlangt eine spezifische Lernkompetenz. Diese ist nicht auf bestimmte Fachgebiete beschränkt und umfasst mehrere Ebenen, wie etwa die Ermittlung des eigenen Lernbedarfs, die Auswahl geeigneter Lernstrategien und die Kontrolle des eigenen Lernfortschritts.

Die Kompetenzebenen sind im Sinne einer Kompetenzpyramide hierarchisch aufeinander bezogen: Die Beherrschung vielfältiger Lerntechniken (etwa Mind Mapping, Visualisierung) alleine ist keine Grundlage für Lernerfolg. Diese ist erst gegeben, wenn das Fundament der Lernorientierung steht, also die Überzeugung von Lernenden, dass Weiterbildung eine Aktivität ist, die sie selbst gestalten und auf ihre beruflichen Lernbedürfnisse abstimmen können.

Lernkompetenz ist kein „Talent“, sondern eine lern- und trainierbare Fertigkeit. Sie kann durch gezielte Personalentwicklung und ein stimmiges betriebliches Umfeld mit förderlichem Lernklima aufgebaut und erhalten werden. Angesichts alternder Belegschaften stellt sich jedoch eher das umgekehrte Problem von Defiziten und Abbau der Lernkompetenz älterer Beschäftigter.

Die aktuelle Forschung zeigt klar, dass dies kaum an der vermeintlich bei Älteren nachlassenden Lernfähigkeit liegt. Diese lässt erst im achten Lebensjahrzehnt ausgeprägt nach und dies vor allem bei relativ alltagsfernen Lernaufgaben, die darauf abzielen, grundlegende Mechanismen des Gedächtnisses aufzuzeigen. Können Alltagswissen oder Expertise genutzt werden, fallen altersbedingte Unterschiede weit weniger ins Gewicht. Die Fähigkeit zum Lernen und zum Aufbau neuer Kompetenzen bleibt also zeitlebens erhalten. Unterschiede zwischen älteren und jüngeren Beschäftigten finden sich eher in den mit dem Lernen verknüpften Zielen und Bedürfnissen, als in der objektiven Lernleistung.

Allerdings geht Lernkompetenz als Folge länger dauernder Lern-entwöhnung verloren. Dies hängt nicht zuletzt damit zusammen, dass in vielen Unternehmen die Weiterbildungsteilnahme jenseits der 40 schlagartig sinkt — was Lernentwöhnung natürlich fördert. Auch herrscht für Ältere vielfach insofern ein ungünstiges Lernklima, als nicht wenige Personalverantwortliche Älteren nur geringe Lernfähigkeit und Veränderungsbereitschaft zutrauen. Derlei Vorbehalte schlagen sich bei Beschäftigten in Zweifeln an ihrer eigenen Lernfähigkeit und an der Trainierbarkeit ihrer Fertigkeiten nieder. Ein Mangel an Lernkompetenz erklärt möglicherweise auch den vielfach replizierten Befund, dass ältere Beschäftigte im Vergleich zu ihren jüngeren Kollegen schlechtere Leistungen in der berufsbezogenen Weiterbildung zeigen.

Fundiertes Wissen über den Aufbau und die Förderung der Lernkompetenz ist also von hoher Bedeutung, um die Weiterbildungsteilnahme älterer Beschäftigter zu erhöhen. Wichtig ist dabei nicht alleine die Erhöhung des Lernerfolgs im Sinne eines quantitativen Zuwachses an Wissen und Fertigkeiten. Gerade die Förderung nachhaltigen Lernens ist wesentlich. Wer Weiterbildung mangels Lernkompetenz als übermäßig beanspruchend erfährt und zugleich nur geringe Erfolgserlebnisse hat, wird seine Lernbemühungen schnell einstellen. Stagnation und Überalterung beruflicher Kompetenzen sind dann die Folge. Eine gute Lernkompetenz erlaubt hingegen effizientes und strukturiertes Lernen im Einklang mit den eigenen Lernvoraussetzungen und baut so motivationale Lernbarrieren wirksam ab.

Die Studie

 

Vor diesem Hintergrund startete in einer Online-Umfrage eine Lernkompetenzanalyse mit 489 Beschäftigten der Otto-Gruppe in den Altersgruppen 18 bis 35 Jahre, 36 bis 50 Jahre und 51 bis 65 Jahre. In einem zirka 30-minütigen Fragebogen gaben die Befragten Auskunft über ihre Nutzung von Lern- und Lernkontrollstrategien, ihre Lernmotivation und Lernvorbehalte, sowie ihre Wahrnehmung von Lernbarrieren im Rahmen der berufsbezogenen Weiterbildung. Der persönliche Lernerfolg wurde auf fünf Dimensionen erfasst, hinzu kamen Einschätzungen des Lernklimas bei der Otto Group, der Lernhaltigkeit der eigenen Tätigkeit und der allgemeinen persönlichen beruflichen Leistungsfähigkeit. Die Hauptergebnisse lassen sich in vier Punkten zusammenfassen:

In allen drei Altersgruppen gaben Beschäftigte mit höherer Lernkompetenz einen signifikant höheren Lernerfolg an als ihre Kollegen mit geringerer Kompetenz. Bei den Beschäftigten der ältesten Gruppe fiel der Unterschied im Lernerfolg am deutlichsten aus.

Lernkompetenz schlägt sich vor allem in der Fähigkeit nieder, zeiteffizient zu lernen, also die Weiterbildungsziele in der geplanten Zeit zu erreichen. Ein zweiter wichtiger Vorteil ist die Fertigkeit, die Lerninhalte im Arbeitsalltag umzusetzen. Außerdem gaben höher kompetente Lernende häufiger an, durch Weiterbildung einen guten Überblick über ihr Gebiet gewonnen zu haben.

Höhere Lernkompetenz ging mit höherer Weiterbildungsteilnahme einher, umgekehrt berichteten Beschäftigte mit geringerer Lernkompetenz größere Schwierigkeiten bei der Planung der eigenen Weiterbildung und höheren Unterstützungsbedarf.

Lernkompetenz und Lernerfolg hingen nicht unmittelbar vom Alter ab, es fand sich sogar in der ältesten Gruppe der höchste Anteil hochkompetenter Beschäftigter.

Bemerkenswert ist an diesen Ergebnissen vor allem die Altersunabhängigkeit der Lernkompetenz. Sie geht im speziellen Fall der OTTO Group auf die Tatsache zurück, dass dort Beschäftigte unabhängig von ihrem Alter regelmäßig an Weiterbildung teilnehmen. Dementsprechend hoch waren die Einschätzungen des Lernklimas und der Lernhaltigkeit der Arbeit. Im Umkehrschluss heißt dies, dass ein ungünstiges Lernklima und weniger lernförderliche Arbeit die Lernkompetenz einschränken können. Tatsächlich wiesen diejenigen Untersuchungsteilnehmer niedrigere Lernkompetenzwerte auf, die das Lernklima und die Lernförderlichkeit der Arbeit als geringer einstuften.

Eine zweite Untersuchung sollte die auf Selbstberichtsmaßen beruhenden Befunde der Lernkompetenz-Analyse objektivieren. 90 frei rekrutierte Beschäftigte aus den gleichen Altersgruppen bearbeiteten in einem E-Learning-System eine Kurseinheit zum Thema Teamentwicklung. Danach sollten die Teilnehmer ihre Leistung in einem abschließenden Wissenstest prognostizieren und die Beanspruchung durch die Lernepisode bewerten. Ähnlich wie in der ersten Untersuchung zeigten auch hier in allen Altersgruppen Teilnehmer mit höherer Lernkompetenz höheren Lernerfolg in Form besserer Leistungen im Wissenstest. Darüber hinaus fiel wie auch in der ersten Untersuchung der Unterschied zwischen den Kompetenzniveaus bei älteren Teilnehmern besonders groß aus.

Im Gegensatz zur ersten Untersuchung aber war der Lernerfolg in der ältesten Gruppe signifikant geringer als bei den jüngeren Teilnehmern. Zugleich bewerteten ältere Teilnehmer das Lernen als anstrengender als Jüngere und konnte ihre Leistung im Wissenstest deutlich schlechter vorhersagen. Dies ging mit unsystematischerem Navigationsverhalten im E-Learning einher, was auf Kompetenzdefizite in der Lernkontrolle hinweist.

Qualitative Verbesserung

Unter dem Strich zeigen die Untersuchungen, dass die Erfassung der Lernkompetenz ein wichtiger Schritt ist im Rahmen von Strategien zur quantitativen und qualitativen Verbesserung der Weiterbildungsbeteiligung älterer Beschäftigter. Regressionsanalysen zeigten, dass Lernkompetenz Lernerfolg besser erklärt als Lernklima, lernhaltige Aufgaben, oder berufliche Selbstwirksamkeit. Insofern lohnt die eigenständige Erhebung der individuellen Lernkompetenz bei der Analyse der betrieblichen Lernsituation.

Neben der Lernkompetenz gehören zur Lernsituation auch materiale (Fachdatenbanken, E-Learning-Systeme) und personale (Lernberater) Lernressourcen, sowie Klimazonen wie Lernen und Altersbilder. Eine Analyse der Lernsituation kann die Planung und Umsetzung innovativer Weiterbildungsstrategien wesentlich unterstützen.

Die Befunde lassen sich nicht zuletzt zur Konzeption von Lernkompetenz-Workshops nutzen, mit denen das Lernverhalten gezielt optimiert werden kann. Ansatzpunkt einschlägiger Trainings ist die Lernkontrolle, die sich in beiden Untersuchungen als trennscharf zwischen kompetenten und weniger kompetenten Lernern erwies. Hoher Lernkontrolle, also der Fertigkeit, angemessene Lernziele zu setzen und das Lernen im Hinblick auf diese Ziele zu steuern, kommt das größte Gewicht für den Lernerfolg zu. Darin liegt auch der Grund, dass vornehmlich auf die Vermittlung von Lernstrategien ausgerichtete Trainings und primär auf die Stärkung der Lernmotivation abzielende Trainings gleichermaßen zu kurz greifen und nur die integrierte Ansprache beider Ebenen nachhaltiges karriereweites und –langes Lernen gewährleistet.

Als praktisch nutzbares Ergebnis der Untersuchungen erproben wir gegenwärtig eine Lernkompetenz-Kurzskala, mit der sich die Lernkompetenz mit 15 Items ökonomisch und valide in wenigen Minuten erheben lässt. Damit können Lernkompetenz-Analysen künftig auch problemlos in andere Verfahren (zum Beispiel Mitarbeiterbefragungen, Assessment Centers) integriert werden.

Die Autoren:

Prof. Dr. Christian Stamov Rossnagel

Organisational Behaviour,

Jacobs University, Bremen

Michael Picard

Direktor Personal,

Otto GmbH & Co. KG, Hamburg

Prof. Dr. Sven Voelpel

Business Administration,

Jacobs University, Bremen

Quelle: PERSONAL – 4/2008