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Foto von Christin Hume
Herr Brandes, ist Kontrolle nicht eher kontraproduktiv?
Fakt ist: Vertrauen stärkt Commitment und Produktivität. Kontrolle und Vertrauen sind kein Widerspruch, sondern sie gehören untrennbar zusammen. Es kommt darauf an, dass Vertrauen nicht in Naivität umschlägt und Kontrolle nicht in Misstrauen. Kontrolle macht Vertrauen stark.

Damit sind Sie nicht weit von Reinhard K. Sprenger entfernt, der sagt: Ohne Vertrauen ist keine Führung erfolgreich.
Ja. Ohne Vertrauen ist Führung nichts. Ohne Kontrolle ist Vertrauen nichts.

Wo sind für Sie die Grenzen von Kontrolle? Gehen Unternehmen, die E-Mails überwachen, zu weit?
Eindeutig ja. Überwachung heißt: Alles wird ständig beobachtet. Das ist keine Kontrolle. Kontrolle erfolgt stichprobenartig und nimmt bewusst und absichtlich das Risiko in Kauf, nicht alles zu erfassen, was geschehen kann. Die Grenzen aller Kontrollen liegen dort, wo es sich nicht mehr um Ziele, Aufgaben und Kompetenzen des Mitarbeiters handelt. „Grenzüberschreitende“ Kontrollen sind sinnlos, da sie sich selten auf das Wesentliche konzentrieren.

Wann ist eine Kontrolle erfolgreich?
Wenn Chef und Mitarbeiter in kooperativer Atmosphäre zu neuen Erkenntnissen kommen. Wenn sie aus ihrem Kontrolldialog gelernt haben.

Heißt das, dass eine Kontrolle ohne Vertrauensbasis nicht funktioniert?
Richtig, denn es geht um die Qualität von Kontrolle als einem gemeinsamen Lernprozess. Diese Art von Kontrolle macht nur Sinn in einer Organisation mit verantwortungsbewussten Menschen, die mit möglichst vielen Freiheiten arbeiten.

Wie sollte die Umsetzung aussehen?
Kontrolle ist eine Aktion zwischen dem Vorgesetzten und seinem Mitarbeiter. Ich schlage vor, in monatlichem Rhythmus bei jedem Mitarbeiter zwei oder drei Punkte aus seinem Verantwortungsbereich im Stichprobenverfahren zu kontrollieren. Diese Kontrollpunkte können aus ganz verschiedenen Bereichen sein: Entscheidungen des Mitarbeiters, der aktuelle Stand bestimmter Zielvorhaben, die Wahrnehmung seiner Führungsaufgaben und Kontrollen gegenüber seinen Mitarbeitern, im Außendienst auch die Begleitung bei einem Kundenbesuch. Bei einer Ordnungskontrolle zum Beispiel kontrolliere ich, ob geltende Regeln eingehalten wurden. Dabei können wir dann beide sogar feststellen, dass eine Regel überflüssig und abzuschaffen ist.

Eine Ihrer Thesen zur Kontrolle heißt: Kontrolle nimmt Angst und stärkt Selbstvertrauen. Ist das wirklich so?
Wenn Kontrollen regelmäßig stattfinden, werden sie zur Selbstverständlichkeit. Der Vorgesetzte erhält eine engere Beziehung zu seinem Verantwortungsbereich und zu der Person und dem Arbeitsbereich seines Mitarbeiters. Er interessiert sich für dessen Arbeit. Für den Mitarbeiter wird der Chef berechenbar, er kennt dessen Ansichten und Einstellungen. Unsicherheiten weichen und Selbstvertrauen kann wachsen. Angst ist oft die Folge von Geheimniskrämereien und Unklarheiten. Mitarbeiter wissen nicht, wie sie beurteilt werden, wie Chefs ihre Leistungen einschätzen. So sind meine praktischen Erfahrungen. Mitarbeiter sollten Kontrolle verlangen.

Warum wird Ihrer Ansicht nach die Frage „Vertrauen oder Kontrolle?“ zurzeit so stark diskutiert? Liegt das daran, dass in den Firmen im Zuge des Personalabbaus immer mehr Misstrauen herrscht?
In manchen Unternehmen wird zu viel und falsch und in anderen gar nicht kontrolliert. In manchen Unternehmen herrscht blindes Vertrauen vor, in anderen gibt es eine Misstrauenskultur. Viele arbeiten mit ihren „Budgetkontrollen“, mit vielen Reports und Charts. Fehlende Balancen und unvollkommene Methoden führen dann zu den genannten Folgen. Dazu gehört dann auch ein oft sinnloser Aktionismus. Man meint, es müsse schnell gehandelt werden, und das Ergebnis müsse im nächsten Quartal schon sichtbar werden. Personalabbau ist dann oft der scheinbar leichtere Weg, bevor man sich die Mühe macht, Produkte und Kundenbeziehungen zu verbessern. Viele entdecken nun wieder alte Tugenden wie Vertrauen und Disziplin, und man erinnert sich an alte selbstverständliche Führungsinstrumente wie die Kontrolle.


Dieter Brandes ist als Berater für Strategie und Organisation tätig. Der Diplom-Kaufmann war Geschäftsführer von Aldi, Essen.

Interview: Daniela Furkel