Warum eine moderne Ausbildungskultur der Schlüssel gegen hohe Abbruchquoten ist
Rund 30 Prozent der Auszubildenden in Deutschland beenden ihre Lehre vorzeitig. In manchen Branchen wie Bau, Handwerk oder Pflege liegt die Quote sogar noch höher. Für die Betriebe ist das mehr als ärgerlich – es bedeutet verlorene Zeit, Kosten und Ressourcen. Doch woran liegt es? Und was können Unternehmen konkret tun, um ihre Nachwuchskräfte besser zu halten?
Zwischen Anspruch und Realität: Warum Azubis hinschmeißen
Viele Unternehmen schieben Ausbildungsabbrüche auf die jungen Leute selbst: mangelnde Belastbarkeit, fehlende Motivation, zu hohe Erwartungen. Doch der Blick in die Praxis zeigt ein anderes Bild. Laut Studien des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) geben rund 70 Prozent der Azubis betriebliche Gründe für ihre Kündigung an. Es geht um unklare Strukturen, fehlende Betreuung, schlechtes Betriebsklima – und oft schlicht darum, dass sich niemand ernsthaft für sie interessiert.
Dabei ist die Rechnung einfach: Wer als junger Mensch weder Orientierung noch Wertschätzung erfährt, verliert schnell die Lust. Die Generation Z ist mit direktem Feedback, ständiger digitaler Kommunikation und einem hohen Bedürfnis nach Sicherheit aufgewachsen. Wenn im Betrieb dann niemand zuhört, keine klaren Erwartungen formuliert oder nur halbherzige Einarbeitung stattfindet, ist der Ausbildungsabbruch oft nur eine Frage der Zeit.
Ausbildung 2025: Was junge Menschen wirklich brauchen
Die gute Nachricht: Azubis heute sind nicht unmotivierter als früher. Im Gegenteil: Sie wollen lernen, sich entwickeln und Verantwortung übernehmen – aber eben nicht um jeden Preis. Sie wünschen sich Sinn, Struktur und Beziehung.
Psychologische Sicherheit spielt dabei eine zentrale Rolle. Junge Menschen erleben aktuell eine Vielzahl gesellschaftlicher Krisen – Corona, Krieg, Klimawandel, Inflation. Das prägt ihr Denken und Handeln. Sie suchen Stabilität und Orientierung. Wer ihnen das bieten kann, gewinnt nicht nur ihre Arbeitskraft, sondern auch ihr Vertrauen.
Was es dazu braucht, ist kein riesiges Ausbildungsbudget, sondern ein Umdenken in der Haltung: Ausbildende müssen zu echten Bezugspersonen werden – zu Mentoren, nicht nur Anleitern. Menschen, die zuhören, Rückmeldung geben, fördern – und fordern.
Der Ausbilder als Schlüsselperson
Viele Ausbildungsverhältnisse scheitern nicht an der Ausbildung selbst, sondern an der Art, wie sie gestaltet ist. Oft übernehmen Fachkräfte ohne pädagogische Schulung die Einarbeitung. Sie meinen es gut, sind aber fachlich top und didaktisch blank. Das führt zu Frust auf beiden Seiten. Wenn niemand erklärt, wie man sich entwickeln kann, wenn es keine Ziele, keine Feedbackkultur und keine echte Begleitung gibt, verpufft das Potenzial.
Dabei ist wissenschaftlich belegt: Für nachhaltige Lernprozesse braucht es vor allem eines – Beziehung. Neurobiologisch betrachtet sorgt das Bindungshormon Oxytocin dafür, dass Lerninhalte überhaupt im Gehirn ankommen. Ohne stabile Beziehung gibt es kein stabiles Lernen.
Deshalb gilt: Erst Beziehung, dann Inhalt. Eine echte Verbindung – das Gefühl, gesehen und ernst genommen zu werden – ist der zentrale Hebel für Motivation und langfristige Bindung. Genau hier setzt das Konzept des Talentmentors an: Ausbilder, die nicht nur Wissen vermitteln, sondern Potenziale erkennen, fördern und junge Menschen individuell begleiten.
5 konkrete Hebel gegen Ausbildungsabbrüche
1. Struktur schaffen
Ein klarer Ausbildungsplan, verständliche Erwartungen und regelmäßige Feedbackgespräche geben Orientierung – und beugen Missverständnissen vor.
2. Beziehung leben
Wer als Ausbilder Interesse zeigt, fragt „Wie geht’s dir?“ – und es ernst meint, schafft Vertrauen. Diese Nähe ist kein Luxus, sondern Voraussetzung für Lernen.
3. Storytelling statt PowerPoint
Lerninhalte bleiben besser hängen, wenn sie mit Emotionen verknüpft sind. Geschichten, Beispiele und erfahrungsbasiertes Lernen wirken nachhaltiger als reine Faktenvermittlung.
4. Verantwortung übergeben
Wer früh Verantwortung bekommt, erlebt sich als wirksam – ein starker Motivator. Das gelingt, wenn Azubis echte Aufgaben übernehmen dürfen.
5. Digital denken – menschlich handeln
Azubis sind Digital Natives – moderne Tools, schnelle Kommunikation und flexible Lernformate gehören dazu. Aber ohne echte Beziehung bleibt auch das beste E-Learning oberflächlich.
Vom Potenzial zur Wirkung: Eine Vision von moderner Ausbildung
Stellen Sie sich vor, Ausbildungsbetriebe würden nicht nur Wissen vermitteln, sondern Kultur gestalten. Nicht nur ausbilden, sondern Menschen entwickeln. Nicht nur Fachkräfte sichern, sondern Bindung schaffen.
Was heute noch vielfach fehlt – Beziehung, Feedback, Sinn – könnte morgen der neue Standard sein. Wenn wir beginnen, Ausbildungsverantwortliche gezielt zu stärken, ihre Beziehungskompetenz auszubauen und neurodidaktische Werkzeuge in den Alltag zu integrieren, entsteht nicht weniger als ein Kulturwandel.
Und dieser Wandel wirkt – das zeigen Beispiele wie die Hotelgruppe Upstalsboom eindrucksvoll: Durch eine konsequente Ausrichtung auf Werte, Sinn und Menschlichkeit sank dort die Fluktuation signifikant, während Umsatz, Bewerberqualität und Mitarbeiterzufriedenheit deutlich stiegen.
Eine ähnliche Entwicklung ist auch in der Ausbildung möglich. Denn: 81 Prozent der Mitarbeitenden kündigen nicht, weil die Arbeit zu schwer ist – sondern weil das Umfeld nicht stimmt. Die jungen Menschen gehen nicht wegen der Aufgaben. Sie gehen wegen der Menschen.
Wenn wir an genau diesem Punkt ansetzen – an der Kultur, der Kommunikation, dem Miteinander – verändert sich nicht nur die Ausbildungsqualität. Sondern das ganze Unternehmen.
Über den Autor
Eduard Janzen ist Geschäftsführer von Ausbilderschein24 und Experte für digitale Ausbildungsmethoden. Ursprünglich als Industriekaufmann tätig, wechselte er in die Bildungsbranche und leitet seit 2020 die Weiterentwicklung des Unternehmens. Sein Fokus liegt auf innovativen Lernkonzepten, die Fachwissen mit neurodidaktischen Ansätzen verbinden. Mit seiner Erfahrung als Sprecher setzt er sich dafür ein, die betriebliche Ausbildung praxisnah und nachhaltig zu verbessern.