two men in suit sitting on sofa
Foto von Austin Distel
Herr Werner, zusammen mit Günter Bauer, der dm Österreich aufgebaut hat und heute im Aufsichtsrat von dm in Österreich sitzt, haben Sie 1963 die deutsche Jugendmeisterschaft der Ruderer im Doppelzweier gewonnen ...
Ja, das war am Bodensee. Dort bin ich in die Lehre gegangen, und Günter Bauer hat dort nach seiner Ausbildung bei Hertie gearbeitet. In dieser Zeit haben wir zusammen gerudert – und so ist er als Österreicher zu einem deutschen Meistertitel gekommen.

Haben Sie über den Sport etwas gelernt, was Ihnen später als Unternehmer geholfen hat?
Was Rudern und Unternehmensführung verbindet, ist, dass die Mannschaft ein gemeinsames Ziel anstrebt, für das sie eine Leistung bringen muss, die besser ist als die der anderen. Die Kunst besteht darin, die Menschen, die in einem Boot sitzen, so einzusetzen, dass sie ihre ganzen Fähigkeiten, ihr ganzes Potenzial im Sinne dieser Ziele einbringen. Beim Mannschaftssport lernt man außerdem, sich auch mal einzuordnen, zurückzustellen und nicht gleich das Ruder wegzuwerfen, wenn einem etwas nicht passt. Wer erfolgreich sein will, muss mit der Mannschaft an die Grenzen gehen. Leistungssportler kennen das Erlebnis, mit ihrem Team in einen Flow zu kommen, dieses Gefühl, dass einem die Kräfte zufliegen. Das kann im Unternehmen genauso passieren. Die Frage ist: Wie schafft man es, das ganze Unternehmen in einen Flow zu bringen?

Gute Frage. Wie versuchen Sie es?
Um in dieses Flow-Gefühl hineinzukommen, muss man bereit sein, sich total zu verausgaben. Und wenn es funktioniert, haben Sie das Gefühl, es geht alles von allein. Die Kunden sind zufrieden – und die Zahlen stimmen auch.

Welche Rolle spielen die Mitarbeiter dabei?
Wenn es keine Mitarbeiter gibt, würde es das Unternehmen nicht geben. Ein Unternehmen ohne Mitarbeiter ist wie ein Laden nach Ladenschluss. Ich kann nicht oft genug betonen: Das Unternehmen ist für Mitarbeiter da – und nicht umgekehrt.

Dennoch schauen viele Unternehmen zurzeit verstärkt auf die Personalkosten.
Der Begriff Personalkosten ist völlig irreführend. Es ist doch ein Irrsinn, von Personalkosten zu sprechen, da Kosten das Ergebnis reduzieren. Die Mitarbeiter sind doch diejenigen, die mit ihren schöpferischen Fähigkeiten das Unternehmensergebnis herbeiführen. Ohne Mitarbeiter könnten wir keine Geschäfte machen und auch keine Kunden bedienen. Bei dm gibt es den Begriff Personalkosten überhaupt nicht. Wir sprechen von Mitarbeitereinkommen.

Warum Mitarbeitereinkommen?
Ganz einfach: Die Mitarbeiter brauchen ein Einkommen, damit sie bei dm arbeiten können. Die meisten Menschen gehen immer noch von einer Selbstversorgungsgesellschaft aus, in der die Arbeit mit dem Einkommen entlohnt wurde. Aber das ist nicht wahr. Das Einkommen ermöglicht erst die Arbeit – und das sollte man begrifflich auch verdeutlichen.

Sie sprechen sich gegen Prämien- und Bonussysteme für Führungskräfte und Management aus. Sollte man besondere Leistungen nicht besonders belohnen?
Wir arbeiten im Unternehmen sehr arbeitsteilig zusammen. Keine neuer Mitarbeiter und keine neue Führungskraft läutet eine völlig neue Zeitrechnung ein. Wie wollen Sie das, was jemand kreativ in das Unternehmen einbringt, zusätzlich belohnen? Man muss doch erkennen, dass Bonussysteme unterstellen, dass Menschen ohne diese Anreizsysteme nicht ihre volle Leistung einbringen. Das ist doch eine Frechheit.

Wie vergüten Sie besondere Leistungen bei dm?
Wir vereinbaren die Gehälter individuell – abhängig davon, was der Einzelne braucht und was die Gemeinschaft gewähren kann. Wir gehen dann aber nicht hin und schreiben die Hälfte dieser Vergütung als Prämie fest. Alle Bonussysteme sind ja in Wirklichkeit Malussysteme.

Das müssen Sie erklären.
Wenn ein Unternehmen einen Manager für 900.000 Euro pro Jahr einstellen will – ihm aber nur 550.000 Euro fix auszahlt – und den Rest variabel, ist das dann ein Bonus oder ein Malus? Die Botschaft, die rüberkommt, heißt: „Der Mensch ist uns zwar 900.000 Euro wert, aber wir zahlen ihm trotzdem erst mal nur 550.000 Euro.“ Malusregelungen führen dazu, dass Mitarbeiter ihren „Geldwert“ zum Maßstab ihres Handelns machen. Wenn Sie die Kundenorientierung eines Mitarbeiters unterminieren wollen, dann müssen Sie ihm nur eine Prämie anbieten.

Es heißt, bei dm könnten die Mitarbeiter ihre Gehälter teilweise selbst bestimmen. Was ist dran?
Unsere Gehaltssysteme sind transparent. Außerdem besteht die Möglichkeit, dass Filialen beziehungsweise Arbeitsgemeinschaften mitreden können, wenn Gehaltsrunden anstehen.

Wie sieht das genau aus?
Wenn die Unternehmensleitung anhand der Perspektivplanung zu der Erkenntnis gelangt, dass eine Gehaltssteigerung um drei Prozent möglich ist, können sich die Arbeitsgruppen überlegen, wie sie das Geld verteilen. Sie können zum Beispiel einer Mitarbeiterin sechs Prozent geben, weil sie sich im letzten Jahr so außergewöhnlich eingesetzt hat. In diesem Fall müsste ein anderer Kollege zurückstehen. Die Gruppen können das Geld aber auch in zusätzliche Mitarbeiter investieren. Ich kenne einige Filialleiter, die auf eine Gehaltserhöhung verzichtet haben, um sich einen zweiten stellvertretenden Filialleiter zu leisten. Auf diese Weise übernehmen viele Arbeitsgemeinschaften bei dm das Feintuning in den Gehaltsrunden. Das geschieht nicht in allen Filialen – denn ein solcher Prozess setzt einen gewissen Reifegrad der Gruppe voraus – aber es geschieht zunehmend. Und das ist sehr hilfreich. Denn natürlich stoßen Sie einen Bewertungsprozess an, wenn Sie sagen: „Schaut selbst, wie Ihr euer Budget verteilt“.

Die Mitarbeiter entscheiden also, ob ein Kollege mehr Gehalt bekommt?
Ja, diese Beurteilungen können doch nur aus sozialer Nähe entstehen. Wie will ich denn von Karlsruhe aus entscheiden, welches Gehalt für Frau Meyer in Speyer angemessen ist? Ich weiß ja gar nicht, wie sie arbeitet.

In anderen Unternehmen bewerten das die unmittelbaren Vorgesetzten.
Das ist ein sehr aristokratisches Führungsmodell. Die Kollegen sind doch viel näher dran. Sie sehen genau, ob eine Mitarbeiterin unfreundlich ist – und sagen dann auch, „Hey, so kannst du nicht mit den Kunden umgehen.“

Und das funktioniert?
Aber ja. Stellen Sie sich doch mal vor, Sie stünden im Laden und merken, dass Tag für Tag weniger Leute kommen, weil eine Kollegin die Kunden ständig vors Schienbein tritt. Sie haben doch selbst ein Interesse daran, dass der Laden nicht den Bach runter geht. Vertrauen Sie auf diese Selbstorganisation. Vorgesetzte können ihre Kollegen dabei unterstützen, ihre Arbeit gut zu machen. Die Leistungen der Mitarbeiter sollten aber die Kollegen bewerten.

Die jungen Kollegen bei dm – sprich: Ihre Lehrlinge – spielen während der Ausbildung Theater. Welche Ziele verfolgen Sie damit?
Wir möchten die Menschen in ihrer Persönlichkeit und ihrem Selbstbewusstsein stärken. Junge Leute sind ja heute einem regelrechten Beeindruckungsbombardement ausgesetzt. Deshalb ist es hilfreich für sie, einmal zu erleben, wie es ist, sich auszudrücken. Im ersten und zweiten Lehrjahr besuchen sie daher Theaterworkshops und geben am Ende eine Vorstellung für Kollegen, Verwandte und Freunde. Es geht dabei aber nicht nur um das Theaterspielen, sondern darum, sich besser auszudrücken – Sprache, Mimik und Gestik zu nutzen. Es geht um die Frage, welche Voraussetzungen wir schaffen müssen, um die Menschen in ihrem Menschsein zu stärken. Denn es ist doch logisch: Je mehr Persönlichkeiten im Laden stehen, die Ihnen offen und geradeaus entgegen kommen, und je weniger Kollegen sich hinter den Regalen verstecken, desto besser ist es für unser Geschäft. Und desto stärker fühlen Sie sich als Kunde angesprochen.

Sie nennen Ihre Lehrlinge auch Lernlinge. Warum?
Der Begriff des Lehrlings oder auch Auszubildenden sagt aus, dass es um Menschen geht, die belehrt oder ausgebildet werden. Wenn Sie diese Bezeichnung verwenden, machen Sie ein anderes Programm, als wenn Sie sagen: Das sind Menschen, die bei uns etwas lernen wollen. Nomen est omen. Das knüpft an unser Thema von vorhin an. Wenn ich immer über Personalkosten rede und dann täglich diese ganzen Kostenfaktoren rumlaufen sehe, verhalte ich mich anders, als wenn ich sage: Das sind Menschen, die ein Einkommen brauchen, damit sie bei uns arbeiten können. Es war immer mein Bestreben auf die Begriffe zu achten. Wir setzen uns bei dm daher begrifflich oft von anderen Unternehmen ab – und ich glaube, dass wir damit eine zutreffendere Wirklichkeit erzeugen.

Viele Unternehmen sparen derzeit am Personal, indem sie Einstellungsstopps verhängen oder die Weiterbildungen kürzen. Wie wirkt sich die Rezession auf das Human Resource Management von dm aus?
Bei uns sind keine Veränderungen vorgesehen. Je schwieriger die Verhältnisse sind, desto wichtiger sind qualifizierte Mitarbeiter. Viele Unternehmer meinen, Personalarbeit sei nicht ihr Core-Business – und sparen dann zum Beispiel bei der Ausbildung. Sie merken gar nicht, dass sie an dem Ast sägen, auf dem sie sitzen. Als Gesellschaft und auch als Unternehmen leben wir von dem, was wir investiert haben. Und das kann nur in die junge Generation sein. Nicht in die Jugend zu investieren, ist reine Dummheit.


Interview: Bettina Geuenich



Veranstaltungstipp
Wer mehr über die Personalarbeit bei dm erfahren möchte, hat auf der Fachmesse Personal2009 die Gelegenheit dazu, die am 25. und 26. März im M,O,C in München stattfindet. Götz Werner ist einer der Keynotes und spricht am 25. März zwischen 12.55 und 13.25 Uhr in Forum 3.