HR-Consultants: Herr Dr. Berblinger, es heißt, Berater seien die analyse- und methodenstarken Theoretiker und  Interim-Manager seien die aus der betrieblichen Wirklichkeit kommenden operativen Praktiker. Deckt sich das mit  Ihren Erfahrungen und welche Konsequenzen ziehen Sie daraus?

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Foto von Austin Distel

 

 

Tobias Berblinger: Typischerweise greifen Berater bei der Erarbeitung ihrer Konzepte auf theoretische Quellen zurück, was sie per se anspruchsvoll macht. Der Interim-Manager hat einen sehr viel stärkeren Fokus auf die Umsetzbarkeit seiner Konzepte, die daher wissenschaftlich weniger beeindruckend, dafür lebensnäher sind. Vor diesem Hintergrund empfiehlt sich, je nach Fragestellung, der ein oder der andere Ansprechpartner und danach sollte er auch ausgesucht werden.

 

HR-Consultants: Die Unterscheidung von Beratern und Interim-Managern lebt von vielen Klischees. Eines davon lautet: Der Berater hat keinen Kontakt zu den Mitarbeitern, während der Interim-Manager einer von ihnen ist  –  richtig oder falsch?

 

Tobias Berblinger: Ich würde es gerne anders nuancieren: Der Berater richtet sich meines Erachtens sehr stark nach seinem Auftraggeber und sucht häufig die Absicherung über die Hierarchie. Dagegen habe ich den Interim-Manager als jemanden erlebt, der Wert darauf legt, dass das von ihm entwickelte und/oder umzusetzende Konzept die Mitarbeiter bzw. die Organisation direkt weiterbringt. Daher wird der Berater meiner Erfahrung nach stärker als Externer betrachtet.  Ich erinnere mich in dem Zusammenhang an meine Zeit als Unternehmensberater, in der ich immer wieder Kommentare älterer Fach-  und Führungskräfte hörte, die sinngemäß lauteten: „Wissen Sie, ich habe schon viele junge Berater kommen und gehen sehen...“.

 

HR-Consultants: Wird der Berater von den Mitarbeitern also nicht sonderlich ernst genommen?

 

Tobias Berblinger: Er wird aufgrund der geliehenen Autorität durchaus ernst genommen. Und er wird aufgrund seiner spezifischen Fachkompetenz respektiert. Denken Sie beispielsweise an das Thema betriebliche Altersvorsorge – in dem Themenbereich können Sie ohne die Expertise eines Beraters gar nicht erst anfangen. Seine Expertenfunktion und sein Fachwissen sind meines Erachtens unabdingbar und gefragt.

Der Interim-Manager punktet  stärker durch seine Persönlichkeit, seine breite Erfahrung und vor allem durch seine Leistung. Und die ist schon deshalb interessant, weil er es sich leisten kann, Lösungen zu erarbeiten ohne auf die politische Großwetterlage Rücksicht nehmen zu müssen.

Eines sollte man jedoch nicht vergessen: Beide werden das Unternehmen früher oder später wieder verlassen und den Fortgang ihrer Konzepte anderen überlassen.

 

HR-Consultants: Habe ich bei Ihnen gerade herausgehört dass sich der Berater in bestimmten Fällen stärker vom Auftraggeber abhängig macht?

 

Tobias Berblinger: Durchaus. Das ist meines Erachtens auch der Grund, warum er bisweilen eine Alibifunktion innehat, also Lösungen ausarbeiten soll, die eigentlich schon beschlossen sind. Um diese allerdings zu verkünden, holt man sich mit dem Berater ein externes Sprachrohr. So abgegriffen das klingen mag, so oft habe ich es erlebt  –  ein echtes Dilemma für den Berater wie Sie sich vorstellen können.

Richtig punkten können Berater dagegen auf dem Feld der Methodik. Sie haben einen starken theoretischen Unterbau, verfügen über enorme Wissensressourcen, die von den Beratungshäusern systematisch aufgebaut und zur Verfügung gestellt werden und sind sehr eng mit ihren Kollegen vernetzt, was ein besonders großer Vorteil für mich als Kunde ist. Dagegen ist ein Interim-Manager typischerweise als Einzelkämpfer unterwegs. Im günstigsten Fall kann er sich zwar ein Netzwerk aufbauen, wird aber nie über die gleiche Wissensbasis wie ein Berater verfügen. Daher sei auch hier wieder angefügt: Man muss als Auftraggeber genau wissen, wofür der Externe eingesetzt werden soll.

 

HR-Consultants: Kommen wir noch zu einem anderen Klischee: Vor dem Berater hat die Belegschaft tendenziell Angst, da er für eine Umstrukturierung oder  Neuausrichtung steht  –  und Veränderungen aller Art bergen Unwohlsein, gar Ablehnung.

Dem Interim-Manager wird dagegen Vertrauen entgegen gebracht, da er entweder schlicht einen Ausfall im Team kompensiert oder für ein Projekt beauftragt wird, das ansonsten eine Mehrbelastung für die Mitarbeiter darstellen würde – in beiden Fällen ist er in erster Linie Kollege.

 

Tobias Berblinger: Ja, das kann ich durchaus bestätigen. Nach meiner Beobachtung wird sehr viel schneller ein Vertrauensverhältnis zum Interim-Manager aufgebaut. Aber Berater sind auch eher analytisch starke Universitätsabgänger. Dagegen steht die Seniorität und günstigstenfalls die überzeugende Persönlichkeit des Interim-Managers samt seiner Erfahrung, die für mich grundsätzlich Voraussetzung dafür ist, ein Mandat zu erteilen.

In den letzten Jahren hat sich allerdings der Markt der Interim-Manager ausdifferenziert. Während es zu Beginn noch die erfolgreichen Mitt- und Endvierziger waren, die sich selbstständig gemacht haben, um aus den verschiedenen persönlichen und auch fachlichen Gründen als Interim-Manager tätig zu werden, gibt es inzwischen junge, aber sehr gut qualifizierte Spezialisten für Teilbereiche. Ein Beispiel hierfür ist das Recruiting. Bei aller Erfahrung und Expertise auf ihrem Gebiet sollte da aber fairerweise der Zusatz „Manager“ gestrichen werden und nur das Wort „Interim“ stehen bleiben.

 

HR-Consultants: Besteht ein Unterschied der beiden was die Verantwortung anbelangt? Es heißt oftmals, dass ein Berater weniger Verantwortung übernimmt als ein Interim-Manager?

 

Tobias Berblinger: Nein, das möchte ich nur begrenzt stehen lassen, vor allem unter den Aspekten Verweildauer und Halbwertszeit der auftragsbezogenen Zugehörigkeit, die in beiden Fällen, wie bereits erwähnt, überschaubar ist. Da sehe ich keinen großen Unterschied, was das Thema Verantwortung betrifft.

An der Stelle bin dagegen ich als Auftraggeber gefordert, und zwar zweifach: Zum einen muss ich kontinuierlich überwachen, dass das, was ich bekomme, auch meinen Anforderungen entspricht. Und ich muss dafür sorgen, dass eine hinreichende Dokumentation der Leistungen erfolgt, denn es muss sehr einfach möglich sein, mit den vorbereiteten Lösungen zu leben und sie entsprechend fort-  und weiterzuentwickeln.

 

HR-Consultants: Weggehend von den Klischees wird ein anderer Trend sichtbar: Berater wollen nicht mehr nur noch diejenigen mit den bunten Powerpoints sein, sondern auch umsetzen. Und Interim-Manager positionieren sich zunehmend als coachende Prozessverbesserer mit ein bisschen Beratungskompetenz. Anders gesagt, beide drängen wechselseitig in den Markt des anderen. Ist das eine Tendenz, die auch Sie so beobachten?

 

Tobias Berblinger: Ja, da findet eine schrittweise Überlappung statt. Ein erfahrener Interim-Manager, der neue Prozesse und Konzepte entwickeln kann, möchte sich nicht darin erschöpfen, vorgefertigte und vorgegebene Instrumente zu implementieren. Für mich als Auftraggeber bleibt aber eine gute Hands-on-Mentalität Auswahlkriterium. Wenn ich einen Interim-Manager beauftrage, dann brauche ich niemanden, der nur seine Anordnungen auf sein Team delegiert.

Bei Beratern ist die Tendenz zur Umsetzung gegeben, sobald sie weg von der reinen Methodenkompetenz gehen, weil sie echte Koryphäen auf einem besonders schwierigen Fachgebiet sind. Hier sei noch einmal das Beispiel der betrieblichen Altersvorsorge angeführt. In dem Fall ist der Wunsch, die Umsetzung zumindest mit anzuschieben, groß. Letztlich ist aber der Berater für die Umsetzung schlicht zu teuer.

 

HR-Consultants: Sind Berater teurer als Interim-Manager?

 

Tobias Berblinger: Die Tendenz geht dahin, dass die Gruppe der Berater, die ein Projekt bestücken, kleiner werden. Kam früher ein Beratertrupp von fünf bis sechs Mann zu ihnen, so haben sie es heute im gleichen Fall nur noch mit zwei Kollegen zu tun.

 

HR-Consultants: Berater sind häufig spezialisiert – ein klarer Vorteil für sie?

 

Tobias Berblinger: Beratungshäuser, die sich auf bestimmte Themengebiete fokussieren und einen hohen Wissensstand in einem Bereich mit entsprechendem Renommee entwickelt haben  –  sie können hier beispielsweise das Thema Lean Management nehmen, welches letztes Jahr einen starken Aufschwung hatte – werden typischerweise für diese Projekte gerufen. Auch von Wettbewerbern. Es wäre überraschend, wenn sich die Rezepte für die einzelnen Auftraggeber dann dramatisch unterscheiden. D.h. die Stärke eines Beratungshauses, Fachwissen aufzubauen, kann gleichzeitig dazu führen, dass die Neutralität und der Wettbewerbsvorteil, die man meint damit einzukaufen, sich ins Gegenteil verkehrt.

 

HR-Consultants: Haben Sie da nicht die gleichen Bedenken bei Interim-Managern?

 

Tobias Berblinger: Dieser Fall wird sich weit weniger oft stellen, denn die Wahrscheinlichkeit, dass ein Interim-Manager einen Folgeauftrag direkt beim Konkurrenten bekommt, ist gering. Ebenso, dass er seine gewonnene Erfahrung genau dokumentiert hat, um sie einem anderen Interim-Manager, der beim Wettbewerber arbeitet, zugänglich zu machen. Da ist die Dimension, die sich durch Beratungshäuser ergibt, eine ganz andere, zumal wenn sie über eine vierstellige Anzahl von Mitarbeitern verfügen und über Practice Groups mit fünfzig bis sechzig Kolleginnen und Kollegen. Diese Häuser leben davon, dass es eine dokumentierte Wissensbasis gibt. Das ist Vorteil und Nachteil, Fluch und Segen zugleich.

 

HR-Consultants: Sie sprechen damit auch eine gewisse Projektgröße an, ab der ein Interim-Manager als – wie Sie sagen: Einzelkämpfer – kaum mithalten kann...

 

Tobias Berblinger: Größere Projekte können Sie nur mit einem Beratungshaus an ihrer Seite stemmen. Das ist ein klarer Vorteil für Berater, besonders, wenn es um Projekte geht, die international ausgerollt werden müssen und viel Reisetätigkeit mit sich bringen. Dann ist ein Beratungshaus nach wie vor für mich das Mittel der Wahl. Als Auftraggeber kaufe ich mir mit einem Beratungshaus eine gewisse Infrastruktur mit ein. Und das ist für große Projekte ein erheblicher Wettbewerbsvorteil.

Selbst wenn sich eine Gruppe von Interim-Managern, also von Individuen, zusammenschließt, muss sie als Team funktionieren und muss vor allem zur gleichen Zeit gleich lang verfügbar und in keinem anderen Einsatz sein. Ich habe  zwar schon erlebt, dass mir bei größeren Aufträgen Interim-Manager über ihr Netzwerk durchaus gute und sinnvolle Tipps geben konnten. Aber dass diese Personen dann auch verfügbar sind und dass die Passung da ist, das sind ganz glückliche Zufälle. Wenn Sie Viel-Mann-Kraft brauchen, empfiehlt sich nach wie vor eine Beratung.

 

HR-Consultants: Noch eine persönliche Frage: Wie gerne waren Sie selbst Berater?

 

Tobias Berblinger: Zu Beginn meines Berufslebens sehr gerne. Die Tätigkeit ist meines Erachtens aber  abhängig von der jeweiligen Lebensphase. Sobald Dritte von Ihnen abhängig werden und Sie nicht mehr der ungebundene Segler sind, lassen die Verlockungen des Beraterlebens dramatisch nach. Das Leben aus dem Koffer ist für einen jungen Familienvater nicht mehr so attraktiv wie für einen Hochschulabsolventen, der es sehr zu schätzen weiß, wenn er in teuren Restaurants abends auf Firmenkosten unterwegs sein kann und dem es Freude bereitet, sich mit seinen Kollegen auch am Wochenende auf der Skipiste herumzutreiben. Die Beratung bietet durchaus ein sehr spannendes, schnelles Leben, für das man allerdings bezahlen muss.

Das Bild, ich fahre auf der Autobahn während andere auf der Schnellstraße unterwegs sind, ist in der Branche immer noch stark ausgeprägt. Und es herrscht die auch ausgesprochene Meinung, dass man als Berater doppelt so viel Berufserfahrung sammelt als andere, die operativ tätig sind. Das stimmt meines Erachtens aber nur, wenn man gleichzeitig zugibt, dass die Art der Erfahrung eine ganz andere ist.

 

HR-Consultants: Und wie beobachten Sie die Interim-Manager, die für Sie arbeiten?

 

Tobias Berblinger: Das Leben eines Interim-Managers unterscheidet sich in einem Punkt ja nicht sehr von dem eines Beraters:  es ist schlicht nicht planbar. Denn was tut der Interim-Manager, wenn ich ihn vor lauter Begeisterung noch zwei Monate verlängere? Dann sagt er den Familienurlaub ab!

Eine der größten Belastungen, die ich bei Interim-Managern im Laufe der Jahre beobachtet habe, ist der ständige Akquisitionszwang, sobald das Projektende naht. Der zeitliche Aufwand ein Nachfolgeprojekt zu ergattern, ist enorm. Da wird jeden Abend noch stundenlang telefoniert, gemailt‚ genetzwerkt. Und sobald der Auftrag da ist heißt es typischerweise: „Bitte fangen Sie gestern bereits an!“ Das theoretische Konstrukt, nach einem Auftrag zwei oder drei Monate Urlaub nehmen zu können, geht in den seltensten Fällen auf.

Dagegen steht der Vorteil, dass der Interim-Manager wirklich stärker an der Sache arbeiten kann und nach meiner Beobachtung das auch tut. Er kann sich aus politischen Spielen heraushalten. Für mich als Kunde ist das übrigens ein Kaufargument. Und da hatte ich bisher Glück mit Könnern ihres Fachs zusammenzuarbeiten, die feine Antennen dafür haben, wo Klippen sind bzw. wo sie auftauchen könnten und wie sie elegant umschifft werden können. Wer das kann ist im besten Sinne ein Interim-Manager und auch ein Coach. Und ich habe festgestellt, dass das gerade für jüngere Führungskräfte oft eine sehr prägende Zusammenarbeit ist.  Von daher arbeite ich wirklich gerne und nicht nur aus der Not heraus mit Interim-Managern zusammen.

 

HR-Consultants: Herr Dr. Berblinger, sehr herzlichen Dank für das Gespräch!


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