Quellen

[1] Faure, Edgar u. a: Learning to Be: The World of Education
     Today and Tomorrow. Paris: UNESCO 1972.

man sitting beside white wooden table
Foto von Austin Distel

[2] URL: http://hr-innovation.org.

[3] URL: http://www.leonardo-award.eu/content/e677/
              e1267/e1268/index_eng.html
.

[4] URL: https://dschool.stanford.edu/groups/k12/wiki/17cff/
             Steps_in_a_Design_Thinking_Process.html
.

[5] URL: https://www.youtube.com/watch?v=bXGghjuzhVg

[6] URL: http://dschool.stanford.edu/use-our-methods.

[7] URL: http://blog.adidas-group.com/2014/03/bringing-the-adidas-
              group-learning-campus-to-life-learning-in-the-21st-century
.

[8] URL: http://blog.adidas-group.com/2012/05/help-us-find-
              the-new-way-of-working-and-learning

Raues Gewässer


Viele westliche Gesellschaften befinden sich mitten in der Transformation von Industrie- in Wissensgesellschaft, die durch technologischen Fortschritt und kontinuierlichen Wandel gekennzeichnet ist. Da viele Personalabteilungen mit Ihren Lern-Ansätzen noch dem Top-Down-Denken der Industriegesellschaft folgen, liegt hier ein großes Risiko für ihre Zukunft.

Schlagworte wie Disruption, kontinuierlicher Wandel, VUCA (volatility, uncertainty, complexity, ambiguity) und Dynexität (Dynamik und Komplexität) beherrschen seit einiger Zeit die Wirtschaftspresse. Das sind Anzeichen dafür, dass sich das Umfeld von Unternehmen in den letzten Jahrzehnten grundlegend geändert hat. Angetrieben durch Globalisierung, Digitalisierung und den allgemeinen technischen Fortschritt ist heute in vielen Bereichen der Wandel die sprichwörtliche einzige Konstante. Für Unternehmen und auch Einzelpersonen bedeutet das, dass die eigene Wissensbasis durch Lernprozesse kontinuierlich angepasst werden muss. Lebenslanges Lernen – auf individueller und organisationaler Ebene – wird zum entscheidenden Erfolgsfaktor. Dass das nicht allen Akteuren gelingt, zeigen verschiedene Indikatoren. So ist die „Lebenserwartung“ von Unternehmen im S&P 500 Index in den letzten 100 Jahren von 67 auf nur 15 Jahre gesunken. Die Einkommensunterschiede zwischen gut und weniger gut ausgebildeten Mitarbeitern entwickeln sich stark auseinander. Umgekehrt herrscht beispielsweise in den sog. MINT-Disziplinen (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft, Technik) schon heute Fachkräftemangel, das Machtverhältnis am Arbeitsmarkt verschiebt sich von den Arbeitgebern hin zu den Arbeitnehmern.

Design Thinking und HR –
der adidas Learning Campus 


Wie eingangs beschrieben, wird eine der großen Herausforderungen für HR in den nächsten Jahren darin bestehen, neben den formellen Lernangeboten insbesondere das informelle Lernen in der Organisation zu unterstützen und zu fördern. Die eingetretenen Pfade der Abfrage von Weiterbildungsbedarfen in Geschäftsbereichen und das zentrale Bereitstellen formaler Lernangebote müssen verlassen werden. Stattdessen müssen innovative Ansätze gemeinsam mit den Lernenden auf Augenhöhe entwickelt werden. Hierfür ist ein gutes Verständnis der Bedürfnisse zwingend notwendig (Empathize). Durch ein klares Bild der verschiedenen Lern-Zielgruppen im Unternehmen und deren Anforderungen an das informelle Lernen kann ein Ansatz entwickelt werden, der anders als die „One-Size-Fits-All-Ansätze“ des Industriezeitalters individuell auf die jeweilige Zielgruppe zugeschnitten ist.

So gibt es beispielsweise im Rahmen des adidas Learning Campus [7] nach wie vor Präsenzveranstaltungen, aber auch MOOC-artige Online-Kurse und informelle Lernräume wie beispielsweise „The Shed“ in Herzogenaurach. Eine unternehmensweite Umfrage zur Zufriedenheit hat ergeben, dass sich die Mitarbeiter mehr Lern- und Entwicklungsmöglichkeiten wünschen. adidas-CEO Herbert Hainer griff dieses Thema auf und benannte folgendes Ziel: „The goal here is to create a culture and establish processes and tools centered on collaboration and knowledge sharing to build a learning organization“. 

Um dieses Ziel Wirklichkeit werden zu lassen wurde ein Projektteam etabliert, zu dessen Mitgliedern auch der Autor gehörte. Das Projekt begann nicht direkt damit, sich ein Konzept auszudenken, sondern plante gemäß Design-Thinking-Philosophie die Einbindung möglichst vieler Stakeholder. Dazu gehörten sowohl interne (HR Manager, Trainer, Instructional Designer, alle Mitarbeiter), als auch externe Zielgruppen (andere Unternehmen, externe Experten). Um diese zu verstehen wurden ein internes Crowdsourcing, ein Benchmark-Projekt und eine Blogparade im adidas Group Blog [8] durchgeführt. Viele der Ideen, die prototypisch ausprobiert und später ungesetzt wurden, stammten nicht aus dem Projektteam, sondern direkt von der Zielgruppe der Lernenden. Im Folgenden sollen anhand von Learning Campus Online und The Shed zwei Beispiele beleuchtet werden.

Die Inhalte des Learning Campus Online, ein Bereich im sozialen Intranet  von adidas „a-Live“, stehen allen Mitarbeitern offen, damit sie selber entscheiden können, was sie wann und wo lernen möchten. Jeder Lernbereich wurde mit Kommentarfunktion und Aktivitätenstrom versehen so dass Kollegen gemäß des Prinzips „Working Out Loud“ (siehe Infokasten) vom Lernprozess ihrer Kontakte profitieren können. 

Für Lerninhalte, die direkte Interaktion erfordern und nicht über reine Lehrinhalte vermittelt werden können, bietet „The Shed“ den richtigen Lernort für informelle Formate. Der kreative Raum kann sehr flexibel gestaltet werden (großer Raum, drei Teil-Räume) und dient neben Trainings und Workshops auch als Veranstaltungsort für Community-Treffen und Speaker Series. Die Innenausstattung ist teils von Mitarbeitern selbst gebaut und regt durchgängig zu agilem und kreativem Handeln an. Das wichtigste Prinzip ist hierbei die „Offenheit“, d.h. Mitarbeiter können jederzeit in The Shed kommen und an den dort stattfindenden Veranstaltungen teilnehmen.

Design Thinking in der Weiterbildung


Die Methode Design Thinking scheint also auch für Verantwortlichen in der Weiterbildung geeignet, um Ideen für innovative Lehr- und Lernszenarien zu generieren, durch iterative Entwicklung von Prototypen zu verfeinern und für den Praxiseinsatz abzurunden. Design Thinking erlangte durch Protagonisten wie Herbert Simon (1969) und Peter Rowe (1987) einige Aufmerksamkeit. In den 1980er und 1990er Jahren begann die Stanford University Design Thinking zu lehren und machte das Konzept damit einer breiteren Menge bekannt. Hasso Plattner, einer der Gründer von SAP, startete 2005 an der Stanford University in Palo Alto das „Hasso Plattner Institut of Design“ (d.school). Nach dem Vorbild der d.school wurde 2007 in Potsdam die „HPI School of Design Thinking“ am Hasso Plattner Institut gegründet. Dafür erhielt Plattner im Jahr 2014 den Leonard Corporate Learning Award [3]. 

Der Design Thinking Prozess der Stanford University [4] verläuft in sechs Stufen,
 
die Christina Rudrich von adidas wie folgt erklärt [5]:

Understand - die Zielgruppe und deren Probleme verstehen 
Observe – die Zielgruppe beobachten und/oder interviewen 
Point of View – durch Personas ein gemeinsames Verständnis entwickeln 
Ideate – Ideen für die Lösung der Probleme der Zielgruppe entwickeln 
Prototype – schnelle Protypen für den Test erstellen 
Test – Prototypen mit der Zielgruppe testen und verfeinern 

Wichtig ist, dass die einzelnen Stufen i.d.R. nicht linear abgearbeitet, sondern mehrfach iterativ durchlaufen werden. In neueren Versionen des Prozesses werden die ersten beiden Stufen „Understand“ und „Observe“ durch „Empathize“ zusammengefasst, da beide darauf abzielen, sich in die Zielgruppe emotional hineinzuversetzen. 

Für die einzelnen Stufen bietet die d.school dedizierte Methoden an [6]. Beispielhaft soll hier die sog. „Empathy Map“ betrachtet werden, mit der man die Bedürfnisse der Zielgruppe systematisch aus deren Perspektive ermitteln kann.

Die Empathy Map besteht aus den vier Quadranten „Say“, „Do“, „Think“ und „Feel“. Zwei der Bereiche können vom Beobachter direkt wahrgenommen werden (Say, Do), die beiden anderen (Think, Feel) können durch Gespräche nur indirekt ermittelt werden. Die Schlüsselfragen je Bereich lauten:

SAY – welche Zitate und O-Töne hat die Zielgruppe geäußert? 
DO – welche Aktionen und Verhaltensweisen haben wir beobachtet? 
THINK – was könnten die Zielgruppe denken? Was sagt das über ihre Grundeinstellung?
FEEL – welche Emotionen könnte die Zielgruppe haben?

For your work: 7 Ideen für informelles Lernen

1.     Soziale Netzwerke
Viele Unternehmen setzen bereits zusätzlich zum klassischen Intranet sog. soziale Netzwerke ein (z.B. Jive, Sharepoint, Yammer, Connections). Mitarbeiter haben darin Profile und können sich untereinander vernetzen, wodurch Experten sichtbar werden. Über die Vernetzung wird das Lernen voneinander unterstützt, da der Austausch über Grenzen von Abteilungen, Projekten und Standorten möglich ist.

2.      Working Out Loud
Working Out Loud (WOL) bezeichnet den Trend, kurze Informationen zur eigenen Arbeit in sozialen Netzwerken zu teilen (z.B. Fragen, Ideen, Erkenntnisse, Arbeitsergebnisse, Erfahrungen). Dadurch wird die Wissensverteilung in der Organisation gefördert.

3.     Lessons Learned und After Action Reviews
Durch systematisches Reflektieren nach komplexen Aufgaben und Tätigkeiten werden Lessons Learned bewusst gemacht und im Gedächtnis verankert. Dies kann in umfassenden Workshops oder im Fall von After Action Reviews (AAR) in nur wenigen Minuten geschehen.

4.      Lern-Communities
Mitarbeiter mit gemeinsamen Interessen werden in Lern-Communities (oft auch Communities of Practice) zusammengebracht werden. Durch die regelmäßige Interaktion in der Gemeinschaft (Face-2-Face, virtuell) wird Wissen unkompliziert geteilt und neue Community-Mitglieder schnell auf Stand gebracht.

5.      Open Educational Resources (OER)
Nicht alle Lehr- und Lerninhalte müssen zwingend selbst erstellt werden. Plattformen wie Wikipedia, Wikibooks, Wikiversity, YouTube und Slideshare bieten große Mengen wiederverwendbarer Inhalte. Gemeinsam mit Experten und deren Bookmark-Sammlungen können schnell erste Listen kuratiert werden (auf Lizensierung achten!).

6.      Massive Open Online Courses (MOOC)
Der Erfolg von Plattformen wie Coursera und edX zeigt: viele Inhalte müssen nicht im Klassenraum vermittelt, sondern können über elektronische Medien einer viel größeren Zielgruppe bereitgestellt werden. Hierfür ist i.d.R. keine eigene Plattform notwendig, sondern es kann das soziale Intranet der Organisation verwendet werden.
 

7.      Flipped Classroom Ansatz
Im klassischen Training trägt der Lehrende seine Inhalte vor und verteilt „Hausaufgaben“. Der Flipped Classroom stellt das auf den Kopf. Die Lerner erarbeiten sich den Stoff vorab per Video oder Audio-Podcast, die wertvolle Zeit im Klassenraum kann für Fragen und Übungen genutzt werden. Dank Verfügbarkeit von Smartphones, Webcams und entsprechender Software ist dies einfach und kostengünstig möglich.

Dornröschenschlaf der Industriegesellschaft


Gleichzeitig scheinen viele Personalabteilungen in Unternehmen noch im Dornröschenschlaf der Industriegesellschaft zu verharren. Dort ging es zu Beginn der Industrialisierung hauptsächlich darum, schlecht ausgebildete Arbeitskräfte aus Heim-, Feld- und Landarbeit möglichst schnell für den produktiven Einsatz in Fabriken zu qualifizieren. In den Fabriken waren hauptsächlich einfache und sich ständig wiederholende Tätigkeiten gefragt. Das sich daraus ergebende monotone Arbeitsumfeld wurde beispielsweise im Film „Moderne Zeiten“ mit Charlie Chaplin karikaturiert. Von dieser Monotonie ist in den Unternehmen heute jedoch nicht mehr viel zu spüren. Die sog. „Halbwertszeit von Wissen“ ist gerade in Branchen wie dem Maschinen- und Automobilbau oder der Softwareentwicklung drastisch gesunken. Da gleichzeitig Innovationsraten gestiegen sind und sich  Produktlebenszyklen verkürzen, haben Mitarbeitern einen hohen Druck, ihr Wissen kontinuierlich auf aktuellen Stand zu bringen und in vielen Fällen sogar systematisch neues Wissen im Team zu generieren. Dem gegenüber stehen in vielen Betrieben noch Weiterbildungsansätze, die auf der Top-Down-Vermittlung des Wissens von Lehrer/Trainer zu Schüler/Mitarbeiter basieren. Weiterbildungskataloge mit formalen Kursen und Klassenraumtraining sind die Regel. eLearning-Ansätze werden schon als Innovation angesehen, obwohl sie das gleiche didaktische Prinzip des Nürnberger Trichters in den virtuellen Raum übertragen und durch die fehlende soziale Interaktion einen noch geringeren Wirkungsgrad haben.  

Dabei ist die Bedeutung des informellen Lernens in der betrieblichen Weiterbildung schon seit Forschungsarbeiten in den 1970er Jahren bekannt [1]. Konzepte wie beispielsweise das 70:20:10-Modell, das vom Center for Creative Leadership (CCL) Mitte der 1990er Jahre veröffentlicht wurde spricht dem formellen Lernen in Form von Kursen nur 10% Bedeutung zu. 20% werden durch die Interaktion mit anderen Menschen erlernt und 70% durch die Bewältigung anspruchsvoller Aufgaben (learning by doing). Obwohl das 70:20:10-Modell in den Folien vieler Bildungsbereiche gezeigt wird, fehlt es an der konsequenten Umsetzung und der entsprechenden Zuweisung von Ressourcen.

Doch welche Erklärungen gibt es für den gefühlten Stillstand in der HR-Praxis? In einer Session auf dem OpenUp Camp im Frühjahr 2014 stellten sich Fachexperten aus den Bereichen HR und Innovationsmanagement genau diese Frage. Man war sich schnell einige, dass es mehr Mut und Kreativität braucht, Methoden und Instrumente zur Förderung der 70% und 20% aus dem 70:20:10-Modell zur praktischen Anwendung zu bringen. Die Hypothese war, dass mit den richtigen Personen und dem richtigen methodischen Vorgehen (z.B. Design Thinking) innovative Ansätze in erstaunlich kurzer Zeit umgesetzt werden können. In der 45-minütigen Session entstand beispielsweise die Idee, ein Buch zu „HR Innovation“ mit einer Gruppe von knapp 30 Autoren zu schreiben. Da die Beteiligten wenig Zeit einbringen konnten, einigte man sich im Design auf die Methode Booksprint, um in kurzer Zeit den ersten Prototypen des Buchinhalts zu erzeugen. Innerhalb 48 Stunden erstellten 25 Autoren schließlich den Großteil des Buchs, das heute im Buchhandel bezogen, aber auch von einer Webseite kostenfrei heruntergeladen werden kann [2].

Fazit

Viele Personalabteilungen stehen in den kommenden Jahren vor Herausforderungen, das informelle Lernen in ihren Unternehmen besser zu unterstützen und damit echte Lernende Organisationen zu entwickeln. Da dies angesichts des Status quo vieler Beteiligter Neuland darstellt und der Erfolg konkreter Methoden des informellen Lernens unsicher ist, braucht es dafür eine gehörige Portion Mut. Der Prozess des Design Thinkings kann hierbei helfen, systematisch gemeinsam mit der Zielgruppe die richtigen Ansätze zu identifizieren, iterativ zu erproben und bei Erfolg in die gelebte Praxis umzusetzen. Durch die frühe Einbindung der Zielgruppe ist dafür dann meist kein großer Change Management Aufwand mehr notwendig, da die Betroffenen per Design Thinking automatisch zu Beteiligten gemacht wurden. Neben den genannten Beispielen des informellen Lernens bei adidas bietet der Infokasten „7 Ideen für informelles Lernen“ weitere Ideen für die Gestaltung eines eigenen Ansatzes.