Digitale Daten seien das Öl des neuen Jahrtausends, jubeln Unternehmensberater. Abgesehen von dem wenig humanistischen Menschenbild, das in diesem Satz mitschwingt, zeigt dieser recht gut, worum es eigentlich geht: Öl heißt Geld. Und wo Goldgruben ausgerufen werden, haben Menschen schon immer eilig kartographiert, um Goldschürfer gegen Provision zu lotsen. Nichts anderes ist es, wenn nun Start-ups eifrig an digitalen Tools arbeiten, um den Menschen zu vermessen; auch in der Arbeitswelt. Ihren Eifer begründen die Dienstleister und die an sie angeschlossene Interessensträger damit, dass man schon dumm sein müsse, um aus der baren Existenz der vorhandenen Daten kein Business zu entwickeln. Dass Möglichkeit nun mal nicht gleich Notwendigkeit ist – ansonsten hieße sie ja so – wird da gern übersehen. Kurz: Datengestützte Mikroskopie von menschlicher Leistung ist ein inzwischen heiß diskutiertes Corporate Social Responsbility-Thema. Die Gewerkschaft Verdi schoss in diesem Sommer medial gegen einen HR Analytics-Anbieter, welcher Stimmanalyse- und Schlafrythmusdaten von Mitarbeitern ihren Arbeitgebern aggregiert zur Verfügung stellt. Dieser Fall zeigt, es mangelt an Vertrauen im Sozialverhältnis.

Vertrauen aber fußt immer auf Verlässlichkeit, Professionalität und Ernsthaftigkeit. Dieser Satz wiegt im HR schwer. Wer als Personaler Daten verarbeiten will, um Managemententscheidungen wie Stellenbesetzungen, Gegenmaßnahmen zu hoher Fluktuation und Ähnliches zu unterstützen, der muss allen Betroffenen zeigen, dass er sein Handwerk versteht. Kurz: Er muss sich in informationstechnologische Literatur einlesen, er muss sich mit Datenschutz beschäftigen, er sollte benennen können, woher HR Analytics kommt, in welchem Geiste es bisher betrieben wurde und wie sich das populäre Verständnis vom Menschen in der Arbeitswelt heute wandelt.

Doch bislang war die Literatur zum Thema dünn, wenig leserfreundlich und vor allem für Fachleute geschrieben; von der Populärliteratur eines international renommierten Jaron Lanier – Informatikpionier aus dem Silicon Valley – abgesehen. Das ändert sich jetzt. Eine Neuerscheinung aus den Reihen der Wissenschaft, der Anbieter und Anwender bietet einen fundierten Einstieg; selbst jenen, die schon viel verpasst haben. Der neu erschienene Herausgeber-Band „Human Resource Intelligence und Analytics“ von Prof. Dr. Stefan Strohmeier – Inhaber des Lehrstuhls für Management-Informations-Systeme der Universität Saarland – und Dr. Franca Piazza – ebenfalls am Lehrstuhl im Bereich Business Intelligence tätig – verknüpft elf Beiträge, unterteilt in vier Kapitel. Die Co-Autoren kommen anbieterseitig von der SAS Deutschland (Business Analytics und Business Intelligence Software), SAP, ROC Deutschland GmbH (Consultinghaus für SAP Human Capital Management) sowie anwenderseitig von der F. Hoffmann-La Roche Ltd. (Pharma) sowie Kromberg & Schubert (Automobilzulieferer).   

Diese Teamzusammensetzung mag erklären, warum SAP derart präsent ist in diesem Werk, und es erklärt, warum der Band keinen 360-Grad-Blick auf die HR Analytics-Szene bietet. Aktuelle Lösungen von vielen durch Cloud- und App-Lösungen agilen Start-ups bleiben unberücksichtigt. 
Dass muss kein Nachteil sein: Das Buch erklärt im ersten Teil wissenschaftlich fundiert die Ursprünge der Materie. Hier lernt der Leser Analysen nach …

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Foto von Matt Hoffman


> HR-Konzept,
> HR-Aspekt oder
> HR-Bedeutung

sowie nach …

> Datenstrukturierung,
> Datenherkunft
> Datenbreitstellung
> Datenanonymität

zu unterscheiden.
  

In der Folge werden verschiedene Abfragemodi besprochen und inzwischen klassische Analyseformen erläutert: Wie funktioniert Data Mining? Was kennzeichnet suchende Analysen? Was ist eine Zeitreihenanalyse? Es folgen Klassifikationsbaum- und Cluster- sowie allerlei simulierende  Analysen. Die Literaturangaben zeigen, dass viele vorgestellte Modelle durchaus nicht nur in der HR-Szene entwickelt wurden, sondern aus anderen Anwendungsgebieten stammen und für HR adaptiert werden können. Für die Debatte um möglichst smarte und humane Analytics ist diese Tatsache erhellend. Wer den ersten Teil aufmerksam liest, wird verstehen, unter welchen Maßgaben Analysen in der Vergangenheit vorgenommen wurden, er wird den Geist der Systeme verstehen und kann selbständig für sich die Frage beantworten, wo und in welcher HR-Hinsichten ehemals tayloristisch geprägte Architekturen auch in der Verwendung für künftige HR-Fragen sinnvoll sind. Dem Anfänger wird zudem klar, wie viele Entscheidungen der Aufbau eines Systems erfordert, wie aufwändig die Strukturen sind. Klartext: Längere Zeit an einem System bauen, um es dann einzuführen, wenn das eigene Geschäft und sich damit die Anforderungen gewandelt haben, ist wenig zweckmäßig. 

Selbst bauen, einkaufen oder Module und Lösungen mixen?

Wiewohl der Band durch die Aufnahme von Anbieterangeboten Systemen Präferenz zuweist, so stellt er aber auch die Frage in den Raum, was für einen Betrieb das Beste sein kann. Selbst bauen, einkaufen oder Module und Lösungen mixen? Umso wertvoller ist das Anwenderbeispiel von Kromberg & Schubert, welche selbst Systeme zu einem eigenen System kombiniert haben. Lobenswert am SAP-Beitrag  erscheint, dass die Autoren an den Wissenschaftsteil anschließen, indem sie SAP-Lösungen im Detail erklären. Dadurch ergibt sich für den Leser die Chance, sein Wissen und Verständnis aus dem Wissenschaftskapitel am Praxisteil zu verfeinern.

Wertvoll ist ebenfalls der Datenschutzexkurs des Buches. Welche Gesetzgebung greift bei Analysen zu welchen Zwecken? Gibt es Grauzonen, welche Erfahrungen haben Anwender bereits gemacht? Die Autoren streichen hervor, dass vor dem Hintergrund guter Personalführung zur Wahrung eines sozialverträglichen Betriebsklimas Rechtsaspekte schwer wiegen und zwingend eingearbeitet werden müssen in die Lösungen. Immerhin sollen diese lediglich Managemententscheidungen befördern –womit Intuition entgegen auch der Auffassung des Werkes eben nicht obsolet wird, denn Intuition ist immer noch das spezifisch menschliche Moment – es geht also nicht darum schlussendlich Algorithmen Betriebe und damit Menschen aufgrund ihrer Leistungsdaten führen zu lassen; wiewohl das mittelbar passiert.


Fazit: Das Werk bietet Grundlagen, wertvolle Literatursammlungen und regt zur Debatte an: Wie billig ist HR Analytic eigentlich? Wie smart wird es jemals sein können? Der größte Pluspunkt: Durch das Selbststudium gelingt es Lesern, künftig in einen profunderen fachlichen Austausch mit Anbietern zu treten, weil sie ein grundlegendes Verständnis entwickeln. Die neuen Kenntnisse könnten die Lust anregen, sich mit weiteren Werken auseinanderzusetzen. Wir empfehlen parallel die Lektüre von „Gadget – warum uns die Zukunft noch braucht“ von Jaron Lanier, Träger des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels.