Martin Gaedt

In unserem heutigen HRM-Podcast dreht sich alles um die Aussage „7,8 Milliarden Wege führe zu 7,8 Milliarden Bewerbern“. Die stammt von unserem Gast Martin Gaedt, Ideenrocker, Autor und Unternehmer in einer Person. Er wird uns erzählen, warum Menschen, die mit ihrer Meinung aus der Rolle fallen, Unternehmen nicht nur guttun, sondern sogar voranbringen. Und wie Personaler mit ungewöhnlichen Aktionen Bewerber auf sich aufmerksam machen können.

Martin Gaedt hält deutschlandweit provokante Vorträge, bei denen er meist ein knallrotes Sportjäckchen trägt, sein Markenzeichen. Sein 2014 erschienenes Buch “Mythos Fachkräftemangel” war seinerzeit und ist bis heute eines der meistdiskutierten HR-Bücher im deutschensprachigen Raum. Martin Gaedt ist Preisträger des Alternativen Wirtschaftsbuchpreis 2016 und Land der Ideen 2012.

Martin Gaedt und Alexander Petsch, der Gründer des HR Instituts, kennen sich seit vielen Jahren. Zuletzt liefen sich die beiden bei einer Book Release Party ihres gemeinsamen Freundes Henner Knabenreich über den Weg. „Da haben wir lecker vegan gegessen“, erinnert sich Alexander Petsch, „gut, es gab nur veganes Essen, aber es war trotzdem lecker“.

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Martin Gaedt: Und das sind wir schon voll beim Thema. Dass Henner eine Veranstaltung mit veganem Essen macht, ist halt individuell sein Stil. Ich kenne übrigens auch in Berlin ein Unternehmen, die bieten auch auf allen ihren Veranstaltungen nur veganes Essen an. Und auch in der Firma Kantine gibt es nur veganes Essen, weil es dem Inhaber wichtig ist. Und er sagt, wer das nicht will, kann ja woanders arbeiten. Und wer das aber will, für den ist es ein wichtiger Grund, da zu arbeiten. Wo findest du gutes veganes Essen in der Kantine?

00:01:43

Alexander Petsch: Also, erstmal schön, dass Du da bist, Martin! Du sprudelst wie auch in unserer ersten Episoden-Folge. Ich kam kaum zu Wort. Ich war auch so geflasht von den ganzen Ideen und Inputs. Vielen Dank, dass wir hier uns wieder zusammensetzen können. 7,8 Milliarden Wege zu 7,8 Milliarden Bewerber und Bewerberinnen. Du bist schon voll eingestiegen. Die Grundidee, die offenbar dahinter steckt, ist: Es muss nicht jeder zu jedem passen.

00:02:13

Martin Gaedt: Genau, und es passt auch nicht jeder. Und die große Stärke ist halt, wenn ich weiß, wen ich will. Man sagt ja auch so schön, Gleich und Gleich gesellt sich gern. Aber auch, Unterschiede ziehen sich an. Im Prinzip gibt es ja für beides Beispiele, und beides kann Sinn machen. Für manche, zum Beispiel in der Produktion, brauche ich vielleicht eher gleiche. Wenn es aber zum Beispiel um Wissensgenerierung, um neue Ideen, um neue Geschäftsmodelle geht, dann brauche ich auch unter meinen Bewerbern Menschen, die sich widersprechen. Sonst kriege ich ja gar keine Unterschiede, sonst kriege ich gar kein neues Geschäftsmodell. Das heißt, ich muss schon sehr genau wissen, wen ich will und dann kann ich eben sehr gezielt diese Leute suchen. Und wir hatten ja im ersten Gespräch dieses Beispiel mit den Wacken-Tickets. Dass eine Firma vier Tickets für Wacken verlost hat, weil sie rausgefunden hatte, dass Ingenieure überdurchschnittlich häufig auf Wacken sind. Und das war so außergewöhnlich, dass es einen langen Artikel in der Zeit gab 2012. Das heißt, immer wenn ich verstanden habe, wen suche ich, wo ist eigentlich die Einmaligkeit dieser Person oder Personengruppe, dann mache ich etwas, was andere noch nicht gemacht haben. Und jetzt kommt aber der Clou, und das Beispiel erzähle ich natürlich in allen meinen Vorträgen. Und dann kam die Personalverwaltung der Stadt Hamm auf mich zu. Also Hamm, wissen wir alle, attraktivster Arbeitgeber Deutschlands, bekannteste Stadt Deutschlands. Und die haben gesagt, wir suchen seit sechs Monaten Bauingenieure und wir kriegen keine einzige Bewerbung, obwohl wir auf allen Stellenportalen sind. Da habe ich gefragt, wollen sie sichtbar werden oder vielleicht sogar berühmt? Auf jeden Fall berühmt! Damit sind sie nach Hause gefahren, das war ihre Hausaufgabe. Zehn Tage später, dazwischen lagen zwei Wochenende, die hatten effektiv fünf Werktage, rufen die mich an: Wir stehen heute in der Bild! Hatte einen halbseitigen Artikel in der BILD, die Stadtverwaltung Hamm, dass sie Bauingenieure suchen. Weil sie sich folgende Aktion überlegt haben, und ich würde sagen, sie haben die Aufgabe meisterhaft geschafft, nämlich berühmt zu werden. Sie haben gesagt, die drei Bauingenieure, die bei uns anfangen, kriegen eine frei Fahrt auf dem Kreuzfahrtschiff Full Metal Cruise. Und haben sich dann super inszeniert mit E-Gitarren im Büro der Personalverwaltung von Hamm und haben eben diesen Bild-Artikel bekommen. Und über den Bild-Artikel dann eben auch Interviews auf RTL und so weiter. Und wenn ich das einmal geschafft habe, dann bin ich sichtbar und dann kriege ich auch die Bewerbung. Weil die Leute gibt es natürlich, die sind ja da, sie wissen nur nichts von dir. Und deswegen, wenn ich etwas über die Interessen, die Hobbys oder veganes Essen weiß, dann kann ich viel gezielter auf die Leute eingehen. Ein anderes Beispiel, das mich persönlich gerade in der Corona-Zeit sehr geprägt hat, war die Erfahrung mit einer Mitarbeiterin, die ich unbedingt einstellen wollte, die aber sehr geschwächt aus einem vorherigen Arbeitsverhältnis kam, sowohl psychisch als auch physisch sehr mitgenommen war, quasi ein Wrack war. Das würde sie selber, glaube ich, auch so sagen. Und im Vorstellungsgespräch, wir haben uns wirklich viel Zeit genommen, die Erwartungen gegenseitig abzuchecken, habe dann spontan gesagt, wir schaffen bei dir eine neue Regel, die erstmal nur für dich ist. Priorität Nummer eins, deine Gesundheit. Egal was du machst, egal welche Aufgaben du bekommst, egal welches Team gerade am Arbeiten ist, für dich gilt immer Priorität ein, deine Gesundheit. Und im Rückblick kann ich sagen, ich habe Sie häufig an diese Priorität eins erinnern müssen, weil sie gar nicht in der Lage war, darauf zu achten, weil alle Arbeitgeber vorher das nicht ermöglicht hatten. Und wir haben eigentlich gesagt, wir arbeiten zwei Jahre zusammen, weil wir zwei Ziele hatten: dass ihre Gesundheit wieder stabil wird und dass sie für die Selbstständigkeit vorbereitet wird, weil es war immer klar, sie will selber gründen. Und nach zwölf Monaten haben wir beide Ziele erreicht. Priorität eins Gesundheit. Wenn ich einen Menschen sehe, und das ist mir extrem wichtig, auch im Recruiting, geht es um Menschen. Wir arbeiten doch nicht um der Arbeit willen. Wir arbeiten, weil wir Menschen sind, weil wir unsere Welt gestalten, weil wir unsere Kommunikation gestalten, weil wir unser Miteinander gestalten. Und wenn wir das verstanden haben, dann sehe ich in jeder Bewerberin, jedem Bewerber, in jedem Mitarbeiter zunächst einen Menschen. Und die Menschen sind eben unterschiedlich. Ich sage immer, alle Menschen sind gleich im Unterschiedlichsein. Und das bedeutet, dass Personalgewinnung sich entsprechend auch unterscheiden muss.

00:06:59

Alexander Petsch: Also, Interessen kennen, Bedürfnisse nicht außer Acht lassen, Gesundheitsbedürfnis durchaus in den Vordergrund stellen. Welche anderen Wege führen dazu, dass ich die Nuggets an Bewerberinnen und Bewerber aus dem Meer der 7,8 Milliarden Menschen finde?

00:07:19

Martin Gaedt: Wir können direkt bei Bedürfnissen anknüpfen. Es gibt Berufe, zum Beispiel Köche, da brechen 50 Prozent der Azubis ab, was überdurchschnittlich viel ist. Aber auch ausgelernte Köche brechen zu 50 Prozent mehr oder weniger den Beruf ab. Und es gibt jetzt inzwischen mehrere Einzelhändler, die ich persönlich kennengelernt habe, die schreiben in ihre Stellenanzeigen ganz explizit rein, wir suchen Köchinnen und Köche, die eine geregelte Arbeitszeit suchen. Weil der Einzelhandel sucht häufig Fleischerei-Fachverkäufer oder auch andere Fachverkäufer. Die können geregelte Arbeitszeiten anbieten und sie suchen Menschen, die Lebensmittel lieben. Und die meisten Köche hören auf, weil sie die ungeregelten und oft auch ausbeuterischen Arbeitszeiten nicht mehr wollen oder nicht mehr können. Sie sind aber für den Einzelhandel zu 120 Prozent perfekt vorbereitet. Und wie gesagt, ich kenne mehrere Einzelhändler, sowohl in Nord- als auch in Süddeutschland, die das praktizieren und plötzlich sagen, ich kann mich gar nicht retten vor Bewerbungen. Weil es so viele Köchinnen und Köche gibt, die abbrechen. Ein anderes Beispiel für geregelte Arbeitszeiten ist ein Modell aus Schweden. Die haben festgestellt, dass Pflegekräfte mit die höchsten Krankheitsquoten haben, weil sie meiner Meinung nach vom System ausgenutzt und krank gemacht werden. In Schweden haben sie gesagt, wir schaffen ein Modell, drei Tage Arbeit, drei Tage garantierte Freizeit. Egal ob hier im Krankenhaus Personalnot ist. Unsere Mitarbeiter haben drei Tage garantiert Freizeit. Das führt in der Summe dazu, dass sie nur 85 Prozent der Arbeitszeit arbeiten und trotzdem vollen Lohn bekommen. Und das refinanzieren sie dadurch, dass ihre Fachkräfte seltener krank sind. Das Drei-zu-Drei-Modell nennen die das. Und auch da ist es wieder, Regel brechen kann durchaus auch heißen, ich schaffe eine neue Regel, ich schaffe eine neue Spielregel…

00:09:30

Alexander Petsch: … die sozusagen auf meinen Gesamtziel einzahlt.

00:09:34

Martin Gaedt: Richtig. Und dieses Neuregeln kann auch bedeuten, sich mal klar zu machen, welche Skills suche ich denn eigentlich wirklich? Es gab mal einen Uhrenmacher, der gesagt hat, Uhrenmacher gibt es wirklich nicht mehr. Da habe ich gesagt, kann ja sein, glaube ich sofort. Dann hat er gesagt, ja, aber ich bin ja schlau. Ich habe mir mal überlegt, was für Qualifikationen suche ich denn eigentlich? Also mal weg vom Titel, und habe festgestellt, Zahntechniker bringen schon 95 Prozent der Qualifikationen und Skills mit, die ich suche. Und seitdem stelle ich nur noch Zahntechniker ein. Und die fünf Prozent bringe ich denen noch bei. Und Zahntechniker gibt es wie Sand am Meer, weil das ein totaler Hip-Beruf ist. Ein anderes Unternehmen, die haben gesagt, ok, wir suchen einen Buchhalter. Muss der gut schreiben können? Nein. Also, Anschreiben und Lebenslauf bringt uns überhaupt nichts, um irgendwas über deren Qualifikation zu wissen. Muss der gut reden können? Nein. Also, Vorstellungsgespräch ist eigentlich völlig sinnentleert. Muss der gut lesen können? Na ja, er muss jetzt keine kryptischen Stellenanzeigen verstehen. Was wollen wir denn eigentlich? Wir wollen, dass er gründlich und ehrlich ist. Das sind für uns die Grundvoraussetzungen. Da haben sie gesagt, ok, wie finden wir raus, ob er gründlich und ehrlich ist? Die haben bei allen Überweisungen drei Cent zu viel überwiesen. Und der erste Buchhalter, der daraufhin angerufen hat, sie haben uns zu viel überwiesen, hat ein Jobangebot bekommen. Er ist gründlich und ehrlich. Wie finde ich raus, ob jemand gründlich ist? Das hat die drei Euro gekostet, die ganze Aktion. Das sind halt die Hausaufgaben, die ich mal gemacht haben muss. Welche Skills suche ich denn eigentlich und welche Berufe decken die eigentlich ab?

00:11:17

Alexander Petsch: Zu dem Thema „Wie finde ich die Richtigen?“ muss man, glaube ich, auch verstehen, dass man nicht in solchen Gesamtschubladen denken darf. Wir haben jetzt die Generation X, Y oder Z. Ich hatte ein paar Mal die Chance, mit dem von mir sehr geschätzten Peter Kruse auf dem Podium zu sitzen, der zu dem Thema geforscht hat, leider viel zu früh verstorben ist. Und der immer gesagt hat, mag zwar sein, dass vielleicht 60 Prozent einer gewissen Generation irgendwas als Vorliebe hat, aber mit den anderen 40 Prozent verhält es sich genau andersherum. Die einen wollen vielleicht mehr Sicherheit, aber ob das jetzt 60:40 oder 40:60 ist, ist für den Bewerbungsprozess der meisten Firmen völlig unerheblich.

00:12:11

Martin Gaedt: Da gibt es auch super Forschung dazu. Zum Beispiel von der Vorreiterin der Sinn-Forschung, Prof. Tatjana Schnell aus Innsbruck. Die hatte ja hervorragende Studien dazu, die genau das, was Du gerade gesagt hast, mit Fakten und Zahlen belegen. Genau diese 40:60 oder 50:50 oder so. Es gibt nicht DIE Generation. In Mecklenburg gab es mal so eine Umfrage, und 50 Prozent der Mecklenburger Schülerinnen und Schüler wollten Beamte werden, weil sie sich davon Sicherheit versprechen. Das heißt, man muss eigentlich immer einen Schritt dahinter gehen. Was ist denn eigentlich das Grundbedürfnis dahinter? Die wollen nicht Beamte werden, um des Beamten willen, sondern wegen der Sicherheit, die geboten wird. Und das ist noch so ein Irrglaube: Viele sagen immer, für die Jugendlichen müssen wir jetzt hip sein. Solange ich mich mit dem Thema beschäftige, steht auf Platz eins Sicherheit, gerade bei den jüngeren Jugendlichen, also bei den klassischen Azubis im Alter von 15 bis 17 Jahren. Nicht Kreativität, nicht Hipsein, nicht Regeln brechen, nein, Sicherheit, weil die natürlich in der Pubertät und Spätpubertät noch extrem unsichere Persönlichkeiten sind. Die viel Raum und auch Fürsorge brauchen. Und eben auch Sicherheit.

00:13:25

Alexander Petsch: Da haben die Arbeitgeber der öffentlichen Hand und auch die Bundeswehr gerade durch Corona ein Megathema an der Hand.

00:13:36

Martin Gaedt: Was sie oft nicht mal realisieren. Ich habe oft in Verwaltung Vorträge gehalten, viele haben das noch gar nicht realisiert, was sie eigentlich für a) spannende Arbeitsplätze oft haben und b) wie Du eben sagtest, eben auch Sicherheit bieten können. Und wenn ich eine Stadt mitgestalten kann und das wirklich auch als Gestaltungsaufgabe verstehe, egal ob im Wasserwerk, Klärwerk, Straßenplanung und so weiter, da kann ich unendlich kreativ werden. Und mit der Sicherheit, dann habe ich beides.

00:14:07

Alexander Petsch: Das inspiriert mich direkt. Wir haben so ein kleines Nischenportal, Kommunal-Jobs. Ich glaube, das sollten wir viel stärker in den Vordergrund stellen, bei den Tausenden von kommunalen Stellen, die darauf laufen.

00:14:19

Martin Gaedt: Na ja, und da spielt übrigens der von Dir vorhin erwähnte Job-Jackpot mit rein. Eine Kommune, eine Verwaltungsgemeinde hat, sagen wir mal, durchschnittlich 15 000 Einwohner. Die 15 000 Einwohner kennen 150 000 Leute hervorragend. Warum fragt denn die Kommune nicht einfach mal seine 15 000 Einwohner, wen könnte ihr mir empfehlen? Eine Stadt wie Aachen mit 250 000 Einwohnern kommt locker auf 2,5 Millionen Kontakte, wenn sie ihre Einwohnerinnen und Einwohner fragen würde. Das andere ist natürlich, und das habe ich heute Morgen ganz frisch in einer Umfrage gelesen, die sich mit Umfragen deckt, die wir selber im März durchgeführt hatten: 80 Prozent der 20 bis 29-Jährigen erwartet inzwischen, dass in der Stellenanzeige dezidiert Aussagen zu Homeoffice-Regelungen als auch zu Kurzarbeit-Regelungen sind. Das wird heute dezidiert in Stellenanzeigen schon erwartet. Wir haben im März eine Umfrage gemacht. Da hatten wir über 10 000 Antworten. Wollt ihr zukünftig Homeoffice, Büro oder Hybrid? 75 Prozent wollten eine Mischung. Und das nenne ich dann die ungeregelt geregelten Arbeitszeiten. Weil man jetzt auch nicht sagen kann, ok, jetzt machen wir für alle zwei Tage Homeoffice. Oder für alle dreieinhalb Tage Homeoffice. Oder bei uns nur ein Tag Homeoffice. Das wäre kontraproduktiv. Wenn ich ernst nehme, dass jeder Mensch anders ist und eine andere Lebenssituation hat, bedeutet das auch, dass ich Arbeitszeiten, soweit es möglich ist, passend zu der Person gestalte. Und es kommt noch ein anderer Faktor hinzu. Es gab eine Firma, die haben einen neuen Rechtsanwalt eingestellt und haben sich nach zwei Jahren gewundert, dass es keine Prozesse mehr vor dem Arbeitsgericht gab, seitdem der im Unternehmen war. Und die haben 500 Mitarbeiter, da hast du regelmäßig mit Entlassungen und Nachforderungen zu tun, also regelmäßig Prozesse. Seit der da war, kein einziger. Und dann haben sie sich mit der Persönlichkeit beschäftigt und realisiert, der ist hochsensibel. Ein Rechtsanwalt, der gleichzeitig hochsensibel ist, der immer dafür gesorgt hat, dass bei jeder Kündigung beide Seiten erhobenen Hauptes rauskommen. Mit einer Lösung, die für beide Seiten zufriedenstellend ist. Und das hat er dank seiner Empathie geschafft, keine Arbeitsprozesse mehr. Ich suche einen Rechtsanwalt, aber welche Firma achtet darauf, dass sie einen mit Empathie findet? Wenn sie das wollen, wenn Ihr Ziel ist, keine Arbeitsprozesse mehr zu führen. Und was ganz klar ist, wenn eine Firma Dinge nicht anbietet, die jemand erwartet, werden die Leute kündigen. Das haben mir mehrere nach unserer Umfrage auch persönlich geschrieben, haben gesagt, mein Arbeitgeber hat von mir in der schlimmsten Pandemiezeit erwartet, dass ich jeden Tag drei Stunden in öffentlichen Verkehrsmitteln zur Arbeit ins Büro fahre. Ich habe gekündigt. Heute fahre ich noch 15 Minuten zum neuen Arbeitgeber, und zwar mit dem Fahrrad. Ich finde immer eine bessere Alternative. Wenn Arbeitgeber sich in dem Punkt, und auch in vielen anderen Punkten, nicht umstellen, kriegen sie zu Recht Kündigungen und/oder keine Bewerberinnen und Bewerber. Das sagt aber nichts darüber aus, dass es einen Fachkräftemangel gibt. Die arbeiten dann nur woanders. Diese Individualität, die muss ich erst mal mental begreifen, dann wertschätzen und damit umgehen.

00:17:48

Alexander Petsch: Im Prinzip braucht man für jeden eine eigene Haltung.

00:17:53

Martin Gaedt: Was auch viel zu wenig berücksichtigt wird: Als Menschen sind wir Sinneswesen. Wir haben Ohren, Augen, eine Nase, wir haben eine Haut, die spürt, wir haben so Antennen, die spüren. Das heißt, wir haben ganz viele Sinne. Nur werden die mit den Stellenanzeigen sehr schmal angesprochen. Was kann ein Unternehmen also tun, um möglichst viele Sinne einer Person anzusprechen? Bei einer Veranstaltung stand nach meinem Vortrag mal ein Unternehmer auf und sagte, kann ja alles sein, aber bei mir haben Azubis unterschrieben und die kommen dann einfach nicht. Das ist doch das Problem. Das Gute ist, du hast in jeder Region solche und solche. Und dann standen andere Unternehmer auf und sagten, da muss ich widersprechen. Wir haben jedes Jahr 40 neue Azubis und bei uns ist noch nie passiert, dass einer nicht gekommen ist. Oder zumindest nicht angekündigt hat, dass er nicht kommen wird. Bei uns kommen 100 Prozent. Was macht er anders? Ab dem Tag der Vertragsunterzeichnung werden die kommenden Azubis schon mit eingebunden, in Aktionstage, in eine Firmenführung. Jetzt kommt der nächste Clou. Dann gibt es auch noch eine Firmenführung für die Familie, für Oma, Opa, Eltern, Geschwister. Und wenn der dann drei Tage vorher sagt, ich will doch nicht, dann sagt die ganze Familie, du gehst da hin. So, und der andere Unternehmer, den habe ich gefragt, wie lange haben sie schon keinen Kontakt mehr gehabt zu den Azubis, nachdem die unterschrieben hatten? So fünf, sechs Monate. Die haben dann wirklich teilweise fünf, sechs Monate keinen Kontakt mehr und erwarten, dass er am ersten Tag erscheint. Wie weltfremd ist das denn! Und deswegen die Sinne, also verstehen. Auch wenn Azubis kommen, stell eine leckere Torte hin oder was auch immer zum Unternehmen passt. Mach etwas, dass die nach Hause gehen und es wurden mehrere Sinne angesprochen. Und der Klassiker, Kaffee oder Tee, ist langweilig. Das ist ja kein Unterscheidungsmerkmal.

00:20:01

Alexander Petsch: Womit könnte man noch die Sinne ansprechen?

00:20:03

Martin Gaedt: Zum Beispiel Malermeister. Es gibt in Deutschland 40 000 Malereibetriebe und ich weiß ehrlich gesagt nicht, wie viele Schulen. Wahrscheinlich ähnlich viele, vielleicht ein paar mehr. Und viele sind in einem sehr schlechten Zustand. Jetzt könnte ein Malermeister hingehen und sagen, Leute, ich biete euch an, drei Räume neu zu streichen. Meine einzige Bedingung: die Klasse im Alter potenzieller Azubis muss mitmachen. Und dann streichen die zusammen drei Räume, von mir aus auch mehr. Und am Ende des Tages haben die Schülerinnen und Schüler mal erlebt, was es heißt, zu malern. Das Problem ist doch, dass die meisten Schüler die Berufe nie erlebt haben. Sie haben die Farbe gerochen, sie haben Spaß gehabt. Vielleicht ist es ein Malermeister, der viele Witze erzählt oder was auch immer. Das heißt, es gab ganz viele Ebenen, wo ich den Beruf kennengelernt habe und wo ich die Firma und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kennengelernt habe. Und dann habe ich eine echte Grundlage, um mich zu entscheiden. Und das kannst du eigentlich in jedem Beruf machen, im Gartenbetrieb, Garten- und Landbau. Die können einen Platz gestalten, die können sagen, ich biete euch an, wir bepflanzen den zentralen Platz neu. Aber Bedingung ist, da müssen 30 Schüler daran teilnehmen. Zack. Und das ist ja das Starke im Handwerk. Wir haben eine Million Handwerksbetriebe und obwohl wir sie alle irgendwie nutzen, kommen sie in unserer Realität wenig vor. Und ich glaube, Handwerk hat die besten Voraussetzungen. Eine meiner Töchter ist Tischlerin. Die liebt es, Holz zu riechen. Das war aber schon immer so, dass sie alle Dinge erst mal gerochen hat. Und die wurde dann Tischlern und baut jetzt zum Beispiel das tolle Bücherregal nach meinem Wunsch, nicht alles gerade zu bauen. Das war für sie eine große Herausforderung, weil sie natürlich in der Ausbildung gelernt hat, alles schön gerade mit Wasserwaage. Und ich habe dann gesagt, ich will die Regel brechen. Und das ihr dann aber auch Spaß gemacht. Also gerade auch im Recruiting Erlebnisse schaffen, man nennt es ja in der BWL schon lange Erlebnisökonomie. Riechen, schmecken, hören, mit allen Sinnen.

00:22:23

Alexander Petsch: Martin, herzlichen Dank! Du hast mich wieder sehr inspiriert mit Deinen Ideen und dem Feuerwerk an Beispielen, was man alles tun kann im Recruiting. Schön, dass Du da warst.

00:22:39

Martin Gaedt: Danke für die Einladung! Und es hat mir viel Spaß gemacht.

00:22:43

Alexander Petsch: Und wenn Ihr wieder die Zusammenfassung oder die Checkliste unseres heutigen Gesprächs sucht, einfach auf hrm.de Martin Gaedt oder unsere heutige Podcast-Folge in die Suche eingeben und dann findet Ihr alles kompakt zusammen. Wir freuen uns, wenn Ihr uns Feedback gibt. Und auch die erste Folge, die wir mit Martin Gaedt zum Thema „Kreativ Regeln brechen“ gemacht haben, kann ich Euch sehr ans Herz legen. Es war eine sehr inspirierende Unterhaltung. Martin, zum zweiten Mal herzlichen Dank für Dein tolles Input. Bleibt gesund, Glück auf und denkt daran, der Mensch ist der wichtigste Erfolgsfaktor für Euer Unternehmen.

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