Herr Große-Jäger, was misst der HPI aus Ihrer Sicht genau?

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Foto von Nastuh Abootalebi

Der HPI misst das Humanressourcenmanagement und deren Nachhaltigkeit in Organisationen. Das Bewertungsmodell basiert methodisch auf einem empirisch ermittelten Indikatoren-Ansatz. Die Indikatoren wurden danach ermittelt und gewichtet, ob sie mit der Wirtschaftlichkeit und Innovationsfähigkeit der Unternehmen in einem signifikanten Zusammenhang stehen. Eine große Zahl an Studien konnte in der Vergangenheit im Längsschnitt belegen, dass verschiedene Personalinstrumente wie zum Beispiel Instrumente für Personalauswahl oder Gesundheitsförderung Einfluss auf die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen haben. Der HPI greift auf diese Erkenntnisse zurück.

Was bringt das Unternehmen?

Sie erhalten die Möglichkeit, auf eine einfache Art und Weise eine Standortbestimmung vorzunehmen, denn sie können mit dem HPI ihre Instrumente und Initiativen zur Entwicklung des Humanpotentials messen und optimieren. Der HPI eignet sich auch zur internen Kommunikation über den Status der Prozesse und Systeme zur Förderung des Humanpotentials und den Nutzen einer nachhaltigen Personalarbeit.

Welche Motivation hat das Bundesarbeitsministerium, den HPI voranzubringen?

In der globalisierten Welt verschärft sich die Konkurrenz zu anderen wirtschaftlichen Regionen. Zudem nimmt der Altersdurchschnitt der deutschen Bevölkerung zu. Um unsere sozialen Standards zu halten, sind wir deshalb auf die Wertschöpfung und damit auf die Innovationsfähigkeit der deutschen Unternehmen angewiesen. Vor diesem Hintergrund gehört die Zukunft den Unternehmen, die qualifizierte Mitarbeiter gewinnen, weiterentwickeln, motivieren und dauerhaft an das Unternehmen binden. Wir wissen, dass vielen Betrieben bis heute ein systematischer, umfassender Ansatz in der praktischen Personalarbeit fehlt. Dieses Potential haben wir gemeinsam mit Experten aus der Wirtschaft und Wissenschaft mit der HPI-Entwicklung aufgegriffen. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales wollte in diesem Projekt nur Moderator und Ermöglicher sein. Der HPI ist für uns ein gemeinsam erarbeitetes Angebot für Unternehmen und ihre Personaler.

Sie möchten, dass der HPI auch als Instrument zur Bewertung des Humankapitals durch Banken und Finanzintermediäre zum Einsatz kommt, oder?

Das ist nicht zwingend. Unstrittig ist, dass die Humanressourcen für die Innovationsfähigkeit und die wirtschaftliche Zukunft von Unternehmen große strategische Bedeutung haben. Damit ist der Umgang mit den Mitarbeitern auch relevant für die Bewertung des wirtschaftlichen Potenzials einer Organisation. Die Unternehmen können den HPI somit in externen Bewertungsprozessen nutzen: Auch Finanzintermediäre prüfen, bei Kreditvergabe oder bei Investitionen, ob wesentliche Aspekte des Human Ressource Managements umgesetzt sind. Um sicher zu stellen, dass der HPI für diese Anwendung grundsätzlich geeignet ist, wurde die Mess-Methodik in Zusammenarbeit mit Finanzexperten entwickelt.

Manche Unternehmensvertreter sagen, mit dem HPI solle „von oben“ zwangsweise eine von vielen möglichen Methoden zur Humankapitalbewertung lanciert werden. Haben Sie die Praxis nicht genügend in die Entwicklung einbezogen?

Die Bedeutung des Humankapitalmanagements bezweifelt keiner und Ansätze zu dessen Messung gibt es viele, aber bisher fehlt ein Instrument mit einer breiten Akzeptanz. Deshalb haben wir versucht, möglichst viele Stakeholder einzubinden. Der HPI ist im Diskurs mit Unternehmensvertretern, Finanzexperten und Wissenschaftsvertretern entstanden. Die Nachfrage zu diesem Instrument ist sehr stark von Seiten der Unternehmen gekommen. Die hohe Beteiligung von über 130 Unternehmen in der ersten Erhebungsphase belegt das breite Interesse. Alle Beteiligten in der Entwicklung haben einen fairen Austausch erlebt. Die Rückmeldungen der anwendenden Unternehmen zeigen zudem, dass diese sehr selbstbewusst mit den Ergebnissen umgehen und der HPI keineswegs als Zwang oder Manipulation empfunden wird. Es geht um das Ziel, Personalarbeit zu professionalisieren. Dabei gibt es kein oben.

Den Versuch, einen Ansatz nach vorne zu treiben, haben viele als Monopolisierung interpretiert. Zu Unrecht?

Ein Instrument, das viele anwenden, ist natürlich wirkungsvoller im Hinblick auf eine Standortbestimmung und das Benchmarking. Das heißt aber nicht, dass andere Bewertungsverfahren nicht mehr relevant wären. Viele Humanbewertungsansätze sind anschlussfähig und können die Ergebnisse aus dem HPI mit weiteren Sachverhalten ergänzen.

Viele Beobachter fürchten zudem, der HPI könne in eine gesetzliche Regelung münden.

Freiwilligkeit war immer das oberste Ziel beim HPI. Denn eine breite Akzeptanz setzt seine freiwillige Anwendung voraus. Die Entwicklung des HPI war nie als erster Schritt für eine mögliche rechtliche Regelung gedacht.

Stimmt es, dass sich der HPI negativ auf Unternehmen auswirken könnte, wenn sie in einer schwierigen wirtschaftlichen Lage Personal entlassen müssen?

Nein, genau das trifft aus zweierlei Gründen nicht zu. Zum Einen wird der HPI im Rahmen einer Selbstauskunft ausgefüllt und kann später durch ein Auditing unterlegt werden. Die Unternehmen entscheiden selbst, wie Sie mit den Ergebnissen umgehen. Zum Zweiten schneiden Unternehmen grundsätzlich nicht schlechter im HPI ab, wenn sie notwendige Restrukturierungen oder Personalabbaumaßnahmen realisieren müssen. Vielmehr ist entscheidend, wie professionell sie solche Maßnahmen gestalten. Eine „Gutmensch-Auffassung“ von Personalarbeit, wie sie manche unterstellen, hätte von Anfang an eine Festlegung bestimmter Indikatoren bedurft. Das war aber nicht der Fall. Jeder Indikator musste sich im Verhältnis zu wirtschaftlichen Erfolgskennziffern beweisen.

Kritische Befürworter wie Prof. Deller von der Universität Leipzig begrüßen die Zielsetzung des Projekts, fordern aber den HPI weiterzuentwickeln. Inwiefern setzen Sie diese Forderungen um?

Der Indikatorensatz des HPI ist nicht in Stein gemeißelt. Schon jetzt hat eine Arbeitsgruppe die Indikatoren weiter entwickelt. Sobald sich die Rahmenbedingungen der Unternehmen ändern, ändert sich auch der HPI. Im Laufe der Zeit können neue Indikatoren für neue HR-Themen hinzukommen. Heute wird beispielsweise der Werttreiber demographische Entwicklung nur durch einige Indikatoren abgebildet. Da dieser Aspekt zukünftig eine immer größere Rolle spielen wird und die Breite an geeigneten Personalinstrumenten sich erweitert, werden diese Indikatoren weiter ausdifferenziert. Auch eine längerfristige Betrachtung, die Aussagen darüber macht, wie sich Humankapitalmanagement im Laufe der Zeit auswirkt, sollte einfließen. Aber am Anfang fehlt dazu die Datenbasis. Jede Längsschnittbetrachtung fängt mit einem Querschnitt an.

Einzelne Akteure, die bisher in den Entwicklungsprozess eingebunden waren, haben jedoch ihre Mitarbeit beendet – wie die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA). Wie soll es nun weitergehen?

Der Konsens der Beteiligten ist eine wichtige Voraussetzung dafür, dass das Bundesministerium für Arbeit und Soziales seine Moderatorenrolle ausfüllen kann. Deswegen nehmen wir die Reaktion der BDA zum Anlass, die bisherige Form unseres Engagements für die Umsetzung des HPI zu überdenken. Andererseits melden sich viele Unternehmen, die großes Interesse daran haben, das Instrument fortzuführen. Wir werden in den nächsten Wochen die Ergebnisse der verschiedenen Arbeitsgruppen zur Fortentwicklung des HPI veröffentlichen. Damit stellen wir alle Informationen, die wir in diesem Zusammenhang haben, zur Verfügung. Wir hoffen, dass damit der Blick auf die Sache wieder in den Vordergrund rückt und sich eine geeignete neutrale Plattform außerhalb des Ministeriums entwickelt, die von den Anwendern getragen wird und die die notwendige Transparenz und Qualitätssicherung sicherstellt.

Welche Vorstellungen haben Sie von dieser neutralen Plattform?

Eine neutrale Plattform muss so gestaltet sein, dass die berechtigten Interessen der Unternehmen an der Sichtbarmachung ihres nachhaltigen Humanressourcenmanagements sichergestellt sind. Verschiedene Institutionen und Expertengremien können dies leisten. Konkrete Vorstellungen gibt es hierzu im Augenblick nicht. Ich bin jedoch zuversichtlich, dass der Entwicklungsprozess auch ohne Moderation durch den BMAS fortgesetzt wird.

Interview: Stefanie Hornung