Herr Prof. Opaschowski: Im Kontext der Zukunft Personal interessieren vor allem Ihre Vorhersagen für die Arbeitswelt. Angesichts der heute fließenden Übergänge zwischen Berufstätigkeit und Freizeit – eine Entwicklung, auf die Sie bereits in den 70er Jahren verwiesen – ist dies allerdings ein zentraler Lebensbereich, der auf alles andere abstrahlt. Wie wichtig ist der Beruf beziehungsweise Arbeitsplatz für ein erfülltes Leben? 

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Foto von Austin Distel

Arbeit ist ein zentrales Feld der Lebenserfüllung: Sich Herausforderungen stellen, gefordert werden, Leistungen erbringen und Erfolgserlebnisse haben – das macht die besondere Qualität beruflicher Arbeit aus. Der Mensch kann auf Dauer nicht untätig in seinen eigenen vier Wänden verweilen. Daher sage ich: Leben ist die Lust zu schaffen.

Veranstaltungstipp

Keynote-Vortrag von Prof. Dr. Horst W. Opaschowski auf der Messe Zukunft Personal:
„Deutschland Vision 2030. Wie wir in Zukunft arbeiten und leben“ ,
im Anschluss Public Interview
Dienstag, 25. September, 14.30 bis 15.30 Uhr, Koelnmesse, Halle 11.2, Forum 1

Direkt im Anschluss Podiumsdiskussion der Süddeutschen Zeitung:
„Zukunftsforum Personalarbeit: Was Personaler morgen zum Unternehmenserfolg beitragen müssen“

Weitere Informationen: www.zukunft-personal.de

Ihr Zukunftsszenarium für Deutschland im Jahr 2030 fällt düster aus: Der Schuldenberg wächst ins Unermessliche, die Politik verliert jegliche Glaubwürdigkeit, die Zweiklassengesellschaft wird zementiert, die Armut wächst, der Sozialstaat kippt. Spätestens beim Punkt  „Burnout im Beruf wird zur Normalität“ sollten doch wohl bei allen Arbeitnehmern und Arbeitgebern die Alarmglocken schrillen?

Sie rufen zu Recht laut „Hilfe!“. Sie haben das Worst-Case-Szenario beschrieben, das Antworten auf die Frage gibt: Was passiert, wenn nichts passiert, wenn wir also die Entwicklung so weiterlaufen lassen, wie sie läuft, wenn wir die Entwicklung nicht ändern oder gegensteuern. Das kann, muss aber nicht Wirklichkeit werden.

Das Burnout-Phänomen greift bereits um sich. Wie können Menschen lernen, dosiert zu arbeiten und rechtzeitig abzuschalten?

„Burnout“ ist das derzeit am meisten gegoogelte medizinische Fachwort. Die Info-Flut und die Erwartung permanenter Präsenzbereitschaft machen die Menschen nachweislich nervöser und aggressiver. Die Stressbelastungen im Beruf nehmen weiter zu. Hier gibt es nur einen Ausweg: Für einen Ausgleich im privaten Leben sorgen, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren. „Balancing“ könnte das Zauberwort lauten. Ich lebe danach. Ein Grundsatz meines Lebens lautet: Nutze jede Gelegenheit, um zur Ruhe zu kommen.

Das wird aber immer schwerer, gerade für motivierte Mitarbeiter: Die neue Technik ermöglicht ihnen, immer und überall zu arbeiten. So werden sie ständig dazu verleitet, ihre Gesundheit hintanzustellen.

Arbeit ist kein Gesundbrunnen. Das wissen auch die hochmotivierten Leistungsträger, die in besonderer Weise gefährdet sind. Sie arbeiten immer öfter auf Hochtouren und haben dabei das Gefühl: „Nie mehr Feierabend!“ Bei dieser Stress-Rallye ist der gesundheitliche Zusammenbruch nur eine Frage der Zeit.

Die digitale Revolution hat Einfluss auf alle Lebensbereiche. Ist Medienkompetenz inklusive Vernetzungsfähigkeit mehr denn je Schlüsselfaktor – nicht nur für Erfolge und Zufriedenheit im Beruf, sondern auch im Privatleben?

Medienkompetenz bereichert das Leben durch den ebenso spielerischen wie souveränen Umgang mit den neuen technischen Möglichkeiten. Doch die pausenlose Mediennutzung kann auch neue Abhängigkeiten und Risiken schaffen und zum Kommunikationskiller werden. Die Alltagserfahrung zeigt: Private Gespräche verstummen, sobald das iPhone auf den Tisch gelegt wird. Andererseits möchte niemand mehr auf die digitale Revolution verzichten: Sie macht das Leben leichter und bequemer.

Die neuen Freiheiten, die mit der Flexibilisierung der Arbeitszeiten einhergehen, sind nur eine Seite der Medaille. Auf der anderen Seite verlangen sie von jedem Einzelnen Verantwortungsbewusstsein, Selbstdisziplin und Organisationstalent. Sind die Menschen dazu überhaupt in der Lage?

Zunächst einmal bedeutet mehr Flexibilisierung auch mehr Individualisierung. Das ist ein sozialer Fortschritt, aber auch eine große Herausforderung für jeden Einzelnen. Flexibilität darf nicht auf Kosten der Verlässlichkeit gehen. Nicht alle gehen verantwortlich mit den neuen Freiheiten und Freiräumen des Lebens um. Bildung und soziale Herkunft entscheiden wesentlich darüber, ob es auch gelingt.

Sie sagen voraus, dass Beschäftigungsverhältnisse auf Zeit zunehmen. Wenn aber Arbeitsverhältnisse nicht mehr auf Dauer angelegt sind, wie entsteht dann Bindung zum Dienstherrn beziehungsweise Vorgesetzen?

Weil es keine Beschäftigungsgarantien mehr gibt, lassen auch Betriebstreue und Loyalität der Arbeitnehmer nach. Die Bereitschaft zur Bindung ist schließlich keine Einbahnstraße. Die Gesellschaft der Zukunft wird eine Gemeinschaft auf Gegenseitigkeit sein: „Wie du mir, so ich dir …“. Betriebsklima und Firmenkultur werden sich grundlegend verändern.

Welcher Führungsstil ist zukunftsfähig?

Die Arbeitswelt wird weiblicher. Der patriarchalische Führungsstil überlebt sich. Der abhängige Beschäftigte wird kein Leitbild mehr sein, sondern jeder muss für sich selbst lernen, unternehmerisch tätig zu werden. Die Zukunft gehört dem „Unternehmer am Arbeitsplatz“ und nicht mehr nur dem Arbeitnehmer oder Angestellten, der „irgendwo rangestellt“ wird. Die Frage ist natürlich: Sind die Beschäftigten auf diesen Wandel vorbereitet? Lässt sich unternehmerisches Handeln lernen?

Zukunftsforschung soll Handlungsspielräume schaffen. Wo sehen Sie Spielräume für Arbeitgeber und Arbeitnehmer zum Gegensteuern?

Weitsicht ist in einer schnelllebigen Zeit geradezu Zukunftspflicht. Auch der Ruf nach „Nachhaltigkeit“ meint nichts Anderes als Vorausschau und Vorsorge. Zukunftsforschung schafft hier Orientierungswissen, das genutzt werden muss.

Erwarten Sie eine Gegenbewegung zur Technisierung und Digitalisierung des Lebens wie sie sich bereits in der neuen Landlust oder Projekten wie den Urban Gardens zeigt?

Die Gegenbewegung hat doch längst begonnen. Für jeden vierten Bundesbürger ist schon jetzt der private „Internetausstieg“ kein Tabu mehr. Und die wachsende „Landlust“ ist auch eine Reaktion auf die Übertechnisierung und Cyberisierung des Lebens.

Wie bewahren Sie sich selbst vor zu viel „Ansprache“?

Hier lebe ich nach der Regel: Wenn du aus dem Kontaktstress aussteigen willst, musst du dir und anderen wehtun. Ich setze mitunter wertvolle Beziehungen auf’s Spiel und kann dabei auch andere Menschen verletzen, weil ich Kontakterwartungen nicht erfülle. Trotzdem: Weniger ist mehr!

Die Lage ist ernst, aber aus Sicht des Zukunftsforschers nicht hoffnungslos. Woraus schöpfen Sie die „nötige Portion Hoffnung?“

Für einen Zukunftsforscher gilt: Optimismus ist Pflicht. Dafür lohnt sich jede Anstrengung – damit unsere Kinder eine lebenswerte Zukunft vor sich haben.

Interview: Petra Jauch

Zur Person: Prof. Dr. Horst W. Opaschowski, geboren 1941 in Beuthen/Oberschlesien, ist Zukunftswissenschaftler und  Berater für Politik und Wirtschaft.  Der international renommierte „Mr. Zukunft“ (dpa) studierte Pädagogik, Psychologie, Soziologie und Philosophie an den Universitäten Köln und Bonn. Nach der Promotion zum Dr. phil. 1968 in Köln wirkte er von 1975 bis 2006 als Professor für Erziehungswissenschaft an der Universität Hamburg. 1979 gründete er das BAT Freizeit-Forschungsinstitut, von 2007 bis 2010 engagierte er sich als wissenschaftlicher Leiter und Kuratoriumsvorsitzender in der Nachfolgeorganisation BAT Stiftung für Zukunftsfragen.

Prof. Dr. Horst W. Opaschowskis Standardwerk der Zukunftsforschung „Deutschland 2030. Wie wir in Zukunft leben“, Erstveröffentlichung im August 2008, erschien 2009 in Zweitauflage im Gütersloher Verlagshaus. Sein jüngstes Werk „Der Deutschland-Plan. Was in Politik und Gesellschaft getan werden muss“ kam 2011 auf den Markt (Gütersloh).