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Foto von bruce mars
Herr Prof. Lay. Was bedeutet Fairness für Sie?
Fairness bedeutet, dass ich mein Gegenüber als Menschen anerkenne und so behandle, wie ich selbst gerne behandelt werden würde. Eine Unternehmenskultur ist dann fair, wenn Führungsebene und Mitarbeiter ehrlich und offen miteinander umgehen. Das bedeutet, dass Beschäftigte Kritik an Vorgesetzten üben können und umgekehrt. Die Mitarbeiter entwickeln dann ein „Wir-Gefühl“, kein „Ich-Sie-Gefühl“. Sie bauen also keine Opposition zur Chefetage auf. Im Gegenteil: Prinzipiell sind alle gleichberechtigt. Die Beschäftigten haben zwar unterschiedliche Positionen inne und erhalten Gehälter in unterschiedlicher Höhe, aber im Prinzip sind alle gleichberechtigt.

Das hört sich schön an. Aber was bringt Fairness den Unternehmen?
Geld. Firmen, die Fairness als Teil ihrer Unternehmenskultur leben und auch überprüfen, ob ihre Mitarbeiter sich fair verhalten, verdienen mehr als andere. Denn wenn sich Menschen in einem Unternehmen wohl fühlen, wenn sie gut behandelt und in ihrer Individualität akzeptiert werden, dann sind sie motivierter.

Das offene Klima führt auch dazu, dass Fehler schneller erkannt und behoben werden können. Vertrauen MitarbeiterInnen ihrem Chef, dann werden sie eher zu ihm gehen, wenn mal etwas schief gelaufen ist. Sie werden ihn offen ansprechen und beide können gemeinsam überlegen, wie sie das Problem lösen.

Welche Formen unfairen Verhaltens kommen Ihrer Erfahrung nach im Arbeitsalltag besonders häufig vor?
Besonders häufig üben Kollegen oder Vorgesetzte Druck aus, erzeugen Angst und Unsicherheit. Das kann bis hin zum Mobbing gehen. Fälle von Mobbing liegen zum Beispiel vor, wenn Vorgesetzte die Arbeit von Untergebenen runter machen, obwohl sie gut ist, oder wenn die Kollegen Einzelne ausgrenzen. Mobbing-Opfer werden nicht als Menschen anerkannt. Die Wirkung dieses unfairen Verhaltens wird durch die allgemeine wirtschaftliche Lage noch verschärft. Denn viele Menschen haben zurzeit Angst, ihren Arbeitsplatz zu verlieren.

Wie können sich Einzelne gegen unfaire Attacken - zum Beispiel aus dem Kollegenkreis - wehren?
Auf keinen Fall sollten die Betroffenen die Vorfälle für sich behalten und in sich hineinfressen. Sie sollten mit ihren Vorgesetzten, dem Betriebsrat und notfalls auch mit der Unternehmensführung sprechen.

Gibt es bestimmte Organisationsformen, die unfaires Verhalten fördern können?
Unfaires Verhalten kann grundsätzlich in allen Strukturen vorkommen. Allerdings kommt es in Unternehmen mit vielen Hierarchiestufen häufiger vor. Sie erleichtern den Missbrauch von Macht und auch das dumme Gerede über einzelne Mitarbeiter. Ich glaube, dass sich unfaires Verhalten von oben nach unten fortpflanzt. Meist üben die obersten ChefInnen Druck auf die Untergebenen aus, die den Druck weitergeben.

Wie können Unternehmen ihre MitarbeiterInnen zur Fairness anhalten?
Wichtig ist, dass ein Unternehmen das Prinzip der Fairness verbindlich in seinem Wertekatalog festlegt. Es sollte dafür sorgen, dass MitarbeiterInnen, die sich nicht an dieses Prinzip halten, keine Aufstiegsmöglichkeiten haben. Wenn jemand grob gegen das Fairness-Prinzip verstößt, muss dies zur Entlassung führen. Ich selbst bin Aufsichtsratsmitglied in einigen Unternehmen und habe allein im Jahr 2000 miterlebt, dass vier Unternehmen ihren Vorstand auswechseln mussten. Denn diese Vorstände hatten versucht, die Beschäftigten mit Angst, Druck und Terror zu „motivieren“.

Welche Aufgaben kommen den Personalabteilungen beim Durchsetzen des „Fairness-Prinzips“ zu?
Eine sehr wichtige. Sie müssen dafür sorgen, dass nur geeignete Mitarbeiter eingestellt werden, also zum Beispiel Führungskräfte, die geeignete Soft Skills besitzen. Das heißt, sie sollten wirkliche Führungspersönlichkeiten einstellen. Von dieser Sorte gibt es im deutschsprachigen Raum viel zu wenige.

Was macht eine Führungspersönlichkeit aus?
Eine Führungspersönlichkeit hat drei Ziele: Sie will den Unternehmenserfolg steigern, das Fachwissen der Mitarbeiter - und damit die Kompetenz der Abteilung - optimieren und ein Vertrauensverhältnis zu den Beschäftigten aufbauen. Wer in einem dieser drei Bereiche schlechte Leistungen bringt, ist keine wirkliche Führungspersönlichkeit. Natürlich sollten Führungspersönlichkeiten auch andere grundlegende Eigenschaften besitzen, wie zum Beispiel Durchsetzungskraft.

Wie können Führungskräfte eine offene und faire Unternehmenskultur fördern?
Indem Sie ein faires Verhalten und eine offene Kommunikation vorleben. Die meisten Kommunikationsprobleme im Arbeitsalltag treten aus denselben Gründen auf: Sie entstehen, weil die Beteiligten nicht genau zuhören oder nicht präzise ausdrücken, was sie wollen oder meinen. Oft wird ein Gespräch auch abgebrochen, weil einer der Gesprächspartner eine „nicht anschlussfähige“ Bemerkung macht, also etwas sagt, worauf man eigentlich nichts mehr erwidern kann. Das kann zum Beispiel ein dummer Witz sein, der die Unterhaltung ins Lächerliche zieht.

Wie wichtig ist Feedback für eine offene Unternehmenskultur?
Feedback ist im Arbeitsalltag leider selten konstruktiv. Denn oft verfolgen Feedback-Geber strategische Ziele. Sie sind nicht frei von Vorurteilen und eigenen Interessen. Deshalb drängen sie andere in eine für sie günstige Ecke.

Sie propagieren einerseits eine offene Unternehmenskultur, halten aber nichts von Feedback. Wie passt das zusammen?
So war das nicht gemeint. Ich denke nur, dass man sich nicht nach einem einzelnen Feedback richten, sondern mehrere Kollegen nach ihrer Meinung fragen sollte.
 
Zum Beispiel mit Hilfe von 360-Grad-Feedback?
Es geht in diese Richtung, aber 360-Grad-Feedback ist in der Praxis leider selten zu erreichen. Denn Feedback kann nur den Bereich des Verhaltens erfassen, der in Interaktion mit einer bestimmten Person stattgefunden hat. Bei einer Führungskraft können die Mitarbeiter höchstens 90 bis 180 Grad des Verhaltens beurteilen.

Ein zentrales Thema Ihrer Arbeit mit Führungskräften ist das Thema Motivation. Wie kann man Beschäftigte am besten motivieren?
Erwachsene Menschen kann man am besten motivieren, indem man ihnen die Vorteile des Handelns deutlich macht. Das kann ich über Motivation oder Edukation erreichen. Edukation liegt vor, wenn ich jemanden dazu bringe, etwas zu tun, das überwiegend ihm selbst Vorteile bringt. Motivation meint, jemanden von einem Verhalten zu überzeugen, das ihm und dem Unternehmen gleichermaßen nutzt.

Als Trainer, Berater und Aufsichtsrat haben Sie viele Unternehmen kennen gelernt. Als Priester haben Sie sich kritisch mit der Kirche auseinander gesetzt. Sehen Sie Parallelen zwischen weltlichen und religiösen Organisationen?
Ja, die Kirche funktioniert im Prinzip genauso wie ein großes Unternehmen. Und es gibt eine weitere Parallele zwischen weltlichen und religiösen Organisationsformen: Ihr Ende ist absehbar. Denn früher oder später, das ist zumindest meine Überzeugung, werden diese Organisationsformen zugrunde gehen. Auch der Kapitalismus geht seinem Ende zu. Wir erleben seine Endphase, die man gemeinhin Globalisierung nennt. Was danach kommt, wissen wir noch nicht.


Interview: Bettina Geuenich

Webtipps
www.fairness-stiftung.de
www.rupert-lay.de

Buchtipps
Dialektik für Anfänger. Methoden des erfolgreichen Angriffs und der Abwehr.
Von Rupert Lay. Ullstein 2003

Führen durch das Wort. Motivation, Kommunikation, Praktische Führungsdialektik.
Von Rupert Lay. Econ 2002


Quelle: personal manager 4/2004