Thought Leadership bedeutet Meinungsführerschaft in einem Themenbereich. Das kann eine Arbeitgebermarke nach vorne bringen, birgt aber auch viele Gefahren. Der Experten-Roundtable diskutiert, wo der Unterschied zu klassischen Markenbotschaftern liegt und unter welchen Voraussetzungen es sich lohnt, über eine Thought-Leadership-Strategie nachzudenken.

Roundtable
Thought Leadership – Ein Spiel mit Chancen und Risiken

Ingrid, auf Eurer Website werden unter people@detecon vier Persönlichkeiten aus dem Unternehmen vorgestellt: Sind das Thought Leader, sind das Markenbotschafter – welche Funktion haben die Kollegen?

Ingrid Blessing: Das sind Vertreter aus unterschiedlichen Bereichen des Unternehmens, die zu verschiedenen Themen Rede und Antwort stehen können. Sie sind zunächst einmal Markenbotschafter, die dem Unternehmen ein Gesicht geben.

Und die Marken-Botschafter bei Otto: Sind das auch Thought Leader?

Angelina Peipers: Das hängt von ihrem Profil ab. Unser Programm ist aus dem Human-Resource-Bereich heraus entstanden und im Detail ein Job-Botschafter-Programm. Unter diesen Job-Botschaftern sind auch Fachexperten – und die würde ich durchaus als Thought Leader einordnen, weil sie mit ihrem Wissen und ihrer Expertise kommunizieren.

Auctority baut Thought Leader auf: Wo liegt eigentlich der Unterschied zwischen Thought Leader und Markenbotschafter?

Randolf Jessl: Ein Thought Leader braucht die fachliche Perspektive, das Branding über ein Thema. Der Thought-Leadership-Gedanke startete am Anfang zunächst unabhängig von Personen und bediente sich gängiger PR-Tools wie zum Beispiel Studien. Für mich gibt es heute zwei Ausprägungen: Leute, die eine Art überlegenes Wissen haben, und – mir am liebsten – Vordenker, die mit innovativen Gedanken glänzen.

Wer würde Dir dazu einfallen, Alexander?

Alexander Petsch: Aus unserer HR-Perspektive? Natürlich so jemand wie Stephan Grabmeier. Allerdings finde ich, dass der immer eher auf sich selbst eingezahlt hat und weniger auf die Unternehmen, für die er aufgetreten ist. Auch Indeed hat mit Tim Verhoeven jetzt einen Blogger als Chief Evangelist eingestellt, und Stepstone hat diese Position schon länger besetzt. Ich kann die Notwendigkeit verstehen: Es ist Teil des Marketings, soll das eigene Know-how auf Bühnen bringen oder über Podcasts kommunizieren. Ein CEO könnte das meist allein zeitlich gar nicht leisten. Aber sind das Thought Leader? Für mich persönlich haben eher Unternehmen diese Rolle. Zum Beispiel 3M mit seiner Innovationskultur und vielen abgefahrenen Produkten. Tatsächlich kenne ich keine einzige Person von 3M.

Auctority will aber doch Top Manager als Thought Leader aufbauen. Stimmt die These, dass CEO, Geschäftsführer & Co. das gar nicht leisten können?

Randolf: Das kommt darauf an. Die Haufe-Gruppe zum Beispiel, bei der ich lange gearbeitet habe, hat sehr früh begonnen, Wettbewerbs-Nachteile über Personen auszugleichen. Der Verlag war ein badischer Fachverlag, der plötzlich durch Zukauf in Konkurrenz mit Oracle oder SAP stand. Über Experten ist Haufe schnell in eine digitale, innovative Wahrnehmung gekommen. Der Thought Leader war dabei Hermann Arnold, der Gründer des zugekauften Unternehmens. Stephan Grabmeier hatte die Rolle des Evangelisten. Das Unternehmen als Thought Leader, wie zum Beispiel 3M, ist für mich eher die alte Welt.

Angelina, Otto war doch als Unternehmen auch Thought Leader in seinem Bereich, weil es in Deutschland den Distanzhandel komplett verändert hat. Dennoch baut ihr Leute auf. Warum?

Angelina: Wir besetzen den Begriff Thought Leader eigentlich intern nicht, weil das für uns etwas sehr, sehr Großes ist. Es geht dabei um die Verantwortung für ein gesamtes Thema. Dafür muss das Unternehmen vorher definieren, wer es ist und wohin es will. Wir haben dafür klare Vorstellungen und nutzen unsere Kollegen und Kolleginnen als Botschafter, um diesen Weg zu verdeutlichen. Daran knüpft unser Jobbotschafter-Programm an. Da soll sich jeder für ein Modul entscheiden, für das er oder sie stehen möchte.

Randolf: Ich sehe das genauso. Thought Leader hört sich unheimlich groß an – das ist ein Problem. Das zweite Problem: Leute, die sich selbst für groß halten, glauben, dass sie deswegen schon Thought Leader sind. Aber so funktioniert das nicht. Dafür braucht man Ideen, Erfahrung, Wissen, die es wert sind, dass andere dieser Persönlichkeit folgen. Das Thema Markenbotschafter ist da die leichtere Nummer. Da reichen – provokativ gesprochen – auch nette Instagram-Fotos aus dem Bälle-Bad.

Angelina: Wir sprechen daher immer eher von Experten, die eine entsprechende Experten-Community bilden, um ihr Wissen nach außen zu tragen.

Randolf: Dazu kommt, dass Begriffe wie Thought Leadership oder Personal Brand bei bestimmten Altersgruppen schlecht ankommen – bei den jüngeren weniger schlecht als bei älteren. Bei Letzteren werden Thought Leader schnell als Wichtigtuer verdächtigt. Wir reden daher lieber von Themen-Botschaftern, ziehen das an Expertise auf.

Alexander: Bei mir schrillen da alle Alarmglocken. Wenn jemand nicht mindestens 10.000 Stunden Praxis in einem Thema hat, ein echter Experte ist, ist das für mich eine Clown-Nummer. Dann akzeptiere ich das nicht. Das ist für mich ein großes Risiko. Dann doch lieber das Unternehmen als Thought Leader, unabhängig von Personen.

Ingrid: Das funktioniert zwar – aber am Ende immer auch durch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Davon bin ich überzeugt. Der Ansatz von Detecon ist: Wir wollen unsere Berater dazu befähigen, Ihr Wissen besser zu transportieren, damit die Unternehmensmarke davon profitieren kann. Auch bei Apple ist es immerhin Steve Jobs gewesen, der das Unternehmen nach vorne gebracht hat – und ohne die Person würde man vielleicht den Apfel schick finden, aber Apple kein Thought Leadership zubilligen.

Angelina: Ich glaube auch, dass das ohne Personen unglaubwürdig wäre.

Das nach dem Henne-Ei-Problem: Was war zuerst da? Das Thought Leadership des Unternehmens oder das seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter? Aber festhalten können wir vielleicht, dass ein richtiger Thought Leader ähnlich wie ein Markenbotschafter Charisma und Ausstrahlung braucht, aber darüber hinaus eben auch Expertenwissen.

Alexander: Charisma kommt aus Expertise. Jemand der keine große Ausstrahlung hat, kann dennoch in seinem Kernthema richtig leuchten – und in diesem Umfeld eben Charisma entwickeln.

Ingrid: Aber Charisma resultiert nicht allein aus Expertise und Wissen. Das mag vielleicht eine Rolle spielen, aber es gibt noch andere Faktoren: Leidenschaft ist ein wichtiger Punkt und Empathie. Ich muss eine intuitive Einschätzung meines Gegenübers haben, damit ich ihn oder sie abholen kann. Und es braucht ein Ziel: Was will ich zum Ausdruck bringen? Das unterscheidet Thought Leader von Schaumschlägern.

Angelina: Ich stimme Alexander Petsch zu. Ein Thought Leader braucht nicht zwingend Charisma, aber Charisma erleichtert ihm sicherlich seine Aufgabe. Er strahlt genau dann, wenn er in seinem fachlichen Thema glänzen kann. Dann muss man natürlich die richtigen Formate für ihn finden – nicht jeder ist ein Super-Podcaster.

Ingrid: Das Unternehmen muss Menschen helfen, ihre Plattform zu finden, und sie entsprechend coachen.

Randolf: Darum ist es wichtig, dass Thought Leader begleitet und beraten werden. Wer sich auf der Bühne nicht wohlfühlt, sollte auch nicht ständig auf Bühnen präsentieren müssen.

Wie viele Thought Leader verträgt die Welt eigentlich? Das ist immerhin ein Anspruch: Wie viele können denn „Meinungsführer“ sein?

Angelina: Das ist wie bei jeder Thematik. Die Themen, die nicht überzeugen, werden nicht angenommen. Das Unternehmen muss dann erkennen, dass das nicht das richtige Instrument ist. Jeder Markt ist irgendwann gesättigt – das gilt auch für das Thought Leadership in einem Themenbereich.

Randolf: Nochmal: Thought Leader ist wirklich ein großes Wort – und darum tut man gut daran, es außerhalb der Fachdebatte nicht zu verwenden. Es ist zudem ein Begriff, den man sich nicht selber geben kann. Er wird einem von anderen zuerkannt.

Der Punkt für Unternehmen ist doch: Wie wichtig sind eigentlich Thought Leader mit Blick auf das Employer Branding: Wären da Markenbotschafter nicht viel wichtiger?

Angelina: Mitarbeiter sind die Basis der Unternehmensmarke. Wenn es also darum geht, die Employer Brand zu stärken, sind es die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die ich zeigen kann, um Bewerbern oder Jobsuchenden zu sagen: Aus den und den Gründen sind wir ein guter Arbeitgeber. So erreiche ich eine hohe Glaubwürdigkeit für die Employer Brand.

Okay Markenbotschafter – verstanden, wenn es keinen Widerspruch gibt, aber …

Angelina: … mit einer kleinen Einschränkung: Jobbotschafter müssen sich freiwillig bereitstellen und dürfen nicht gekauft sein mit einem bestimmten Auftrag. Zum Beispiel für eine Tik-Tok-Kampagne mit entsprechendem Honorar …

… das wäre dann Influencer-Marketing – ein Thema für einen anderen Roundtable. Jetzt gehen wir einen Schritt weiter: Inwiefern ist das Thema Thought Leadership wichtig für die Employer Brand.

Ingrid: Als Beratungsunternehmen ist Detecon da vielleicht speziell. Aber es gibt immer wieder Studierende oder Absolventinnen und Absolventen, die unsere Beraterinnen und Berater direkt ansprechen, weil diese für ein bestimmtes Thema stehen. Es geht dabei gezielt um Wissen und Expertise.

Alexander: Markenbotschafter sind eine sichere Bank, Thought Leadership eine gefährliche Kiste. Gründer wie Steve Jobs oder Hermann Arnold verkörpern per se auch die DNA des von ihnen gegründeten Unternehmens. Das ist etwas anderes, wenn ich mir einen Söldner einkaufe, der mit seiner Expertise für das Unternehmen stehen soll. Das kann funktionieren. Kann aber auch daneben gehen – zum Beispiel, wenn der Thought Leader zu einem anderen Unternehmen geht.

Randolf: Ein Problem ergibt sich, wenn eine Personenmarke die Unternehmensmarke überstrahlt. Die Kunst besteht darin, das Ego dieser Menschen einzufangen und die Expertise und das Wissen nach vorne zu stellen. Und Du brauchst ein Ökosystem, dass dieses Wissen im Unternehmen weiterträgt. Insgesamt aber überwiegen die Chancen klar die Risiken.

Aber noch einmal: Warum ist das Thema wichtig für die Arbeitgebermarke?

Ingrid: Es gibt etwas wie den Markenwert. Natürlich wollen manche Jobsuchende gerne bei großen, gut positionierten Marken arbeiten. Aber dennoch: Ich suche mein berufliches Zuhause auch über Menschen.

Randolf: Der Markenbotschafter kann ab dem ersten Instagram-Post für das Employer Branding gute Dienste leisten. Thought Leadership dagegen ist ein guter Hebel, wenn ein Unternehmen direkt von der Expertise seiner Leute lebt, etwa bei Beratungen. Und von Thought Leadership profitiert auch das Unternehmen nach innen, weil es gezwungen ist, sein Wissen entsprechend aufzubereiten.

Angelina: Ich denke, wenn man vom Bewerber ausgeht, braucht es beides: Thought Leader und Markenbotschafter. Einen Online-Marketing-Manager überzeuge ich wahrscheinlich besser über Markenbotschafter, einen Programmierer springt dann auf den Thought Leader an, der auf Augenhöhe fachlich diskutieren kann.

Baut man einen Thought Leader anders auf als einen Markenbotschafter?

Randolf: Wir haben eine sehr simple Methode, die auch von Dorie Clark inspiriert ist. In der heutigen Content-Flut braucht es Gesichter, die ein Thema, eine Expertise verkörpern und auf die Bühne bringen, eine Autorität eben. Thought Leadership ist kontinuierliche Arbeit in den drei Feldern veröffentlichen, öffentlich auftreten, und netzwerken.

Eine Frage an alle zum Schluss. Nehmen wir an, die Voraussetzungen passen alle. Aber es gibt die Risiken: Die Personal Brand überstrahlt die Unternehmensmarke, der Thought Leader scheitert, weil ihm Expertise fehlt, oder er geht und nimmt seine Positionierung mit zu einem anderen Unternehmen. Warum soll ich als Unternehmen diesen Weg gehen und nicht besser aus Employer-Branding-Sicht auf Job- oder Marken-Botschafter setzen?

Randolf: Der Otto-Weg ist der beste aller Einstiege in das Thema. Eine Thought-Leadership-Strategie würde ich Experten-Organisationen und Wissens-basierten Unternehmen empfehlen – mit einer qualifizierten Begleitung.

Angelina: Um Thought Leader aufzubauen, die tatsächlich leisten, was Markenbotschafter nicht können, ist ein hohes Commitment der Personen und des Unternehmens gefordert. Thought Leader benötigen Befähigung, eine klare Verankerung in ihrer Rolle – und natürlich eine entsprechende Expertise, um glaubwürdig für ihr Thema zu stehen.

Ingrid: Mitarbeiter sind Markenbotschafter – ob sie das wollen oder nicht. Ich kann sie nur befähigen, das bewusster zu leben und entsprechen mehr daraus zu machen. Abhängig von der Branche würde ich zweigleisig fahren und bewusst Leuchttürme in einem Thema aufbauen.

Alexander: Wenn ich heute etwas im Employer Branding erreichen möchte, sind Markenbotschafter die Grundlage. Das hat tolle Nebeneffekte, weil Arbeitgeber ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter befähigen und so auch das Niveau in der Firma anheben. Das Thema Thought Leadership sollten sie nur anfassen, wenn es im Unternehmen einen Rohdiamanten gibt, der die Begeisterung für ein Thema mitbringt und die 10.000 Stunden Expertise. Ein Thought Leader von außen als Gallionsfigur bedeutet immer hohes Risiko.

Interview und Text: Raoul Fischer

Ingrid Blessing ist bei dem Beratungs-Unternehmen Detecon Senior Expert für Unternehmenskommunikation und blickt zurück auf mehr als 20 Jahre im Umfeld Marketing und Kommunikation.

Angelina Peipers ist HR Marketing Managerin bei Otto. Sie hat das Job-Botschafter-Programm des E-Commerce-Unternehmens mit aufgebaut, mit dem Otto gezielt Botschafter für die Unternehmensmarke aufbaut.

Randolf Jessl ist Gründer, Geschäftsführer und Senior Berater von Auctority. Der frühere Chefredakteur des Personal Magazin hilft Unternehmen dabei, Führungspersönlichkeiten und Fachexperten in ihrem Markt zu positionieren und Thought-Leadership-Konzepte umzusetzen.

Alexander Petsch ist Gründer der børding messe und des HRM Research Institute, das auch das blog.TALENTpro-Magazin herausgibt. Darüber hinaus ist Alexander Gastgeber der beiden Expo-Festivals TALENTpro & L&Dpro.