Basierend auf einer Master-Thesis der Autorin haben wir das „brandaktuelle“ Phänomen in einer empirischen Feldstudie eingehender untersucht. Das Besondere daran: Befragt wurden nicht Burn-out-Betroffene, sondern wichtige HR-Akteure und Entscheider (Top-Manager) in Unternehmen.

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Wie würden Sie die folgenden Fragen für Ihr Unternehmen beantworten?

1. Gibt es in Ihrem Unternehmen das Thema Burn-out?

2. Wenn ja: Wie viele Mitarbeiter sind betroffen? Wie viele sind gefährdet?

3. Wie viele davon sind Führungskräfte?

4. Welche Kosten beziehungsweise Folgeschäden entstehen dadurch Ihrem Unternehmen?

Das waren vier von 20 Fragen unserer empirischen Feldstudie zum Thema „Burn-out in Unternehmen – Umgang und Maßnahmen“. Dabei wurden Gespräche mit 39 Vorständen, CEOs, HR-Managern, Personalentwicklern sowie je einer Betriebsrätin und Betriebsärztin von 21 Unternehmen unterschiedlichster Branchen und Größen (rund 70 bis 36.000 Mitarbeiter) geführt.

Es zeigte sich, dass Unternehmen Burn-out zwar sehr wohl wahrnehmen, das Thema aber weithin tabu bleibt. Gleichzeitig sind vor allem wichtige Leistungsträger wie Führungskräfte betroffen beziehungsweise gefährdet, nämlich im Schnitt zehn Prozent (Betroffene) beziehungsweise 34 Prozent (Gefährdete) eines Unternehmens.

Umso erstaunlicher ist, dass die Unternehmen wenige bis keine Maßnahmen umsetzen, obwohl ihnen durchaus bewusst ist, dass Burn-out hohe Kosten verursacht. Mit ein Grund dafür: Es fehlt diesbezüglich weithin an konkreten Zahlen. Dabei grenzt es an Fahrlässigkeit, nicht rechtzeitig zu handeln. Denn wer seine Führungskräfte und Fachkräfte „verbrennen“ lässt, zahlt in mehrfacher Hinsicht einen hohen Preis, riskiert nachhaltig die personale wie unternehmerische Gesundheit.

1. Beweggründe, Ziele

Anreiz zu der Studie war die Tatsache, dass der Begriff diffus definiert ist und auch der Tabu-Charakter weithin besteht – trotz oder gerade wegen der medialen Präsenz. Dies gilt auch für die unterschiedliche Ernsthaftigkeit, Offenheit und Entschiedenheit, mit denen die Unternehmen dem Phänomen personal wie organisational begegnen.

Zudem bedauerten in den laufenden Beratungsprozessen und Kontakten die HR-Verantwortlichen immer öfter, wie schwer es sei, Entscheidern der ober(st)en Managementebene die Notwendigkeit rechtzeitiger Maßnahmen plausibel zu machen – auch weil es an handfester Argumentation beziehungsweise konkreten Kostenzahlen fehle.

 

2. Erkenntnisse

1. Burn-out ist ein weithin diffuses Begriffsbündel. Jedenfalls ist es vielschichtig und subjektiv besetzt, verknüpft mit unterschiedlichsten Vermutungen punkto Ausprägungen und Auswirkung. Zwischen den befragten Gruppen gibt es zwar keine gravierenden Unterschiede im Verständnis von Burn-out, aber allen gemeinsam ist die tendenziell schwere Fassbarkeit des Phänomens und die Pluralität der Meinungen.

2. Burn-out wird zwar zunehmend ein Thema, pendelnd zwischen totaler Negation und Offenheit, bleibt aber in letzter Konsequenz überwiegend ein Tabu. So meinten nur zehn Prozent der Befragten, es würde im Unternehmen offen darüber geredet. Deshalb bleibt das Thema auch weitgehend unbehandelt. Präventive Maßnahmen setzen die Unternehmen, wenn überhaupt, nur rudimentär oder spät. Eher erfolgen punktuell kurative Maßnahmen im akuten Fall. So verneinten 23 der 39 Befragten die Frage nach bisher gesetzten Maßnahmen. Eher geht es bei ihnen um vage Interventionen wie „Vortrag, Gespräche, Verankerung in Firmenphilosophie“.

3. Der Anteil der Führungskräfte an allen Burn-out-Betroffenen/-Gefährdeten in Unternehmen ist signifikant hoch (38 bis 46 Prozent, siehe Abbildung 2). Dass Burn-outbedingte Einbußen etwa in puncto Leistungsund Führungsqualität gerade bei dieser Multiplikator-Gruppe besonders negative Systemwirkung für Unternehmen hat, scheint weithin nicht präsent oder relevant zu sein, jedenfalls kein akuter Anlass für Gegenmaßnahmen.

4. Managern der ober(st)en Ebene trauen die Unternehmen am meisten zu, zu erkennen, dass es Burn-out im Unternehmen gibt – und sie selbst trauen sich das ebenfalls in hohem Maße zu. Gleichzeitig reagieren aber gerade sie tendenziell am wenigsten darauf. Das heißt, sie sind vergleichsweise wenig(er) offen für das Thema Burn-out und initiieren deshalb eher selten Gegenmaßen.

Zudem liegt das größte Problem für HR-/PE-Verantwortliche darin, dass sie zwar mit Burn-out-Anliegen am häufigsten konfrontiert werden, aber mit ihren Anliegen nach „oben“ zu wenig oder gar nicht durchdringen. In letzter Konsequenz fehlt es auf Managementseite vielfach an Verständnis und Offenheit für die Brisanz des Problems. Den HR-Verantwortlichen wiederum fehlt es meist an handfesten Argumenten, sprich konkreten Zahlen bezüglich Folgekosten. Abhilfe kann hier nur das verantwortliche Management schaffen, indem es einen konkreten Auftrag für Maßnahmen erteilt und die dafür notwendigen Ressourcen (Personal, Geld, Zeit) zur Verfügung stellt.

5. Die Ursachen von Burn-out schreiben die Befragten vor allem dem wachsenden Leistungs-, Arbeits- und Erfolgsdruck zu, gefolgt von ständigen Veränderungen und Unklarheiten (punkto Kommunikation, Zuständigkeit, Strukturen etc.) sowie mangelnder Anerkennung. Gleichzeitig scheint aber dieser allgegenwärtige Druck systemimmanent und unabwendbar. Wachsende Leistungs- und Karriereansprüche sind damit auch wesentliche Triebkräfte für die Tabuisierung und Verdrängung von Burn-out. Dies wird verstärkt dadurch, dass das Thema an sich heikel ist, weil es persönlich berührt, Verletzlichkeit deutlich macht und mit Ängsten verbunden ist.

6. In der Herangehensweise an das Thema gibt es signifikante Unterschiede zwischen den Funktionsebenen. Personalisten setzen überproportional auf Kommunikation (Gesprächsversuche mit Vorgesetzten, Betroffenen). Oder resignieren im Extremfall („Generell stelle ich gerade meine Sensibilisierungsversuche wieder ein.“). Hingegen meinen Vorstände/CEOs eher, das Problem sei „kein Thema“ oder durch besseres (Selbst-)Management vermeidbar. Sie vermitteln vielfach den Eindruck, das Problem im Griff zu haben, sehen daher weniger Veranlassung für Maßnahmen.

Ein Indiz für mangelnde Kommunikation oder unterschiedliche Sichtweisen in ein und demselben Unternehmen sind Aussagen wie: „Ich nehme meine Verantwortung wahr, indem ich Druck auf meine Mitarbeiter mache, dass sie auch ihre Verantwortung wahrnehmen“ (Geschäftsführer). Oder auch: „Ich kann im Moment nichts tun, weil es noch kein Thema sein darf“ (Personalleiter).

7. Burn-out „verbrennt“ zwar in immer mehr Unternehmen auch immer mehr Geld. Dennoch gibt es so gut wie kein Unternehmen, das versucht hat, die konkreten Folgekosten zu eruieren, um basierend darauf gezielte Maßnahmen zu setzen.

Das verblüfft umso mehr, als ein im Schnitt durchaus hohes Bewusstsein in Bezug auf mögliche Auswirkungen von Burn-out da ist (Leistungsverlust, sinkende Produktivität, Krankenstände, Demotivation, Fluktuation). Letztlich bleibt aber vor allem präventive „Brandverhütung“ die Ausnahme. Individuelle „Brände“ werden punktuell zu löschen versucht, allerdings ohne auch mögliche organisationale Ursachen mit ins Kalkül zu ziehen.

 

3. Schlussfolgerungen und Maßnahmen

Was können Unternehmen im Kontext von Burn-out konkret tun, präventiv wie kurativ? Einige Anregungen dazu:

1. Thema öffentlich machen, ihm Aufmerksamkeit geben und diskutieren – und zwar top-down: Erst wenn Burn-out ein Thema sein darf (und zwar vor allem ausgehend vom oberen Management), schwindet gleichzeitig auch ein Teil des Drucks, der auf den Betroffenen lastet, und hat dadurch bereits einen präventiven Effekt. Das Durchbrechen von Sprachlosigkeit ist ein wesentlicher Baustein für Burn-out-Prävention und -Intervention.

2. Netzwerke und soziale Unterstützung am Arbeitsplatz schaffen: Quelle sozialer Unterstützung am Arbeitsplatz sind die Kollegen auf gleicher Ebene. Diese sind bei arbeitsbezogenen Belastungen von großer Bedeutung. Austausch und Dialog haben auch wichtige Ventilfunktion. Ebenso sind Vorgesetzte in ihrer Rolle als „Seismografen“ und aktive Problemlöser gefordert.

3. Weiterbildung und Aufklärung forcieren: Eine wichtige Bedeutung, um Burn-out zu verhindern, hat auch ein funktionierendes Personal- und Info-Management. Daher ist es zielführend, dieses Thema in jede Führungskräfteentwicklung mit einfließen zu lassen, um einerseits zu sensibilisieren, zu informieren, aufzuklären, andererseits eigene Gefährdungen rechtzeitig zu erkennen.

4. Führungskräften beziehungsweise Betroffenen/Gefährdeten rechtzeitig unterstützendes Coaching anbieten: Regelmäßige Gespräche mit einem Coach wirken entlastend und stärkend. Coaching ist ein essenzieller Baustein für Erfolg versprechende, nachhaltige Interventionen.

5. Integrales Betriebliches Gesundheitsmanagement (IBGM) implementieren: Ein IBGM macht die Gesundheit aller Mitarbeiter zum Thema eines kontinuierlichen Verbesserungsprozesses – und zwar ganzheitlich auf mehreren Ebenen, personal wie organisational.

6. Gesundheit als Teil der Mitarbeitergespräche betrachten, in Personal- und Organisationsentwicklung integrieren: Gespräche, in denen Belastungen klar angesprochen werden (dürfen), können wesentlich zur Verhinderung von Burn-out beitragen. Dabei sollen auch die Anteile der Organisation (Verhältnisse) und der Person (Verhalten) herausgefiltert werden. Denn personale und organisationale Fragen bedingen einander, können nicht losgelöst voneinander beantwortet werden. Es gilt, Unternehmenskultur, Werte und Burnout-fördernde Strukturen laufend zu hinterfragen, gegebenenfalls zu ändern.

7. Das empfindlichste „Organ“ eines Unternehmens – die „Geldbörse“, heißt Finanzen – ansprechen und die Burn-out-Folgekosten präzisieren: In einem Unternehmen der Studie haben wir dies untersucht. Hier würde bereits eine einzige Führungskraft mittlerer Ebene, die Burn-out-bedingt ausfällt beziehungsweise kündigt, über 50.000 Euro Kosten verursachen! Sonstige indirekte Kosten (etwa durch Konflikte, Know-how-Verlust, Kontinuitätsbrüche, Zeitaufwand für Nachfolgeprozess) sind nicht mit eingerechnet.

Literaturtipps

Phänomen Burnout – eine Analyse von Umgang und Maßnahmen in Unternehmen. Von Brigitte Schweifer-Winkler. Master-Thesis Donau-Universität Krems, 2009.

Zeit-Macht & Zeit-Ohnmacht von Top-Managerinnen & Top-Managern. Über den Umgang mit Zeit in der Dialektik von Selbstermächtigung und Ohnmächtigkeit. Eine interventionsforscherische Studie. Von Franz J. Schweifer. Verlag Dr. Kovac, 2011.

 

Dieser Beitrag ist in der Fachzeitschrift personal manager 1/2012 erschienen.

Brigitte Schweifer-Winkler
Executive-Coach, Beraterin,
Burn-out-Spezialistin,
Die ManagementOASE –
Schweifer & Partner OG Coaching.
Training. Consulting

Franz J. Schweifer
Management-Trainer, Coach,
Zeitforscher,
Die ManagementOASE –
Schweifer & Partner