Wäre es nicht herrlich, wenn jeder im Unternehmen das gleiche Verständnis von Führung und Verantwortung hätte? Wenn jedem klar wäre, welche Werkzeuge und mentale Haltung es für Spitzenergebnisse braucht? Wer Verantwortung richtig versteht, verbessert Energien und Ergebnisse. Folgende sechs mentale Schritte sind nötig, damit die Freude an ihrem Umgang wächst.

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Foto: Brooke Cagle, Unsplash

Verantwortung bildet den Kern menschlicher Entwicklung. Sie verhilft Menschen und Unternehmen zu Topergebnissen, Erfüllung und mentaler Gesundheit. Der richtige Umgang mit ihr entscheidet über frustrierende Mittelmäßigkeit und leichtfüßigen Erfolg. Gleichzeitig verbinden die meisten den Begriff mit Schwere und Frust. Sie verwechseln Verantwortung mit Verpflichtung, wissen nicht, dass echte Verantwortung sich gut anfühlt und Energie bringt. Kein Wunder: Bisher standen beim Thema Führung die Werkzeuge im Vordergrund: Wie lässt sich besser loben? Klüger Delegieren? Positiver kontrollieren? In der heutigen komplexen Zeit ist es zudem nötig, das Bewusstsein von Menschen zu führen. Nur so können Führungskräfte andere entwickeln. Leading Simple macht für jeden sicht- und lernbar, wie Mitarbeiter ihre Aufgaben nicht aus Pflichtgefühl, sondern aus Lust heraus erfüllen, Verantwortung genießen und so überdurchschnittliche Ergebnisse produzieren.

1. Verdrängung

Die Reise vom ersten Impuls bis zur Lust an Verantwortung startet jedes Mal gleich – mit einer Störung. Eine Führungskraft schickt dem Mitarbeiter beispielsweise eine Nachricht. Er solle bitte Projekt x übernehmen. Selten stürzt sich der Lesende sofort jubelnd auf die Aufgabe. Der „Du musst“-Impuls von außen fühlt sich wie ein Angriff an. Der Empfänger windet und ärgert sich, weil er die Verantwortung dafür nicht übernehmen will – aber muss Handelt er nach Order, entspringt nichts seinem persönlichen Antrieb. So entstehen Frust und schwache Ergebnisse. In Stufe eins – also zu Beginn - verdrängen die Betroffenen oft die Situation: „Das darf doch nicht wahr sein.“ Diese Reaktion ist völlig menschlich. Das Gleiche empfinden viele, wenn sie plötzlich die eigene Kündigung in Händen halten, ein Kunde wegbricht oder das Herzensprojekt den Bach runtergeht. Die Phase der Verdrängung kann wie alle folgenden eine Sekunde, eine Stunde, ein Jahr oder ein Leben lang dauern.

2. Suche nach dem Sündenbock

Müssen Menschen sich mit solchen Situationen weiter auseinandersetzen, sucht ihr Bewusstsein nach Schuldigen: „Wer hat das veranlasst?“ „Wer hat den Kunden betreut?“ „Wer hat für meine Kündigung gestimmt?“ Betroffene flüchten sich reflexartig in diese Fragen. Das Bewusstsein ringt um seinen Teil der Verantwortung und stoppt bei anderen. Der Betroffene will nichts mit der Sache zu tun haben, das Problem bleibt fremdgemacht. Die Jagd nach dem Sündenbock ist ein anerkanntes Spiel, obwohl sie nur wenig Energie freisetzt und niemanden weiterbringt. Jeder kann diese Ablehnung in seinem Umfeld beobachten. Auch diese Reaktion ist menschlich. Entscheidend ist, wie lange sie dauert. Die einen machen sich die Suche zur Lebensaufgabe und kommen nie ins eigene Handeln. Andere nehmen diesen Zustand wahr, lachen und überwinden ihn.

3. Rechtfertigung durch die Umstände 

In Stufe drei schiebt der Betroffene den äußeren Umständen die Sache in die Schuhe: Schuld ist die Unternehmensstruktur, die Wirtschaftslage, die unfähigen Mitarbeiter …  bis hin zum Pauschalurteil: „Das war schon immer so!“ Stößt jemand gegen eine Glastür, hat das Architektenbüro schlecht geplant. Sinken die Ertragszahlen, liegt es daran, dass die Mitbewerberinnen und Mitbewerber gewachsen sind. Performt das eigene Team mangelhaft, liegt es nur am geringeren Budget. All diese Erklärungsversuche bringen immer noch wenig Energie. Menschen klagen, statt zu handeln. Nach wie vor stößt der Betroffene die Beteiligung von sich weg und aktiviert kaum eigene Aktivitäten. Wir empfinden die Situation noch immer als aufgezwungen und lästig.

4. Selbstanklage

Mit Eintritt in Stufe vier dämmert es langsam. Die Orientierung verändert sich von außen nach innen. Nun kommt das Problem so nah, dass der Betroffene es annehmen muss. Aus intellektueller Erkenntnis bahnt sich der Weg in die emotionale Annahme. „Was hat dieses Projekt, der schwache Umsatz oder die Kündigung mit mir zu tun?“ Dieser erste emotionale Versuch der Anerkennung wirkt wie ein Trauerspiel. Das Lamentieren geht weiter – nur klagen wir uns jetzt selbst an. Wir werfen uns vor, dass wir nicht besser vorbereitet waren, früher agiert, den Kunden beruhigt oder den Chef eher angesprochen haben. Nun ist das „Arme Ich“ gezwungen, sich mit dem Problem herumzuschlagen. Auch Minister oder CEOs treten in diesem Zustand ans Mikro: „Ja, wir haben Fehler gemacht.“ Diese Demutsgeste hört sich wie Verantwortungsübernahme an, kann jedoch auch rhetorisches Geschick sein. Selbstanklagen helfen niemanden, kommen aber immer gut an. Nach wie vor fehlt es an kraftvollem Handeln, das sich durch starke Ergebnisse zeigt.

5. Selbstverpflichtung

Nach dem Selbstmitleid sucht das Bewusstsein die nächsten Stufe: Verpflichtung. Jetzt befindet wir uns im „Ich muss, will aber eigentlich nicht“-Modus. In diesem Zustand leben die meisten Menschen und akzeptieren ihn als normal. Mit viel Disziplin beugen sie sich dem Wunsch des Chefs, der Kündigung, dem Virus und legen los, akquirieren an, bewerben neu, suchen Alternativen. Das Ich verpflichtet sich, weil es gezwungen ist – nicht, weil es sich entschieden hat. Dieser Zwang führt zu Schwere und Frust. Wir akzeptieren die Verantwortung, nehmen jedoch nicht die passende mentale Haltung ein. Wir packen zu, aber machen uns die Aufgabe nicht wirklich zu eigen. „Ich mache es für den Chef, für den Kollegen, für den Kunden – aber nicht für mich.“ Die Energie bleibt begrenzt. Der Antrieb reicht geradeso, um durchschnittliche Ergebnisse zu erzielen.

6. Lust

Der Wechsel vom Last- zum Lustgefühl gelingt durch komplette Identifikation – durch intellektuelle und emotionale Annahme. Auf der höchsten Stufe hat der Betroffene das jeweilige Thema voll und ganz geistig in Besitz genommen. Erst jetzt übernimmt er alle Konsequenz für seine Entscheidungen. Jeder Mensch kennt diesen Zustand. Manche empfinden ihn im Job, als Unternehmer, in der Vereinsarbeit, beim Ehrenamt oder in der Familie. Es ist ein Irrtum zu glauben, diese Haltung sei da oder weg. Sie lässt sich ansteuern, das kann jeder lernen. Wer diese Stufen einmal bewusst durchlaufen hat, kann die Abfolge beliebig oft mit anderen Themen wiederholen und gezielt wachsen. Verantwortung als Lust hilft Menschen und Unternehmen zu Erfolg und Größe. Keine Stufen lässt sich überspringen, Geübte können nur das Tempo erhöhen. Profis – ob Personen oder Unternehmen – brauchen dafür manchmal nur Sekunden.

Literaturtipp

Leading Simple – Führen kann so einfach sein. Von Boris Grundl und Bodo Schäfer. Gabal Verlag 2021.